02 || MAYBE TOMORROW

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»Reece!«

Ich stoppe.

»Hör mir bitte zu.«

Missmutig drehe ich mich um. »Was? Warum sollte ich dir zuhören? Ihr erzählt mir seit fast zwei Monaten immer das Gleiche. Ich bin keine Porzellanfigur, die jeden Moment kaputt gehen kann. Das wird nicht passieren. Aber ihr schnallt das ja einfach nicht.«

Das ist schon passiert. Also was habe ich noch großartig zu verlieren?
Ich schüttle den Kopf, um den Gedanken abzuschütteln.

»Alles okay bei euch?«
Ich wende mich zu unserer Mom, welche am Türrahmen lehnt und uns beide misstrauisch mustert.

»Alles bestens«, erwidere ich, setzte ein quälendes Lächeln auf und schenke meiner Schwester schnell noch einen bösen Blick,
ehe ich die Bombe platzen lasse. »Ich will wieder in die Schule.«

Niemand gibt mir eine Antwort. Auch mein Dad, der vor wenigen Sekunden zu uns kam, bleibt stumm.
Man kann die drückende Luft, die uns plötzlich umgibt förmlich spüren.

Bloß an den Gesichtern meiner Familienmitglieder kann ich
sehen, dass niemand wirklich begeistert von dieser Idee ist. Mich würde es nicht wundern, wenn ich nie wieder dieses Grundstück verlassen darf.

»Bist du dir ganz sicher?« Verunsichert schaut Mom flüchtig zu Dad, der den kritischen Blick erwidert.

Mein Kopf nickt ganz automatisch. »Ihr könnt mich doch nicht ewig hier einsperren.«

»Du bist hier nicht eingesperrt Reece. Wir machen uns einfach Sorgen um dich«, erklärt Dad, während die anderen beiden murmelnd zustimmen.

»Aber du hast recht«, fängt Mom vorsichtig an. »Wir können dich nicht ewig beschützen.«

Ein leichtes Lächeln schleicht sich auf meinen Lippen, was nun weder gezwungen noch gequält ist. »Das heißt, dass ich heute zurück in die Schule kann?«

»Das bedeutet, dass du heute in die Schule kannst«, bestätigt Dad zögernd.

»Aber du fährst bei deiner Schwester mit und schreibst uns nach jeder Stunde«, fügt Mom eilig hinzu. »Und sie wird dich auch wieder abholen.«

Ohne ein weiteres Wort gehen alle in die Küche und lassen mich im Flur zurück.

Fassungslos schaue ich meiner Familie hinterher. Ich kann noch immer nicht fassen, dass sie zugestimmt haben. Irgendwie war ich tatsächlich bis vorhin auf ein Nein eingestellt, wie es auch sonst der Fall war, wenn ich fragte.

»Was ist, wenn er auf sie trifft?«, nehme ich die besorgte Stimme von Mom wahr.

»Das können wir einfach nicht vermeiden«, meint Dad.

Mackenzie murmelt erst undeutlich etwas, bevor ich sie verstehen kann. »Er wird sie eh nicht mehr erkennen.«

Wer ist sie?
Leise schleiche ich etwas näher zu der Tür, die gerade angelehnt wurde und mir so die Sicht versperrt.

»Ich mache mir auch keine Sorgen in der Hinsicht auf ihn, sondern auf Holly. Ich weiß nicht, ob sie es verkraften kann, wenn Reece sie nicht mehr kennt und auch nichts von ihr weiß. Sollten wir sie nicht vorwarnen?«

Holly? Wer ist Holly?

»Mom«, setzt Mackenzie an, »ich denke Holly ist bewusst, dass es bald passieren muss und sie wieder auf ihn treffen muss.«

Ehe sie weiter über mich und dieses Mädchen sprechen können, drücke ich die Holztür zur Küche auf, woraufhin sie sofort verstummen und mich jeder Einzelne ertappt anschaut.

»Was?«, will ich wissen und setze bewusst einen unwissenden Blick auf, was auch teilweise der Wahrheit entstammt.

»Nichts«, winkt meine ältere Schwester ab und nimmt schuldig einen Schluck aus ihrer großen weißen Kaffeetasse. Sie hat ein schlechtes Gewissen, weil sie mich anlügt.

Mittlerweile kenne ich sie so gut und lange, dass ich das einordnen kann. Wie sie hektisch aus dem Raum läuft und versucht mich nicht anzusehen, sind eindeutige Zeichen dafür.

Gespielt gleichgültig und ahnungslos zucke ich mit den Schultern, um mir nicht anmerken zu lassen, dass ich das komplette Gespräch vorhin mitbekommen habe.

Anschließend öffne ich den Schrank, der an der Wand neben den Kühlschrank hing, greife nach einer Schüssel und fülle sie mit Müsli, welches bereits vor mir auf der Theke steht und gebe Milch aus dem Kühlschrank hinzu.

»Okay.«

Inzwischen sitzen wir im Auto meiner

Schwester auf dem Parkplatz meiner Schule.
»Wenn du wieder nach Hause möchtest, kann ich dich noch zurückfahren und anschließend zu meiner Schule fahren. Ich habe eh erst zur zweiten Stunde«, wiederholt Mackenzie sich nun zum zehnten Mal. »Ich...«

»Du brauchst mich nicht zurückfahren. Ich schaffe das schon. Schließlich sind Callum und Nathan auch noch da. Fahr lieber selbst zur Schule. Wolltest du nicht noch vorher was erledigen? Das kannst du ja am besten vor deiner ersten Stunde machen, oder?«

»Na gut«, brummt Mackenzie geschlagen. »Aber du...«

»Ich rufe an, wenn du mich abholen sollst«, beende ich ihren Satz.

Sie rollt unauffällig ihre Augen. »Pass auf dich auf du Idiot.«

Ich schließe für einen Augenblick die Augen und atme tief durch.

Was soll schon schief gehen?
Mehr als mich blöd angucken und über mich reden, können die anderen Schüler doch nicht.
Aber das taten sich doch immer, nicht wahr? Eigentlich sollte es mir egal sein, was man über mich dachte.
Eigentlich.

»Ja«, sage ich deswegen nur leise und will bereits die Autotür öffnen und auf den Parkplatz treten, ehe ich dann doch noch einen Rückzieher machen kann. Ich möchte es einfach hinter mich bringen.

»Reece«, werde ich im allerletzten Moment aufgehalten. Ich blicke zu Mackenzie.

Sie schaut angespannt aus der Vorderscheibe ihres roten Autos. Ihre Hände sind fest ums Lenkrad umklammert und ihre Lippen sind zu einer dünnen Linie gepresst. »Versprich es mir.«

Irritiert halte ich inne. »Was versprechen?«
»Sei bitte vorsichtig und glaub nicht alles, was andere sagen.«

»Was sagen?«

Sie dreht ihren Kopf zu mir. »Kannst du es mir einfach versprechen und nicht jeden zweiten Satz hinterfragen?«

Ich nicke langsam, woraufhin sie den Griff ums Lenkrad etwas lockert. »Versprochen.«

Maybe TomorrowWhere stories live. Discover now