Kapitel drei

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Sechs Uhr vierundvierzig, abends

Die Kapelle war abseits von Pago. Frühe hatte es mal eine Kirche beim Marktplatz gegeben, doch die war im Laufe der Jahrzehnte nicht mehr bewohnbar geworden. Man hatte alles bis auf den Glockenturm einreisen müssen. Die Kapelle hingegen war auf einem Hügel erbaut worden, nicht so prachtvoll wie die alte Kirche, aber für uns reichte es. Es war hier sehr ruhig, was das Schweigen zwischen mir und Jocie nur unangenehmer machte.

„Wann denkst du wird es heute dunkle werden?", fragte ich, meine Augen auf die Sonne gerichtet. Noch war sie über den Baumkipfeln und brannte heiß uns auf nieder.
Jocie seufzte lautstark und verdrehte die Augen, antwortete aber:
„Die letzten Tage wurde es erst nach dem neunten Glockenschlag dunkel. Es würde mich wundern wenn es heute anders wäre."

Das dauerte ja noch ewig, dachte ich, behielt den Gedanken aber für mich. Wir erreichten das Ende des Sandweges und standen nun direkt vor der Kapellentür. Ein Besuch der Kapelle gehörte genauso zu dem Lichterfest, wie die Tänze und Musikanten. Auch wenn es über die Jahre ein wenig verwaschen wurden war, so blieb es ein Fest für ‚die Ewigkeiten Götter', wie Bruder Horatio sie nannte.

Horatio, war auch derjenige der uns nun an der Tür in Empfang nahm. Er war ganz wie man sich einen geistlichen Mann vorstellte. Ein wenig in die Jahre gekommen, rundlich und mit Falten vom Lächeln.

„Avelynn, Jocelynn. Es freut mich euch zu sehen." Er umarmte uns beide kurz und musterte uns lächelnd. „Ich sehe ihr seid schon für heute Abend vorbereitet. Nun kommt aber erstmal rein." Zusammen mit den anderen beiden betrat ich die Kapelle. Sofort verschwand das grelle Sonnenlicht und an seiner Stelle nahm ich bunte Lichter wahr. Das niedrige Kuppeldach, bestehend aus leuchtenden Glasstücken, wölbte sich über uns. Die Luft war stickig und ich nahm den Geruch von Kerzenwachs und verbrannten Kräutern wahr. Es beruhigte mein Gemüt und auch Jocie lächelte mir zu.

Außer uns bemerkte ich noch zwei weitere Gestalten. Eine war vorne bei den Kerzen und schien Gedanken nachzuhängen, die andere stand am Rande des Raumes, dort wo die Mauer ins Glas überging. Sie schien hinaus zu blicken. Ich weiß noch, wie es mir merkwürdig vorkam, da man durch das Glas nichts von draußen erkennen konnte. „Es ist ein Ruheort, kein Uhrenglas.", pflegte Bruder Horatio zu sagen.

Auch nun wirkte der Bruder so, als hätte er einige weisen Worte auf seiner Zunge. Statt uns zu belehren, führte er uns jedoch zu dem kleinen Altar. Normalerweise war er recht üppig geschmückt, mit Wildblumen oder –falls Winter war- getrockneten Früchten, doch heute quoll er vor bunten Kerzen beinahe über.

„Soll ich eure Lichter anzünden?", fragte Horatio und deutete auf die Gläser, welche wir in unseren Händen hielten. „Nein danke, wir sind nur hier, um zu gedenken.", erklärte ich. Der Bruder nickte und begab sich wieder hinaus, um uns Ruhe zu geben und andere zu begrüßen. Es gehörte zum Lichterfest dazu, die Kirche –oder Kapelle- zu besuchen und sich einen Moment für sich zu nehmen. Der Glauben der Lichter, befasste sich sehr viel mit Ruhe und Geduld, aber vor allem die Gemeinschaft und Traditionen.

Sachen die uns Halt gegen sollten. Eine Art Fundament.

Joyce und ich setzten uns auf eine Bank und blickten gemeinsam hinauf. Um zu gedenken musste man nicht mehr tun, als sich an einen ruhigen Ort zu begeben und zu glauben. Meine Schwester und ich hatten bereits früh festgestellt, dass es leichter war an etwas ‚Größeres' zu glauben, wenn wir zum Himmel sahen. Iliana hatte es bei ihrer letzten Andacht, bevor sie gegangen war gut in Worte gefasst:
„Es sind die Sterne. Sie machen einen deutlich, wie viel dort draußen noch steckt."

Dass wir in der stickigen Kapelle –und am helllichten Tag- die Sterne nicht sehen konnten, machte uns nicht viel aus. Auch das hatte meine Schwester ausdrücken können: „Zum Glauben gehört dazu, nicht immer alles zu sehen, aber zu wissen, dass mehr dahinter ist." Wenn ich nun so drüber nachdachte, hätte ich Iliana vielleicht häufiger zuhören sollen. Mein Nacken fing an starr zu werden und ich senkte meinen Kopf. Jocie war immer noch vertieft in Gedanken, weshalb ich still neben ihr sitzen blieb.

LichterkussWhere stories live. Discover now