6. gemähter Grashalm

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In einem Moment lachte ich noch mit meiner Kollegin, im nächsten stand ich wie erstarrt da. Wie so oft in meinem Leben, traf mich ein Schock. Völlig unvorbereitet passierte etwas und schockierte mich.

Fassungslos starrte ich das bekannte Gesicht an, das sich durch die Menge, die nicht allzu riesig war, immer näher in meine Richtung schlängelte. Vor ihm ein Gesicht, das ich nicht kannte. Was zum Teufel machte der hier? Ich wollte ihn nie wiedersehen, er verwirrte meine Gedanken immer noch.

He, alles in Ordnung mit dir?", fragte nun auch Mia, der offensichtlich aufgefallen war, dass ich mich seit einigen Sekunden keinen Millimeter bewegt hatte.

Nicht ganz", begann ich langsam, nicht so wirklich wissend, wie ich das erklären sollte. „Da ist wer, der auf uns zukommt, den ich eigentlich nie wiedersehen wollte", beendete ich meinen Satz und hoffte, das war genug zum Verständnis, aber dennoch so vage, dass es alles heißen konnte.

Oh Shit, dann versteck dich mal schnell unter dem Tresen", befahl Mia mir und drückte mich nach unten.

Ich machte es mir so gut wie möglichst bequem auf dem Boden und atmete erleichtert auf. Zum einen, weil Mia keine Fragen gestellt hatte, zum anderen aber, weil ich Bennet entgangen war. Ich war mir sicher, dass er mir nichts Böses wollte, aber seine Art verwirrte mich einfach und noch mehr Verwirrung konnte ich beim besten Willen nicht gebrauchen. Ich musste sowieso daran arbeiten, mein Leben wieder in den Griff zu bekommen.

Ein Punkt von diesem Plan war der Job im Mythos. Hier kannte mich wirklich niemand, hier war ich zwanzig, zwei Jahre älter, als ich eigentlich war, und eine (mehr oder weniger) sexy Barfrau, die mit allem umgehen konnte. Dass das so ziemlich das genaue Gegenteil von dem war, wie ich eigentlich tickte, musste hier ja niemand wissen. Es tat gut, dreimal die Woche einfach mal mein Ich verstecken zu können und jemand anderes zu sein. Jemand mit Problemen wie irgendwelchen Extypen, denen man nicht begegnen wollte (ich war mir ziemlich sicher, dass Mia annahm, dass wäre mein Problem gewesen) und einem funktionierenden Sozialleben und was eben sonst noch so zu einem normalen Leben dazugehörte.

Wir wollen zum Geschäftsführer", hörte ich die Stimme von Bennet fragen. Ich erkannte sie sofort. Mein Gehirn schien sie sich bei der einen Begegnung aufs Genauste eingeprägt zu haben.

Oh, da müssen Sie leider ein anderes Mal wieder kommen, der ist heute nicht da. Kann ich denn sonst noch etwas für Sie tun?", hörte ich Mia antworten und trat sie unter dem Tresen leicht. Sie sollte sie doch jetzt nicht auch noch zum dableiben animieren, ich musste schließlich auch wieder arbeiten.

Oh Sie können uns gerne ein Bier geben", hörte ich nun eine andere Stimme, die eindeutig einen flirtenden Unterton hatte. Vermutlich war das der andere Typ, der mit Bennet gekommen war.

Liebend gerne", flötete Mia und drehte sich um, um die Biere einzuschenken.

Als sie mit den Bieren in der Hand zurückkam, funkelte ich sie wütend an und hoffte, dass sie den Blick auch bemerkte.

Das macht dann vierzehn Dollar."

Ich hörte Geld klimpern und schließlich beugte sich Mia zu mir herunter. Ihr Gesicht verhieß nichts Gutes.

Wieso lässt du so jemanden gehen? Was ist da passiert? Ich will alles wissen", löcherte sie mich sofort und zog mich gleichzeitig an einem Arm hoch. „Du kannst hochkommen, die beiden sind am anderen Ende der Bar."

Das musst du nicht unbedingt wissen", wich ich aus, als Mias Blick immer drängender wurde. Die Ich-antworte-einfach-nicht-Taktik hatte wohl nicht funktioniert.

Ein Abend frisch gemähtes Gras | LESEPROBEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt