~Ein waschechtes Gefängnis!~

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Sonntag, 23.04.20**

Frischer Wind weht mir meine langen Haare aus dem Gesicht, als wir aus Amandas schicken Auto steigen. Die ganze Fahrt über haben Jenny und sie sich über die neueste Sommerkollektion von diversen Designern ausgetauscht.

Was nichts wirklich Neues ist, da daraus die meisten Gespräche zwischen uns bestehen.


Langsam trete ich auf den großen grauen Klotz zu, der unheilvoll vor uns aufragt und trete aufgeregt von einem Bein auf das andere.

Zitternd stellen sich die Mädels neben mich und beäugen skeptisch das Gebäude. Ich kann mir gerade noch einen sarkastischen Kommentar verkneifen und gebe mich mit einem einfachen Augenrollen zufrieden. Es ist erst Ende April.

Sie können nicht erwarten, dass die Temperaturen schon die 20 Gradmarke überschreiten. Trotz dessen tragen sie ihre heißgeliebten bauchfreien und engen Tops mit einem Ausschnitt, der nicht viel Fantasien zulässt und die kurzen Röcke, die glatt als Unterwäsche durchgehen könnten. Sie reichen ihnen gerade einmal über ihren Arsch. Trotz des wenigen Stoffes, den das Outfit beinhaltet, kostet es wahrscheinlich mehr als manche im Monat verdienen.
Man könnte beinahe meinen, sie wären einem Modekatalog von Gucci oder Prada entsprungen. Aber nur beinahe.

Jenny entspricht nicht gerade dem allgemein bekannten Modelmaßen mit ihrer etwas fülligeren Körpermasse, was für mich ja auch vollkommen Okay wäre. Sie ist auch mit ihrer fülligeren Masse hübsch. Aber anscheinend sieht sie das anders, denn sie probiert fast jeden Monat eine neue Diät aus, die sie früher oder später sowieso wieder abbricht, um sich in viel zu enge Kleidung zu zwängen. Manchmal habe ich den leisen Verdacht, dass sie ernsthaft denkt, ihre Pfunde würden flüchten, wenn sie sie nur weit genug zusammen quetscht.

Und wenn ich quetschen sage, dann meine ich das auch genauso. Ich habe wirklich berechtigte Sorgen um ihren Jeansknopf, der kurz vor dem Aus steht und sich bei der nächsten ruckartigen Bewegung wahrscheinlich kraftvoll löst und das Weite sucht. Die Folge davon wäre, dass ihr Bauch herausrutscht und sie vor Scham im Erdboden versinkt.

Aber da ich nicht lebensmüde bin, äußere ich meine Ängste nie, um somit nicht meinen bevorstehenden Tod zu unterzeichnen.

Dies ist bei Amanda kein Problem. Sie ist dünn wie ein Spargel. Also die perfekten Voraussetzungen für die Modelbranche.
Sie hat oft genug Bewerbungen verschickt, doch jedes Mal eine Absage bekommen.
Und immer weint sie Rotz und Wasser und fragt sich, wieso sie denn nicht genommen wird, denn in ihren Augen ist sie wunderschön und perfekt.

Leider hat sie ihr Äußeres in den letzten Jahren kaputt gemacht. Als ich sie kennengelernt habe, war sie ein süßes Mädchen mit natürlicher Schönheit. Doch dann entdeckte sie Make-up und all die anderen Sachen. Davon klatscht sie sich jeden Morgen mindestens eine Tonne ins Gesicht und leider bemerkt man das auch. Viel zu große schwarze Augenbrauen, an denen man kein einziges Haar erkennt (dank dem Enthaarungsunfall im letzten Winter) und dem unnatürlichen braunen Teint.

Das Mädchen überschreitet dabei wichtige Grenzen. Und das meine ich wortwörtlich, denn ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, dass ihre Oberlippe nur gut einen Zentimeter unter ihrer Nase aufhört.

Wir drei bilden ein gutes Team, meinen die Leute aus unserer Schule.

Amanda die Schlanke, Jenny die Hübsche und ich, tja ich habe einen einflussreichen und stinkreichen Vater. Schon früh wurde mir beigebracht, jede Sekunde meines Lebens ein Dauergrinsen im Gesicht kleben zu haben und die Klappe zu halten.

Leider habe ich das Temperament meiner Mutter geerbt. Sie war vollblut Mexikanerin und hatte gehörig Pfeffer im Arsch.
Als ich acht Jahre alt war, geriet sie zufällig in eine Schießerei zwischen zwei rivalisierenden Kartellen und überlebte dies nicht. Die Monate nach ihrem Tod waren die schlimmste Zeit meines Lebens. Seit damals fühle ich eine gewisse Leere in mir, die auch nicht das teuerste Geschenk meines Vaters füllen kann. Dabei hätte ich eher jemanden zum Reden und Trauern gebraucht und nicht ein riesiges kaltes und vorallem leeres Haus mit allerlei Kremmpel.
Noch heute kann ich nicht ohne ein ätzendes Brennen in meiner Kehle in den Spiegel schauen. Denn was ich da sehe, verstärkt meine Trauer von Tag zu Tag nur.

Weiße Rose steht für FreiheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt