Kannst du damit umgehen?

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  Als Timon ihm das Handy zurückgab, hatte er sich unter 'der Katzenretter' eingespeichert und Flo lachte, zum gefühlten hundertsten Mal. Hatte ihm Timon etwas in den Kaffee gemischt, dass er sich so frei und locker fühlte? Der Trott seines Alltags schien vergessen zu sein, aber ein Blick auf die Uhr brachte die Realität wieder zu ihm.
"Oh Mist, ich hab noch einiges zu tun und die Zugfahrt dauert auch."
"Oh, du bist nicht von hier?"
"Nein, Regensburg."
"Oh. Schade."
"Musst mich mal besuchen kommen, da gibts auch ein paar Katzen, die gerettet werden wollen."
"Gerne." Das Gesicht des Jüngeren hellte sich auf. "Ich warte auf deinen Anruf."
"Ja."
Ein längeres Schweigen trat ein und Flo räusperte sich. "Nun, ich muss dann.." Er deutete zu der U-Bahn Haltestelle und Timon nickte.
"Ich muss dortlang." Er deutete in die entgegengesetzte Richtung.
"Also gut, dann." Flo hob die Hand zum Gruße.
Wie verabschiedet man sich von einem Fremden, den man gerade erst kennen gelernt hatte, gerne näher kennen möchte und Nummern mit ihm ausgetauscht hatte?
Richtig. Ziemlich ungeschickt.
Er wollte noch einmal Luft holen und Timon etwas sagen, als das penetrante Handyklingeln ihn unterbrach und Timon ihm nur einmal kurz zuwinkte, bevor er ihm den Rücken zukehrte. "Heider, wo bist du?"
"Hallo Lotte, auch dir einen schönen Tag. In München, Treffen mit dem Redakteur."
Ein entnervtes Seufzen. "Erstens heißt das Charlotte für dich und zweitens kannst du mir das auch mal sagen."
"Charlotte, ich muss dir nicht alles sagen, was gerade in meinem Leben vorgeht. Wir haben uns getrennt. Das weißt du?"
Er hoffte so sehr, dass Timon diese Auseinandersetzung nicht mitbekam, aber mit einem Blick über die Schulter, war dieser schon einige Meter weiter gelaufen, drehte sich aber nochmal um. Flo biss sich auf die Lippe, während Charlotte, wie von einer Tarantel gestochen weiter monologisierte.
"Wir haben eine Tochter zusammen, Heider. Ich wollte sie gerade bei dir abgeben, weil du ja, nicht so wie andere, von zuhause arbeitest. In der Schule gehen Läuse um und die hat jetzt geschlossen für die Woche. Ich, anders als manche andere, muss bei der Arbeit aufkreuzen. Also, wann bist du da?"
"Zwei Stunden frühstens."
Wie immer schaffte es Charlotte, ein zu netter Name für so einen Drachen, ihm ein schlechtes Gewissen einzureden.
Wäre er früher los, hätte er Marie problemlos nehmen können und seinen Teil der Pflichten als Elternteil wahrnehmen können. Natürlich arbeitete Lotte ganztags. Alleinerziehend war immer schwer, aber sie hatte sehr oft Hilfe von ihm verweigert, die er ihr in den ersten paar Monaten der Trennung angeboten hatte. Jetzt probierte er es gar nicht mehr und bekam prompt zu hören, dass er ja nicht helfe.
"Ich kann nicht zwei Stunden bei ihr bleiben, Flo!"
"Dann nimm sie doch mit auf die Arbeit. Ich hol sie da ab. Deine Sekretärin liebt sie doch."
"Ja, aber die anderen nicht. Und schon gar nicht Guido. Er will ja noch nicht mal, dass der Hund von Sam mit ins Büro darf."
"Lotta, es ist doch für zwei Stunden."
"Charlotte, Heider, mensch! Der Lotte, Lotta-Kram zieht nicht mehr bei mir!"
"Das ändert nichts an unserer Problematik. Ich kann auch nicht zaubern. Ich nehme sie gerne für die Woche, aber sofort dasein kann ich leider nicht."
"Ja, gut, dann kommst du halt beim Büro vorbei und holst sie mit ihren Sachen ab.Ich kann sie dann nicht auch noch bei dir vorbeifahren."
"Habe ich nicht gesagt."
"Gut, ciao."
"Tsch..." Da hatte sie schon aufgelegt.
Flo seufzte und nahm endlich die U-Bahn zum Hauptbahnhof, setzte sich in den Zug nach Regensburg und hatte die ganze Zeit den leeren Chat mit Timon offen.

Flo: Hey, Flo hier, falls es dir nicht klar war. Komm gut nach Hause und verschütte bitte nicht deinen Kaffee.

Timon: Hey. Timon hier. Aber, oh das weißt du ja. Ich hatte keinen Kaffee, sondern Kakao. :) Gut zuhause bin ich jetzt auch.
Timon: Wie lange dauerts bei dir noch?

Flo: Zum Glück noch eine halbe Stunde. Bis ich zuhause bin, sogar noch länger.

Timon: Oh, okay. Dann bringt es dir nix, wenn ich dir schreib, dass ich auf der Couch sitze, ein Kaninchen auf den Beinen habe und es mir generell gut gehen lasse?

Flo: Vorsicht junger Mann, gleich is Bettzeit!

Timon: Du brauchst gerade reden. Gib doch zu, dass du gerade wieder ins Altenheim fährst :P

Flo: Mist. Erwischt.
Flo: Aber, moment. Kaninchen? Ich hoffe, du meinst das nicht in dem Sinne, dass du das geschmort in irgendeiner Soße isst?!

Timon: Nein. Ein lebendiges und sehr flauschiges. Zwei, um ehrlich zu sein. Das andere baut gerade eine Höhle im Häuschen.

Flo: Süß!

Timon: Ich wusste es, dass ich dich mit Quality-Bunny Content rumkriegen würde.

Flo: Du hast mich schon rumgekriegt, indem du mir Kaffee übergeschüttet hast.

Regensburg wurde knarzend über den Lautsprecher angekündigt und Flo steckte schweren Herzens sein Handy weg. Timon hatte sich als ein Lichtblick an diesem Tag erwiesen. Und wenn Florian jetzt an die Begegnung mit seiner Ex dachte, drehte sich das Croissant vom Münchner Bahnhof in seinem Magen um.
Er liebte Marie über alles und würde ihr die Welt zu Füßen legen. Lotte dagegen? Sie hatte sich verändert, schon während ihrer Beziehung und das nicht zum Guten.
Florian wusste, in dem Moment in dem er an ihre Bürotür klopfte, dass er sich Kommentare wegen seinem Hemd anhören musste.
"Florian, endlich." Erleichtert schaute eine sehr gestresste Charlotte von dem Computer auf, während Marie vom Teppich aufsprang, den Buntstift hinwarf und ihren Vater umarmte.
"Papa!"
"Motte, hey." Flo kniete sich vor sie und schloss sie in die Arme. Sie hatten sich zwar erst vor ein paar Tagen gesehen, aber vermisst hatte er sie so oder so.
"Na endlich. Ich bring dir später ihre Sachen vorbei." Charlotte hob die Augenbraue als sie Florians Outfit sah. "Aber danke, dass du sie nimmst."
Ein müdes Lächeln huschte über ihr Gesicht und für einen kurzen Augenblick sah Flo die Frau wieder in die er sich so Hals über Kopf verliebt hatte.
"Klar gerne, alles für meine Motte. Komm, lassen wir Mama wieder arbeiten. Du darfst dir aufm Nachhauseweg überlegen, was wir zu essen machen."
Marie nickte schüchtern, nahm ihren Schulranzen und verabschiedete sich von ihrer Mutter.
Flo hielt ihre Hand, als sie über den großen Parkplatz zu seinem kleinen roten Auto gingen.
"Können wir Pommes essen?", fragte sie, als Florian ausgeparkt hatte und dieser drehte ein bisschen seinen Kopf und nickte.
"Klar. Auch Karotten-Pommes?"
"Aber nur mit Ketchup."
"Du verhandelst ziemlich hart." Er grinste und eine Last hob sich von seinen Schultern, die er seit dem Anruf von Charlotte gehabt hatte.
"Tja." Der stolze Ton brachte Flo nur noch mehr zum Grinsen.
In Flos Wohnung luden sie erstmal die Sachen ab und Flo zog sich um. Es kam ihm plötzlich so ungewohnt vor, nicht nach Kaffee zu riechen. Das Handy schon in der Hand und er wollte eine Nachricht an Timon losschicken, aber mittendrin stockte er.
Er hatte eine Tochter um die er sich zu kümmern hatte und wegen dem Geplausche mit Timon war er nicht rufbereit für sie gewesen. Es kam ihm so vor, als hätte er sie enttäuscht.
Wenige Tage nach ihrer Geburt hatte er das kleine Bündel in den Armen gehalten, zugeschaut, wie sie die Augen öffnete und nach kurzer Zeit müde wieder schloss. In seinen Armen hatte sie aufgehört zu weinen, in seinen Armen hatte sie an seinem Daumen genuckelt und freudig gekräht. Er hatte sich damals geschworen, als Charlotte schlief und er und Marie die einzigen Menschen auf diesem Planeten schienen, dass er immer für sie da sein würde, sie nie enttäuschen würde, egal was passiert.
Ein paar Jahre später hatten Charlotte und er sich getrennt. Er blieb trotzdem für Marie da und sah sie aufwachsen. Florian war trotz der Trennung bei allen Kindergartenaufführungen, Sommerfesten und beim Laternelaufen an Sankt Martin, wenn es Charlotte zu kalt war, da lief er mit Marie Hand in Hand durch die Straßen und sang mit ihr "Laterne, Laterne Sonne Mond und Sterne...".
Langsam steckte er das Handy weg und ging in das Wohnzimmer, wo Marie schon mit ihrem Malbuch und einer Masse an Buntstiften dalag.
"Was malst du?"
"Mama hat mir ein Moana Malbuch gegeben. Schau!" Stolz hielt sie es in die Höhe und Florian sah das aktuellste Ausmalbild, wo sie versuchte sich an die Linien zu halten und nicht drüber zu malen.
"Sehr schön. Hast du den Film mit Mama geschaut?"
"Jaa. Ich hab Hunger, wann essen wir was?"
"Jetzt? Wir müssen aber noch kochen."
"Meinetwegen. Hast du meine Schürze noch?"
"Ja klar, was wäre ich ohne meine Meisterköchin."
"Gut." Marie nickte und nachdem sie ihre Malsachen aufgeräumt hatte, sprang sie auf. "Essen machen! Jetzt!"
"Ja, Frau Diktatorin Motte, ihr Wunsch ist mir Befehl!" Flo salutierte und ging hinter ihr in die Küche, band ihr die Schürze um. Gemeinsam wuschen sie Kartoffeln, kochten sie vor und schälten Karotten.
Wie so oft war Florian erstaunt wie reif Marie für ihr Alter schon war.
Eine Stunde später lagen beide mit vollem Magen auf der Couch, schauten fern und Florian nur mit einem halben Auge auf den Bildschirm. "Hast du eigentlich noch Hausaufgaben zu erledigen?"
"Hab ich alles bei Mama im Büro schon gemacht." Sie wandte den Blick nicht vom Fernseher ab.
"Sicher? Konntest du dich denn da konzentrieren?"
"Ja, Papa." Auch ohne dass er sie anschaute, konnte er einen entnervtes Gesicht erahnen. "Das waren nur die Zahlen bis 30."
"Wenn du dir sicher bist", Flo zuckte mit den Schultern. "Meine Tochter ist zu intelligent", sagte er mit sanfter Stimme und küsste ihren Haaransatz.
~
Gegen späten Nachmittag klingelte Charlotte Florian aus seinem Büro und brachte Marie Kleidung für eine Woche. Florian ließ die beiden alleine, während sie sich verabschiedeten. Es war für ihn zu privat.
Nachdem sie Abendbrot gegessen hatten, Moanas Credits liefen und Marie die Augen immer und immer wieder zufielen, brachte er sie zu Bett. Sie hatte ihr eigenes Zimmer in Florians Wohnung. Ein Bett, Regale mit Büchern, einen Schreibtisch und viele selbstgemalte Bilder, aber auch Fotos von Flo und Marie auf ihren diversen Ausflügen machten den Raum zu dem ihrigen.
Als Flo noch in einer kleineren Wohnung wohnte, musste Marie auf der Ausziehcouch im Wohnzimmer schlafen. Er hatte sich nicht richtig dabei gefühlt ihr nicht einen eigenen Raum zu geben, egal wie lange sie bei ihm blieb.
"Gute Nacht, Motte, schlaf gut." Ein Kuss auf die Stirn und dann deckte er sie zu, während sie friedlich weiterschlief.
Er lag noch lange wach und in Gedanken spielte er die Geschehnisse des Tages immer und immer wieder durch. Sah Timons Lachen.
Und griff schlussendlich zum Handy.

Timon: Gut zu wissen, dass meine Flirttaktik wirkte.
Timon: Bist du sicher zuhause?
Timon: Flo?
Timon: Alles okay?

Flo: Ja, alles okay und ja ich bin sicher zuhause angekommen.

Timon: Gut, habe mir schon Sorgen gemacht.
Timon: Wenn du deine Meinung geändert hast, bezüglich... nunja, dann sag es ruhig. Ich kann damit umgehen.

Flo war kurz davor das Handy aufs Bett zu werfen. Antwortete er mal einen Tag nicht jemanden, den er gerne näher kennen lernen würde, wurde es ihm gleich falsch ausgelegt. Dabei hatte er sich nur um Marie gekümmert. Er biss sich auf die Unterlippe. Würde es je möglich für ihn sein eine Beziehung zu führen? Was wäre, wenn sein Partner das nächste Mal es nicht gut fände, dass seine Ex so oft vorbeikommt und Marie abholt. Was wäre, wenn sein Partner in der Erziehung ein Wörtchen mitreden will? Was wäre wenn Marie vor ihm oder ihr Angst hat und denjenigen, in den Flo sich verliebt hat, rein gar nicht in Ordnung findet? Es gab so viele Möglichkeiten, wie das alles den Bach runtergehen könnte.
Am besten man fing damit gar nicht erst an.
Am besten wäre es, wenn er einfach ehrlich zu Timon war. Je früher dieser dann aus seinem Leben trat, desto besser.

Flo: Ich habe eine 6-jährige Tochter.
Flo: Ich liebe sie über alles und werde immer für sie dasein. Ihre Mutter und ich leben getrennt. Aber meine Tochter hat oberste Priorität.
Flo: Kannst du damit umgehen?  

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