Kapitel 3

522 32 4
                                    


Die Wettervorhersage hatte sich erfüllt. Draußen regnete es in Strömen und die Stimmung spiegelte meine Laune eins zu eins wieder. Eigentlich mochte ich den Regen, aber heute wollte ich einfach nur im Bett bleiben, was ich auch vorhatte. Doch das funktionierte nicht lange, denn genau in dem Moment als ich beschloss liegen zu bleiben hüpfte Lia auch schon zur Tür herein und tanzte wild auf meinem Bett herum. „Aufstehen Katy! Mama hat schon Frühstück gemacht!" „Lass mich", murmelte ich nur in mein Kissen und stieß sie unsanft von mir weg. „Aber es gibt dein Lieblingsmüsli. Das mit den Schokostückchen", entgegnete sie etwas vorsichtiger. „Na gut...", gähnte ich und schleifte mich aus dem Bett. Sie wusste eben wie sie mich zum Aufstehen brachte und das nervte gewaltig.

Am Küchentisch saßen alle versammelt. Meine Mutter, mein Vater und kurz darauf auch wieder Lia, die an mir vorbei in die Küche gehopst war. Meine Eltern starrten mich etwas verwirrt an und als ich mein Spiegelbild in einem Glasschrank erblickte, wusste ich auch wieso. Ich sah aus als hätte mich ein Pferd mehrere Kilometer hinter sich her geschleift, doch ich war zu müde um mich jetzt darum zu kümmern. Ich setzte mich also an den Tisch und aß. Nachdem ich beim Aufräumen geholfen hatte, verschwand ich wieder in mein Zimmer um mir was Gemütliches anzuziehen, schnappte mir meine Physikunterlagen und warf mich aufs Bett. Heute war lernen angesagt, denn Physik gehörte ebenfalls zu den „Logisch-denken-Fächern" die mir nicht lagen.

Und als ob mich das Schicksal davon abhalten wollte endlich einmal was für meine Noten zu tun, brachte mich ein großer Lärm von draußen dazu, sofort wieder von meinen Unterlagen wegzusehen. Vom Fenster aus konnte ich nichts erblicken also gab ich Aki ein Zeichen mir zu folgen und lief aus dem Haus.

Als ich den alten kleinen Stallgebäuden, die noch aus der Zeit stammten, in der der Hof noch meinen Großeltern gehört hatte, näherkam, konnte ich wildes Herumstampfen und Schnauben hören. Eindeutig ein Pferd, aber wieso sollte hier jemand langreiten? Bis ich an meinem Ziel ankam war ich komplett durchnässt, denn einen Regenschirm hatte ich in meiner Eile vergessen.

Zuerst konnte ich durch den dichten Regen nur erkennen, dass sich zwei Leute mit einem außer Kontrolle geratenen Pferd zu schaffen machten. Mein Vater war einer von ihnen, den anderen kannte ich nicht. Sie versuchten eine aufgebrachte Fuchsstute zu beruhigen, doch sie war völlig außer sich. Das Tier trat um sich, stieg auf die Hinterbeine und sprang herum, während mein Vater und der andere Mann versuchten sie in den Stall zu ziehen und sie in eine Box zu sperren. „Weg da Katy!", rief mir mein Vater angestrengt zu und ich sprang zur Seite als ich bemerkte, dass ich den Eingang zum Gebäude blockierte. Die Stute schien sich nun endlich in die Richtung zu bewegen, in die die Männer sie zerrten, wenn auch widerwillig. Bevor ich meinen Vater fragen konnte, was hier überhaupt los war, war er auch schon mit dem Unbekannten in Richtung Haus verschwunden.

Alles klar, jetzt war ich verwirrt. Wieso holte Papa ein Pferd nach Hause, und auch noch ohne was zu sagen? Hatte ich was verpasst? Ich folgte den beiden ins Haus und gesellte mich zu den anderen in die Küche wo sich meine Eltern und der Fremde gerade unterhielten.

„Aber was sollen wir denn mit ihr anfangen?" „Es ist doch nur vorübergehend", hörte ich meine Eltern und den Mann diskutieren. „Kann mir mal jemand erklären was hier gerade passiert?", wagte ich das Gespräch zu unterbrechen. „Hallo, ich denke wir kennen uns noch nicht. Ich bin Michael", stellte er sich vor. „Hi", ich reichte ihm die Hand. „Ich habe das Pferd im Wald aufgelesen. Es rannte ganz verwirrt und allein auf dem Weg herum. Ich habe mich im Internet nach dem nächsten Hof erkundigt und glücklicherweise die Handynummer deines Vaters gefunden." „Danach bin ich hingefahren und wir haben die Stute zusammen verladen und hergebracht.", beendete mein Vater den Satz.

Später fanden wir heraus, dass das Pferd weder gechipt war, noch ein Brandzeichen oder sonstige Erkennungsmerkmale hatte. An den Beinen hatte sie einige Verletzungen, bei denen wir nicht sicher waren woher sie kamen. Wir gaben eine Anzeige auf, dass wir das Pferd gefunden hatten, doch niemand meldete sich, es gab auch keine Anzeichen dafür, dass jemand das Tier sucht. Mein Vater, der früher ein begeisterter Reiter gewesen war, versuchte mehrmals mit Paddy klar zu kommen, doch sie verhielt sich total verstört, wenn man auch nur mit Sattel und Zaumzeug in ihre Nähe kam. „Paddy" nannte ich sie jedenfalls. Papa bestand auf „Pequena Estrela", was „kleiner Stern" bedeutete. Das klang zwar schön, war jedoch meiner Meinung nach viel zu lang um sie immer beim vollen Namen zu nennen, weshalb ich daraus kurzerhand einen Spitznamen für sie gemacht hatte.

Die Wochen vergingen und noch immer hatte sich Paddys Besitzer nicht finden lassen. Mein Vater war begeistert von diesem Pferd, während sich die Freude meiner Mutter in Grenzen hielt. Die Stute hatte wohl seine frühere Leidenschaft für das Reiten wieder entfacht.

In der Schule ging es jetzt an die letzten Prüfungen vor den Osterferien.

Es war Freitag und wir hatten die Physik Tests zurückbekommen. Diesmal war es bei mir zur Abwechslung gar nicht so schlecht gelaufen, auch wenn sich das nicht unbedingt auf das Lernen, sondern eher auf pures Glück zurückführen ließ. Jetzt hieß es endlich mal für eine Woche entspannen, nichts-tun und einfach die Ferien genießen. Das Wochenende über war Liv bei mir. Wir schauten jeden Abend Filme und konsumierten viel zu viel Chips und Cola.

Am Sonntagvormittag kam mein Vater ins Zimmer. Er trug seine alten Reitklamotten. „Ich geh jetzt nochmal rüber zu Paddy, sie hat sich in den letzten Tagen sehr gebessert. An der Longe war sie echt brav und ich möchte heute versuchen sie zu reiten. Wollt ihr nicht mitkommen?" „Nö", ich lehnte ab. „Aber natürlich kommen wir mit!" Liv packte mich am Handgelenk und zerrte mich hoch. Widerwillig folgte ich ihr und Papa zum Stall. Wir halfen ihm die schöne Fuchsstute zu putzen und von dem wilden, aufgebrachten Pferd war tatsächlich nicht mehr viel zu sehen. Sie legte zwar manchmal misstrauisch die Ohren an, zuckte mit dem Kopf nach oben oder tänzelte herum, jedoch war das nicht zu vergleichen mit dem was ich vor ein paar Wochen, als sie hergebracht worden war, gesehen hatte. Papa kam mir mit einem ziemlich verstaubten Sattel und einem Westernzaum, der an den Schnallen teilweise etwas rostig war, entgegen als ich Leikas altes Putzzeug wegräumen wollte. Ich dachte zurück an die Zeit, als ich es noch jeden Tag für die hübsche Ponystute verwendet hatte. Jetzt war es eingestaubt und schmutzig vom Herumliegen und nichts erinnerte an die schöne Zeit mit der es in Verbindung stand.

Ich war gerade dabei den Putzkoffer zu verstauen, als ich ihn vor Schreck fallen ließ. Wildes Hufgetrampel und Schnauben waren zu hören und ich konnte mir schon denken, was los war. Meine Vermutung bestätigte sich als ich zurück an der Stelle wo wir Paddy vorhin angebunden hatten ein Pferd vorfand, das nun doppelt so groß schien, wie es eigentlich war. Jetzt erkannte ich das Tier von jenem regnerischen Tag wieder, das mich trotz strömendem Regen aus dem Haus gelockt hatte. Völlig außer sich sprang die Stute herum, trat in alle Richtungen aus und im richtigen Moment riss sie den Kopf mit einer derartigen Wucht nach oben, dass das Halfter nicht standhalten konnte und zerriss. Mit weit aufgerissenen Augen stürmte sie aus dem Stall. Wir rannten nach draußen und sahen, wie sie völlig panisch auf dem Gelände vor dem Haus herumlief. Das Grundstück war umzäunt und das Tor zur Auffahrt geschlossen, sodass der einzige Weg nach draußen der durch den Hof war, den auch ich meistens nehme. Paddy bemerkte das leider vor uns und stürmte zwischen den alten Gebäuden hindurch. Als wir zu der Stelle kamen, wo der Feldweg begann konnten wir nur noch eine fuchsfarbene Gestalt im Wald verschwinden sehen.

Zwei Herzen, eine SeeleOnde as histórias ganham vida. Descobre agora