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„Perhaps our eyes need to be washed by our tears once in a while, so that we can see life with a clearer view again."

(Alex Tan)

Irgendwann, als Zunge, Gehirn und Tränendrüsen wieder kooperieren wollen, als die schreckliche Situation endlich überstanden ist, als meine Welt aus nichts anderem mehr als Ruinen besteht, verkünde ich der ersten Person, dass ich versagt habe.

Versagt?", wiederholt mein bester Freund.

Ich nicke beschämt.

Du hast nicht versagt."

„Oh doch."

Er schüttelt den Kopf. „Du hast dein Ziel heute nicht erreicht. Na und? Das bedeutet nicht, dass du es nie erreichen wirst. Du hast nicht versagt. Du hast bloß noch nicht gewonnen."

„So einfach ist das nicht", seufze ich. „Ich hätte es schaffen müssen. Heute."

Dann hat es heute eben noch nicht geklappt. Dann schaffst du es halt erst zu einem späteren Zeitpunkt. Das reicht auch noch völlig."

Seine Worte enthalten so viel Weisheit, doch der Schock über meine Niederlage sitzt mir noch tief in den Gliedern, sämtliches positives Denken wurde auf den Nullpunkt heruntergefahren. Es ist mir nicht möglich, mich von seiner Denkweise anstecken zu lassen.

Ich habe versagt – das ist der einzig gültige Satz, den mein Verstand akzeptiert und als unumstößliche Wahrheit anerkennt.

Und wieder kehren die Tränen zurück, die ich so sehr verabscheue. Ich wische ein paar von ihnen mit dem Ärmel weg.

Ist schon gut. Weine ruhig, wenn dir danach ist."

Die Tränen lassen nicht nach. Das Verlangen zu weinen ist so unbeschreiblich stark, wie es schon sehr lange nicht mehr war. Ich beschließe, nicht mehr dagegen anzukämpfen.

Ich bin so mit mir selbst beschäftigt, dass ich erst mitkriege, dass mein bester Freund eine Packung Taschentücher beigeschafft hat, als diese in meinem Schoß landet.

„Danke", nuschele ich und lasse das erste Tuch zum Einsatz kommen. Das zweite folgt sogleich.

Und dann sitzen wir lange beieinander und er schweigt und ich weine.

Ich weine und weine.

Auch dann noch, als ich mir sicher bin, dass alle Flüssigkeit in meinem Körper längst aufgebraucht sein muss.

Eine Träne folgt der nächsten.

Meine Taschentuchverschleißrate steigt ins Unermessliche.

Aber gleichzeitig tut es auch gut, alles raus zu lassen, denn die Last auf meinen Schultern scheint ein bisschen leichter und mein Blick auf die Dinge ein bisschen klarer zu werden.

Irgendwann sind die Tränen versiegt und meine Nase ist wieder einigermaßen frei. Als dieser Moment gekommen ist, nehme ich einen tiefen Atemzug.

Es ist der beste Atemzug des ganzen Tages.    

Ein Schritt zurückWhere stories live. Discover now