"Ein Stich heilt schnell. Keine große Sache."

Jacy scheint meinem Blick gefolgt zu sein, oder aber er besitzt telepathische Kräfte, von denen ich nichts weiß - ich hoffe auf ersteres, ansonsten muss ich dringend meine seltsamen Gedankengänge zügeln. Als ich jedenfalls wieder hochsehe, fokussiert er erneut schamlos direkt meine Wenigkeit. Kann er nicht mal die anderen mit diesen gruseligen Augen durchbohren? Ich fühle mich langsam belästigt.

"Ja, und? Gehst du jetzt rauf oder nicht?", meckert Sam mit aggressivem Unterton, sieht dabei aber niemand bestimmten an. Wie alle hier - ausgenommen Jacy, dem das alles ziemlich am Schweif vorbeizugehen scheint - sitzt der Student nun ausgenscheinlich auf Nadeln. Ob er nun gespannt ist, ob die Fledermaus tatsächlich menschliche Züge angenommen hat, oder aber lieber sofort die Flucht ergreifen will, lässt sich nur erraten.
Ich, für meinen Teil, leide ein wenig an beiden Ansichten.

Jacy seufzt schwer und verdreht die Augen, als wäre unsere Furcht unbegründet und wir nur hysterisch und hypersensibel. Jedoch wendet er nichts dagegen ein und dreht sich Richtung Stiegenaufgang, ohne einen einziges Kommentar zu verlieren. Unschlüssig beobachte ich, wie der Kater gemächlich zum Treppenaufgang schreitet, hinter der Ecke aus meinem Sichtfeld verschwindet und vollkommen lautlos die Stufen erklimmt, sodass sich nicht sagen lässt wann er die obere Etage erreicht hat. Ich komme mir dämlich und unglaublich nutzlos vor, wie ich planlos in dem stinkenden Gang stehe. Aber immerhin bin ich nicht die Einzige.

"Sollen wir nachgehen?", fragt Olivia in die aufkommende Stille hinein, ihre Stimme klingt so zerrissen, wie ich mich fühle. Neugier und Angst fechten in mir einen heftigen Kampf um die Oberhand, doch ein Gewinner lässt sich bisher nicht feststellen. Viel mehr bin ich hin- und hergerissen zwischen der Hoffnung, ich könnte doch recht gehabt und die Fledermaus aus ihrem Blutrausch geholt haben, oder aber wir dürfen gleich mit ansehen, wie Jacy ihr den Kopf abtrennt - oder mit anhören, je nachdem, ob sie es bis ins Erdgeschoss schaffen.

"Hört ihr das?"

Sams Stimme ist nicht mehr als ein heiseres Flüstern, doch gerade dies lässt mich aufhorchen. Ich horche in die Stille hinein, doch bis auf meine eigenen Atemzüge kann ich keinen Ton ausmachen.

"Was meinst du?", fragt Olivia ebenso leise zurück, vermutlich aus Reflex. Als keine Antwort kommt, will die Jamaikanerin schon erneut nachfragen, doch der Student deutet iht mit streng hochgestrecktem Zeigefinger, ruhig zu sein. Dann führt er seine zu einer Schüssel geformten Hand ans Ohr, deutet erneut seinen Befehl. Hört.

Diesmal halte ich den Atem an, lausche wieder. Ganz leise, abgestumpft durch dickes Gemäuer und verloren in der Ferne, erklingt tatsächlich ein raues, dunkles Knurren. Einen Moment lang strauchelt meine Orientierung, die Ortung ist beinahe unmöglich, so leise ist das undefinierbare Geräusch. Meine Brustkorb beginnt bereits leicht zu protestieren, doch ich wage es nicht, die vorherrschende Ruhe zu zerstören, so, als könnte ich damit den Ton vertreiben.
"Das kommt von draußen", sagt Sam plötzlich. Die normale Lautstärke seiner Stimme kommt mir durch das lange Schweigen unglaublich laut vor und ich zucke zusammen, fasse mich aber eiligst wieder.
Draußen? Das ist... ist das gut? Oder nicht? Verwirrt blicke ich den Lockenkopf an, dessen Miene vor Konzentration ganz verkniffen ist. Wie in Zeitlupe mache ich einen Schritt rückwärts auf die Ausgangstür zu, ohne zu wissen, ob ich tatsächlich ins Freie treten will. Das Geräusch ist unglaublich dumpf und scheinbar weit entfernt, doch die Mauern könnten täuschen und...

"Das ist ein Auto!"

Davor schon habe ich mich vor seinen Worten geschreckt, doch der plötzliche Ausruf lässt sogar Olivia zurückzucken. Bevor ich seine Worte richtig fassen kann, rammt Sam mich auch schon gröber als nötig zur Seite und peilt mit unachtsam lauten, langen Schritten den Ausgang an.
"Warte! Bist du dumm?!", japse ich, noch während ich durch seinen unsanften Schups strauchel. Wie aus einem Reflex heraus lange ich nach ihm, bekomme seine Schulter am Shirt zu packen und stemme mich seinem Zug entgegen. Zwar reicht mein Körpergewicht nicht aus, um ihn zurückzureißen, stattdessen aber werde ich ruckartig vorwärts gezogen und stolpere gegen den Studenten. Wie durch Zufall gerät mein Fuß vor seinen, unsere Beine verhaken sich und wir küssen beide den Boden.
Also, Sam tut das.
Ich dagegen falle auf seinen Rücken, eine handvoll Lockenhaar presst sich an meinen Mund und ich huste angeekelt in die fettig-feuchten Spiralen. Damit wäre mein täglicher Kalorienbedarf womöglich gedeckt.
Sam flucht wüst auf, wie es nur in den asozialsten Rap-Songs erlaubt sein sollte. Anstatt sich zu bedanken, dass ich gerade verhindert habe, dass er in blinder Naivität ins Unbekannte rennt, katapultiert er mich mit einer einzigen schnellen Bewegung von sich, sodass ich hart auf den Flurboden falle.
Direkt auf den Rücken.

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