Konfrontation

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Zwei Tage vor Gwens Training mit Alex:

~Leander~

Mein erster Gedanke nach dem Aufwachen ist John.
Verdammt, was hat er sich nur dabei gedacht?! Dieser Idiot! Was erwartet er nach so einer Aktion? Dass ich verliebt auf ihn zustürme und allen sage, dass ich schwul bin? Das kann er sich abschminken!

Wütend stehe ich auf und mache mich fertig für den Tag. Unterbewusst lasse ich meine Wut an allem aus, mit dem ich zu tun habe.

Meine Kleidung wird ruppig behandelt, meinen Rucksack reiße ich förmlich vom Fußboden, mein Essen wird brutal zermürbt... naja das wird es eigentlich immer. Wie soll man auch sonst kauen? Sanft? Bei dem Gedanken schleicht sich das erste kleine Lächeln seit gestern auf meine Lippen.

So schnell es kommt, verscheuche ich es wieder. Lächeln kann warten, bis ich das mit John geklärt habe.

Nachdem mich mein Fahrrad wiedermal sicher zur Schule gebracht hat, ist meine Wut immernoch nicht verraucht. Sobald ich John auf dem Gang entdeckte, beschleunigt sich mein Schritttempo.

Ohne ihn anzusehen packe ich seinen Arm und ziehe ihn in dem Keller. Welch Ironie.
Dort bin ich allerdings nicht so dumm einfach mitten im Gang stehenzubleiben.

Es gibt eine Tür die nicht verschlossen ist. Der Raum dahinter ist leer, bis auf einen Tisch. Wahrscheinlich werden hier die Tische und Stühle gelagert, wenn das Schuljahr zu Ende ist, damit sie nicht gestohlen werden.

Mir ist das grade allerdings sowas von egal. Mit der Kraft die mir meine Wut verleiht, stoße ich John in dem Raum.

Ich bin nicht der kräftigste und auch nicht gewillt mich zu prügeln, also bleibt mir nur meine Stimme.

„WAS ZUR HÖLLE HAST DU DIR DABEI GEDACHT?!
KENNT DEIN KLEINES GEHIRN DIE WÖRTER »FREIER WILLE« ÜBERHAUPT?! Schon mal dran gedacht, dass ich auch was dabei fühlen könnte?! Dass ich das vielleicht nicht wollte?! Hast du dir gedacht »Ach der Leander der ist eigentlich ganz süß, lass ihn mal küssen«?
Oder »Ey den neuen kann ich mal so richtig verarschen«? Was geht nur in deinem Kopf falsch? Erklärs mir."

Am Ende wird meine Stimme immer leiser, weil ich nicht mehr so viel Luft habe und meine Wut nachlässt. Das "Erklärs mir" ist also wieder in normaler Lautstärke.

Mit aufgerissenen Augen und vor Schock leicht offenem Mund schaut John mich an. Ich kann fast sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitet.

„Ich, ähm..., ich kann..., weil", stottert er herum, in dem bemühen einen richtigen Satz zu bilden und sich zu erklären.

„Lass stecken. Ich hab genug von dir."
Ich habe nach dem ganzen Schreien einfach keine Kraft mehr, mich mit ihm zu befassen. Enttäuscht und motivationslos wende ich mich ab und verlasse den Raum.

Als ich die Kellertreppe wieder hochsteige, sehe ich, wie er die Tür wieder hinter sich schließt und auch den Weg zum Treppenhaus findet.

Ich schaue nicht nochmal zurück und schleppe mich in den Unterricht.

Der restliche Tag verläuft schrecklich langsam. Ich gehe der Gruppe aus dem Weg, aber manchmal sehe ich wie John schuldbewusst den Kopf hängen lässt, wenn er mich bemerkt.

Zweimal laufe ich ihr über den Weg; einmal als Clara👊 und einmal als Palina👌.

Meine Methode mit die Zeichen zu merken, ist folgende:

Clara ist einfach mein Kumpel. Das ist easy zu merken.👊
Bei Palina formen Daumen und Zeigefinger den Bogen vom P👌,
Ella ist immer aufmerksam, eher vorsichtig, und auf Friede bedacht, deswegen dieses Peace-Zeichen✌ und Gwen... ist einfach...👍

Ich wechsele allerdings nur ein paar Worte mit beiden.

Irgendwann ist die Schule endlich aus und ich fahre wieder nach Hause.
Mein Tag ist mies, bis mir eine Beschäftigung einfällt, die mich vielleicht ablenkt. Klavier spielen.

Das ist DIE Idee!
Wie ein Wirbelwind rase ich durchs Haus und aus der Tür. In rekordverdächtigen 15 Minuten bin ich bei dem Laden angekommen.

„Hallo?", rufe ich hinein, während ich die alte Holztür hinter mir verschließe. Es scheint niemand da zu sein, aber sonst wäre doch nicht offen oder?

Langsam bahne ich mir einen Weg durch das, immernoch herrschende, Chaos des vorderen Ladens zum Klavierzimmer. Wie zu erwarten sitzt dort der alte Mann und hat wahrscheinlich nur auf mich gewartet, denn jetzt fängt er an zu spielen.

Ich bekomme langsam echt Angst vor seinen hellseherischen Fähigkeiten. Wie macht er das nur, dass er immer weiß wann ich komme? Ich meine bis vor 20 Minuten wusste ich das ja selber nicht!

Oder er sitzt da schon die ganze Woche genau so und wartet auf mich. Gruselige Vorstellung.

Ich schiebe diese Überlegungen erstmal beiseite und setze mich neben ihn. Schnell finde ich heraus, welche Tonart er nimmt und steige ein.

Einfach improvisieren und vierhändig am Klavier spielen ist wirklich befreiend.

Für bestimmt 15 Minuten vergesse ich alle Ereignisse der letzten Tage einfach und fliege mit der Musik durch Phantasiewelten.

* Kurzer Einschub von der Autorin:
Ich werde Phantasie mit Ph schreiben und nicht, wie im Duden empfohlen, mit F, weil ich finde, dass es einfach besser zu dem Wort passt und schöner aussieht. (Vielleicht auch gerade weil es die "alte" Rechtschreibung ist)
Außerdem gilt das auch für andere Wörter wie z.B. Delphin.

Irgendwann steigt er aus und schaut mir nur noch zu. Ein paar Minuten später lasse ich die Töne verklingen.

„Ich glaube dein Unterricht ist hiermit beendet."
Irgendwie machen mich diese Worte traurig. Nein. Nicht irgendwie. Ich habe die Nachmittage gerne hier verbracht und es kommt mir so kurz vor.

„Aber ich bin doch grade mal vor fast einem Monat hier reingestolpert. Und dem "Unterricht" hatte ich nur ein dutzend mal", widerspreche ich.
„Freu dich doch. Du bist ein Naturtalent."

Ich gucke ihn nur mit dem ausdruckslosesten Gesichtsausdruck an, der mir gelingt. Wie wäre das denn, jetzt vor einem alten Mann meine Gefühle auszuschütten?! Ich will hier nicht weg!
Hier konnte ich immer Ablenkung finden und wenn mein Unterricht vorbei ist, habe ich keinen Grund mehr hier her zu kommen.

Aber anscheinend ist meine Trauer, oder was immer dieses leere Gefühl war, unbegründet, denn er beugt sich vor und schließt mich in eine Umarmung. An meinem Ohr flüstert er: „Du kannst aber gern immer mal wieder hier vorbei schauen, wenn du Lust hast. Ich würde mich wirklich freuen. Sonst ist es hier so langweilig."

Er lässt mich wieder los und zwinkert mir zu.

„Außerdem wolltest du doch ein Klavier kaufen oder?" Er grinst mich schelmisch an und wir lachen gemeinsam los.

normal? schwachsinn!Where stories live. Discover now