One | Kihyun 🌙

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Nachdenklich streiche
ich mir durch mein braungefärbtes Haar, als ich zum bestimmt zehnten Mal dem langen Text, den mir Hoseok geschrieben hatte, überfliege. Ich finde es süß, dass er versucht mich möglichst nicht zu verletzen in dieser Nachricht. Aber diese Mühe hätte er sich sparen können, da ich es schon gewöhnt bin, ständig verlassen und im Stich gelassen zu werden von Menschen, die mir etwas bedeuten. Mit der Zeit hat sich eine Art Hornhaut auf meiner Seele gebildet, um mich vor erneuten Schmerzen, die mir andere beabsichtigt oder unabsichtlich zufügen, zu schützen. Ich kann nicht behaupten, dass es mir am Arsch vorbei geht, dass Hoseok gerade unsere Beziehung beendet hat, aber es schmerzt schlicht und einfach nicht mehr so sehr wie früher.

"Ein Americano, bitte", reißt mich die Stimme eines Kunden zurück in die Realität. Schnell setze ich mein bestes Lächeln auf: "Sehr gerne." Freundlich-und Höflichkeit steht in dem Café in dem ich arbeite an erster Stelle, also nehme ich brav die Bestellung auf und erfülle den Wunsch des Kunden. "Bist du nicht Yoo Kiyhun?", fragt der Kunde neugierig. "Du kommst mir vertraut vor. Ich glaube wir wohnen in dem selben Studentenwohnheim." Ich mustere den jungen Mann genauer. "Ah, du kommst mir auch bekannt vor, wie war noch gleich dein Name?", frage ich ihn mit einem sanften Lächeln auf den Lippen. Hoffentlich merkt er nicht, dass das eine glatte Lüge war, da ich absolut keine Ahnung habe, wer er sein könnte. Ich achte nicht wirklich auf die anderen Studenten. Ich habe meinen besten Freund, das reicht mir. Lieber einen wahren Freund als viele falsche, denn wahre Freunden erstechen dich von vorne.

"Lee Jooheon", antwortet der Blondhaarige und schenkt mir ebenfalls ein Lächeln, aber dieses Lächeln war bedauerlicher Weise nicht echt. Ich erkenne ein Lächeln, das von Herzen kommt, würde ich behaupten. "Soll ich dir den Americano an den Tisch bringen?", frage ich ihn, während ich den Becher beschrifte. "Was soll ich auf den anderen Becher schreiben?" "Changkyun", meint er schlicht und ich könnte schwören ein Glitzern in seinen Augen gesehen zu haben, als er den Namen des anderen ausgesprochen hatte. "Alles in Ordnung?" Überrascht sehe ich Jooheon an. "Natürlich, wieso fragst du?", murmele ich perplex. Bröckelt etwa meine perfekte Fassade und seit wann interessiert sich jemand für meine Existenz? Ein trauriges Lächeln legt sich auf seine Lippen: "Du strahlst etwas trauriges aus." Er reicht mir ein paar Geldscheine. "Der Rest ist für dich", meint er, nachdem er die Kaffeebecher entgegengenommen hat und ich ihm gerade das Wechselgeld herausgeben wollte. "D-danke", murmele ich perplex. Der Blonde kehrt mir den Rücken zu und verlässt das Café, während ich beschließe die Tische abzuwischen, da gerade keine Kunden da sind.

"Wieso kleben Menschen ihre Kaugummis immer unter die Tische? Es ist ja nicht so, als würde das die Tische verschönern und außerdem gibt es Mülleimer", brumme ich genervt, während ich die Platte des Tisches dezent misshandele. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich demnächst Feierabend habe. Zum Glück, denn ich muss noch für die Uni lernen. Das helle Klingeln der Glocke, die über der Tür hängt, erklingt und gibt mir damit das Zeichen dafür, dass ich wieder was zutun habe. Schnell verschwinde ich wieder hinter den Tresen und setze ein gekünsteltes Lächeln auf, wie eigentlich jeden Tag. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal richtig gelächelt oder gar gelacht hatte.

"Guten Abend", begrüße ich den Kunden freundlich. "Dein Kaffee schmeckt scheiße", keift der Junge mich an und automatisch mache ich mich etwas kleiner. "Und du hast meinen Namen falsch geschrieben!" Das muss also dieser Changkyun sein. Wie kann man bitte auf so eine Beißzange stehen? "Es tut mir leid", entschuldige ich mich. "Ich gebe dir natürlich das Geld zurück, wenn du möchtest." Erschrocken quieke ich auf, als der Inhalt des Kaffeebechers auf meinem Oberkörper und meinem Gesicht landet. Was zum-", wollte ich gerade ansetzten, als er mich scharf unterbricht: "Nicht nötig, dass reicht als Entschädigung." Damit verlässt er in aller Seelenruhe das Café.

Mit einem geknickten Blick sehe ich in den Spiegel, als ich mir den Kaffee aus dem Gesicht wasche. Mir blickt ein erschöpfter, junger Mann entgegen, der mit seinem Leben schon abgeschlossen hat, wenn er nicht den Drang hätte, anderen zu helfen. Deswegen studiere ich auch Psychologie, was eine ziemliche Ironie zu meinem Dasein ist. Aber es heißt ja immer so schön, jeder Psychologe hat sein eigenes psychisches Problem. Halb Acht, mein Stichwort. Ich verschwinde in den Mitarbeiterraum und lege die Schürze ab, bevor ich mir meine Jacke überstreife. Ich rufe eine Verabschiedung und eile zu meiner Bahn. Ich will mich nur noch ins Bett legen und schlafen, aber halt. Kihyun du musst noch was für die Uni tun.

Der Neuschnee bedeckt sanft den Gehweg und verfängt sich in meinen Haaren. Ich wünschte, ich könnte meine Sorgen auch unter einer Schneeschicht begraben, aber vermutlich würde der Schnee sofort anfangen zu tauen. Es bräuchte schon eine dicke Schicht ewiges Eis um meine Gedanken zum Schweigen zu bringen. Winter ist eine unglaublich schöne Jahreszeit und gleichzeitig auch nicht. Wie aufs Stichwort lässt mich eisiger Wind frösteln und aus Reflex ziehe ich die dicke Jacke enger an meinen Körper. Die Straßen sind schön beleuchtet und unterstreichen die winterliche Atmosphäre. Es wäre sicher schön gewesen einmal mit Hoseok durch diese Straßen zu streifen, aber er hat mich verlassen, obwohl er mir versprochen hatte, immer an meiner Seite zu bleiben und doch hat er mich fallen gelassen, wie eine zu heiße Kartoffel, an der er sich verbrannt hat. Ich ertrage es nicht länger. Ich bin jung, ich will mein Leben genießen. Du belastest mich zu sehr, das schrieb er mir unter anderem. Ich sehne mich doch nur nach jemand, der bleibt.

Erleichtert atme ich auf, als ich den U-Bahn-Bahnhof erreiche. Geschützt von dem eisigen Wind und dem Schnee, der mir die Haare durchnässt, schlüpfe ich in die Menge von Leuten, die sich in die verschiedenen U-Bahnen drängeln und zu verschiedenen Bahnsteigen hetzen, damit sie keine Bahn später nehmen müssen. Mir macht es nichts aus, warten zu müssen. Ich bin nicht gerade scharf darauf, alleine in meinem Zimmer über dem Stoff zu brüten, lieber beobachte ich die Menschen und frage mich, was wohl ihre Geschichte ist. Jeder hat nämlich seine ganz eigene Geschichte die genau so individuell ist, wie jeder Mensch einzigartig ist. Ein Seufzen kommt mir über die Lippen, als ich ein Pärchen, die sich fast gegenseitig auffressen, entdecke. Ich sehne mich nach Hoseok.

"Wollen Sie Spaß~?", ertönt eine sanfte, männliche Stimme, die versucht verführerisch zu klingen, aber bei dem Versuch kläglich scheitert. Der junge Mann, der gefragt hat, hat nun meine volle Aufmerksamkeit. Die dunklen Haare, die feinen Gesichtszüge und die rosanen Lippen stechen mir direkt ins Auge. Er ist hübsch, auch wenn er ziemlich abgewrackt aussieht. Der ältere Mann, den er angesprochen hatte nickt mit einem lüsternen Blick. "Wie viel willst du denn, kleine Schlampe?", grunzt er und legt die Hand auf den Hintern des jungen Mannes. Bei diesem Anblick könnte ich kotzen. Was für ein widerwärtiger Mann. Aus einem Impuls heraus dränge ich mich zwischen die Beiden und sehe dem Schwarzhaarigen fest in die Augen. "Ich will-... also ich...", stammele ich und spüre, wie meine Wangen sich erhitzen. "Verpiss dich, Kleiner!", schnauzt der Alte. "Wir machen hier Geschäfte, also geh woanders spielen."

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Viele denken, es ginge mir nur um Aufmerksamkeit. An die Verzweiflung denkt niemand. Daran, dass man nicht mehr kämpfen und sich womöglich sogar etwas antuen will, um erlöst zu sein. Stattdessen wird gesagt: 'Iss doch einfach.'

Nostalgia | ShowkiWhere stories live. Discover now