Kapitel 5

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Marcus und ich standen soweit vom Gebäude entfernt, dass uns die Videokameras, die noch in Betrieb waren, nicht erfassen konnten. Erst als das verräterische rote Blinken verebbte und sich die Tür vom Seiteneingang öffnete, schritten wir näher.

„Ah, da sind sie ja. Das ist George mein Freund und Vertrauter." Die Mitarbeiterin von Larvenfeld reloaded machte uns mit ihrem nicht pinken und nicht gewalzten Freund bekannt, schloss dann nach unserem Eintreten die Tür hinter uns und setzte die Außenkameras wieder in Betrieb.

„Ich werde sie ganz George überlassen und verabschiede mich. George kann leider nicht mit ihnen sprechen. Beobachten sie einfach seine Gesten, dann klappt das schon.", sprach sie und verschwand.

Nachdem wir einen langen, uninteressanten Gang entlang gegangen waren, trafen wir auf eine Halle, in der sich die Walzmaschine befand. Sie war ein zylindrisches Objekt mit einem Durchmesser von ungefähr 10 Metern. An ihrer Außenhülle waren mehrere Schläuche befestigt, die offensichtlich etwas in die Kanalisation ableiteten. Ich wollte näher an die Maschine herantreten um sie zu befummeln, doch George hielt mich am Arm fest und deutete auf die vielen Sicherungsfunktionen, die in der Halle angebracht waren. Da er stumm war, wies er auf ein Treppenhaus und deutete an, dass wir dort in die Tiefe steigen müssten. Was wir natürlich auch taten. Treppen! Meine Freunde!

Wir kamen in einem weiteren uninteressanten Raum und durchschritten weitere Türen und stiegen weitere Treppen hinab. Schließlich landeten wir in einem sehr tief gelegenen Tunnel, in dem ein kleines Vehikel stand, mit dem uns George in ca. zwanzig Minuten an einen anderen Ort brachte. Mir entfuhr: "Dorotheenstädtischer Friedhof?" George nickte.

Kurz bevor wir den Friedhof quasi von unten erreichten, hielt George an. Er sah Marcus und mich eindringlichen an und hielt dann seinen Zeigefinger an die Lippen, bevor er auf Marcus und mich deutete.

Ich flüsterte: "Keinen Mucks?!"

Er nickte. Wir stiegen von dem Gefährt und gingen die letzten 500 Meter zu Fuß. Durch eine sehr unscheinbare Holztür gelangten wir in einen Raum, der jeder X-beliebige Berliner Keller hätte sein können. Ein großer, angerosteter Blechschrank hatte eine doppelte Rückwand, hinter der sich wiederum eine Hochsicherheitstür befand. Dahinter ein Umkleideraum und eine Überwachungszentrale. George gestikulierte mit uns. Er teilte uns mit, dass er der zuständige Sicherheitsmitarbeiter in dieser Nacht war und alles in der Hand hatte. Da er stumm war, ging man davon aus, dass er sich nicht verplapperte. Und da er ein sehr ruhiger Geselle war, hielt man ihn zwar für schlau genug Wache zu schieben, aber für mehr auch nicht. Ihm standen die Tränen in den Augen. Was nun folgte, konnte er uns nicht gestikulieren. Er griff sich seinen digitalen Block und sandte seine Gedanken über einen Transmitter in seinem Zeigefinger auf das Gerät.

„Ich kann das nicht mehr mit ansehen. Die Welt muss erfahren, was hier vor sich geht. Ich habe erst angefangen nachzudenken, als sie Catrina, meine Freundin, gewalzt haben und sie seitdem nicht mehr dieselbe ist. Das muss etwas hiermit zu tun haben."

Er zog ein Rollo in der Überwachungszentrale hoch. Mein Blick fiel auf eine gigantische Höhle. Eine gigantische Höhle voller Dung. Ich ergänzte, voller Dung und pinker Käfer. Pinke Käfer auf dem Boden, pinke Käfer an den Wänden, pinke Käfer im Dung treibend, pinke Käfer "es" im Dung treibend, pinke Käfer kämpfend, pinke Käfer Dung-Dämpfe inhalierend. Dazu fette Käfer-Beats. KrrrzKrzzz. Es sah aus, als würden die Käfer eine zügellose wilde Party feiern.

„Oh, mein Gott.", entfuhr es mir.

„Ok, Dung und pinke Käfer. Wieso? Weshalb? Warum?", fragte Marcus ziemlich abgeklärt.

George zückte den Block erneut und begann zu schreiben.

„Ich bin von Anfang an dabei. Diese Käfer sind Außerirdisch. Sie sind sehr intelligent, besonders die Larven. Die Larven beziehen zum Teil menschliche Wirte. Zum Überleben brauchen sie Dung, weil er ihre Nahrung ist. Mein Job hier ist es, zu verhindern, dass sie entdeckt werden und dass die Nahrungsversorgung gewährleistet ist. Ich arbeite nicht für Larvenfeld, ich arbeite für die Käfer. Die Käfer sind Larvenfeld. Sie lassen mich und ein paar andere am Leben, damit wir für sie sorgen und sie ungestört bleiben können."

„Wieso hier unter dem Friedhof? Sie hätten doch in eine einsamere Gegend ziehen können?", muffelte Marcus.

„Die Frage ist leicht zu beantworten." quatschte ich los. "Großstadt=viel Dung." Meinen aufmerksamen Augen war nicht entgangen, das sich an der Höhlendecke diverse Abwasserrohre befanden, die nach unten führten und den Dung, der darin schwamm, in große Bassins filterten, in denen Käfer krabbelten und schwammen. Hatte ich schon bemerkt, dass es jede Menge pinker Käfer waren?

George fing wieder an etwas auf den digitalen Block zu transferieren. Anscheinend gingen seine Gefühle mit ihm durch, denn die Handschrift veränderte sich, wurde fast unleserlich:

„Die Viecher, damals noch allesamt Larven, sind mit einem Hagelschauer auf dem Friedhof abgestürzt, genau auf die Pyramide von Larvenfeld. Ich habe es gesehen. Ich habe vorher als Friedhofsgärtner gearbeitet. Sie verbargen sich in der Erde. Dann bekamen sie Hunger und haben... haben angefangen an den Toten zu knabbern. Es sind halt Käfer. Eine besonders intelligente Larve hat Larvenfelds sehr gut erhaltener Mumie wieder Leben eingehaucht. Sie sitzt in seinem Gehirn und versucht krampfhaft nicht zu schlüpfen."

„Schon klar.", sagte ich. "So kann sie viel mehr ausrichten. Können wir die Höhle betreten?"

George schrieb:

„Besser nicht. Seitdem die Käfer groß sind, sind sie sehr aggressiv geworden. Und vergesst nicht, sie mögen Menschenfleisch. Zwar lieber das von Toten, aber man weiß ja nie. Außerdem ist die Luftzusammensetzung in der Höhle eine andere. Ein Zugang ist somit nur Lebensmüden gestattet, die Atemschutz tragen um überhaupt einen Meter weit zu kommen."

„Kommen die Käfer raus?", wollte Marcus wissen.

„Nein, nur die Larven. Aber auch nur mit einem Wirt. Das Areal wird geraden von den Käfern vergrößert. Sie vermehren sich wie die Karnickel. Vor kurzem hat sich schon ein zweiter Stamm gebildet. Vielleicht habt ihr schon Werbung von Roberto C. Rolls gesehen? Deswegen müssen wir schnell handeln. Sie können doch helfen oder? Catrina sagte mir, sie seien eine einflussreiche Dame mit viel Macht." George sah mich flehentlich mit Dackelblick an.

„Ich werde es zumindest versuchen. Was ich aber immer noch nicht verstehe: Warum die Walzung?"

George zuckte mit den Schultern und schrieb:

„Keine Ahnung, was da oben abgeht. Ich komme selten aus meinem Keller raus."

„Und was tun wir jetzt?" Das kam von Marcus.

The Doctoress - Think Pink! (1) Where stories live. Discover now