Im Nebel

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Es war so einfach, ihn immer wieder herauf zu beschwören. Die Flucht in den Nebel war gnädig und erlaubte ihr, einen kurzen Moment auszuruhen. All die Male zuvor, in denen sie dem endgültigen Scheitern so nahe gewesen war, hatte sie die Enttäuschung einfach beiseitegeschoben und weitergemacht. Kaum war eine Beziehung beendet, ging sie eine neue ein. Bislang war ihr nicht bewusst gewesen, dass ihre Motivation nicht Interesse oder gar Liebe gewesen war, sondern Angst. Erst jetzt, als sie zugelassen hatte, dass der Alkohol sie benebelte, hatte sie in ihrer entrückten Wirklichkeit erkannt, dass sie sich seit vielen Jahren belog. Hatte sie sich anfangs so überstürzt auf jemanden eingelassen, hatte sie die Erkenntnis der Sinnlosigkeit dieser Verbindung im gemächlichen Schritt doch jedes Mal eingeholt. Diesmal war sie sich sicher gewesen, dass er der Richtige war. Wie dumm, dieser Gedanke, den so viele gescheiterte Verliebte vor ihr schon gedacht hatten, und den sie – wenn sie ehrlich zu sich war – schon zuvor über andere Männer gedacht hatte. Diesmal! Diesmal war sie zumindest weitergekommen als jemals zuvor. Die Wohnung hatte einen Charme gehabt, der sie zuversichtlich hatte werden lassen, hell, mit Holzboden, einem großen Wohnzimmer mit offener Küche, einer hübschen kleinen Terrasse, kurz mit allem, was sie sich gewünscht hatte. Jetzt saß sie auf dem Boden im Dunkeln mit der zweiten Flasche Wein, inmitten ungeöffneter Kartons, in einer fremden Stadt, in der sie nur einen Menschen kannte. Und sie war nicht erpicht darauf, diesen Menschen noch einmal wieder zu sehen.

Gestern hätte sie ihren ersten Tag in der neuen Firma gehabt, aber sie war nicht hingegangen, sie hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht sich zu entschuldigen und keinen der eingehenden Anrufe beantwortet. Ihrer Mutter hatte sie eine kurze Nachricht geschrieben, dass der erste Arbeitstag gut gelaufen sei. Sie fühlte sich nicht in der Lage es ihr zu erzählen. Diese Art von Gespräch hatten sie schon zu oft geführt und mit jedem Mal war sie mehr frustriert darüber gewesen, dass sie ihrer Mutter den Kern des Dilemmas nicht begreiflich machen konnte: Es ging nicht nur darum, dass eine Beziehung gescheitert war, sondern darum, dass die Angst sie beherrschte alleine zu bleiben, abgehängt zu werden, niemanden zu haben, der für sie zuständig war, der für sie in jeder Lebenslage einstehen würde.

Der Wein begann langsam mit ihr Karussell zu fahren und sie lehnte den Kopf an die Wand, um Halt zu finden. Sie war damit beschäftigt gegen den Schwindel anzukämpfen, und konnte sich nur schwer konzentrieren. Aber doch, da waren Geräusche an der Terrassentüre. Rhythmische Klänge, die wenig später durch gedämpfte Schritte auf dem Holzboden und den Lichtkegel einer Taschenlampe ersetzt wurden. Obwohl sie sich benommener fühlte als jemals zuvor und sie weder klar denken, noch sehen konnte, wusste sie, dass irgendetwas nicht stimmte. Behäbig und unkoordiniert drückte sie sich gegen die Wand und versuchte aufzustehen, rutschte aber nur mit einem dumpfen Plumps zurück auf den Boden. Im selben Moment hörte sie die Taschenlampe auf den Holzdielen aufschlagen. Der Lichtkegel tanzte einige Male im Kreis. Schemenhaft erkannte sie wie jemand einen Schritt zurücktrat und gegen einen Karton stieß. Im Karton klirrten Gläser, die Person taumelte, fing sich, dann war es wieder still. Die Taschenlampe blieb, auf sie gerichtet, liegen. Angestrengt kniff sie die Augen zu, musste aber einsehen, dass es aussichtslos war, etwas zu erkennen. Minuten vergingen, bis sie es nicht mehr aushielt und leise in den Raum fragte: „Hallo?"

„Hallo." Eine männliche Stimme antwortete zögernd.

Sie drückte sich instinktiv näher an die Wand. Der Einbrecher war also noch da. Auch wenn es noch so gut getan hatte, einen Schleier über all die unangenehmen Gedanken zu werfen - jetzt bereute sie, dass ihre Sinne betäubt waren und ihr Kopf nur langsam arbeitete.

„Ich hab ein bisschen Geld in meiner Handtasche. Im Flur.", flüsterte sie und zeigte in Richtung Diele. Vor Angst begann sie heftig zu zittern. Weil er nicht reagierte, fügte sie leise hinzu: „Bitte tu mir nichts..."

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⏰ Last updated: Nov 09, 2017 ⏰

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