Ihre Anschuldigungen lassen mich zurückweichen. Lyra ist nicht wirklich jemand, dem du in die Quere kommen willst, ihre gute Seite ist schon schlimm genug. „Ähm, er- wir, äh", stottere ich vor mich hin, zu blöd um zu antworten.
Hah, und du sollst Königin werden.

Doch zum Glück kommt mein Prinz zur Rettung. Rohan schiebt sich von hinter mir vorbei und stellt sich schützend vor mich. „Das wäre dann wohl meine Schuld", fängt er ruhig an.
„Ich war auf der Suche nach ihr und habe sie zufällig am Marktplatz entdeckt. Dann habe ich ihr, naja, etwas mit der Rede ausgeholfen. Plötzlich haben uns dort aber zwei Männer angegriffen, also habe ich die Zeit gestoppt, damit wir fliehen konnten."

Stumm mustert Lyra den Prinzen mit zusammengezogenen Augenbrauen. Man kann formlich ihr Gehirn arbeiten sehen. Verständlicherweise fällt es ihr schwer dem momentanen Thronfolger zu vertrauen.
„Wieso warst du auf der Suche nach ihr? Soweit ich weiß, hättest sie genauso gut suchen können, nur um sie anschließend zu ermorden." Bei der Aussage läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. So gefühllos, wie sie es sagt, könnte glatt sie der Mörder sein.

„Mein Vater hat mich geschickt. Er und ich sind beide der Meinung, dass meine Mutter nicht alle Tassen im Schrank hat und Kalia die Rechtmassige Königin ist", antwortet er nüchtern. Doch auch das reicht ihr nicht, denn sie untersucht sein Gesicht weiterhin mit skeptischen Blick und verschränkten Armen.

Nun bin ich an der Reihe mich an Rohan vorbeizuschieben. Ich unterbreche deren wortlosen Austausch jedoch nicht, da Rohan mit Leichtigkeit über mich hinwegschauen kann. Trotz dessen stelle ich mich breitbeinig hin und verschränke ebenfalls meine Arme vor mir.
Mit Hilfe eines Räusperns ziehe ich Lyras Aufmerksamkeit auf mich. „Wieso hätte er mir sonst geholfen, das Volk auf unsere Seite zu bringen? Ich denke nicht, dass ich es ohne seine Hilfe geschafft hätte, sie vollkommen zu überzeugen. Die Bevölkerung kennt ihn, sie glauben ihm wohl eher als einem fremden Mädchen, dass sie noch nie gesehen haben. Genau das haben wir gebraucht um sie von unserer Sache zu überzeugen."

Lyras Körperhaltung entspannt sich etwas und sie lockert ihre Arme. Sie reibt sich erschöpft über ihre Augen und seufzt leise. „Tut mir leid, die Anspannung war für mich unerträglich. Kannst du dir vorstellen, wie schlimm es für mich war hier zu bleiben und einfach zu warten und hoffen, dass euch allen nichts zustößt?"
Damit dreht sich um und schleift sich erschöpft ins Wohnzimmer. Rohan folgt ihr zögerlich, doch ich bleibe verblüfft im Gang stehen.
Das habe ich noch nie gehört. Lyra entschuldigt sich nie, sie ist viel zu stolz um auch nur daran zu denken. Die vergangene Stunde hat wohl wirklich an ihren Nerven gezerrt.

Einige Stunden später sitzen wir wieder vereint am Esstisch und grübeln über unseren nächsten Schritt. Fox und die anderen sind kurz nach uns gekommen und waren äußerst erleichtert uns sicher hier zu sehen.
Nach unserem Verschwinden ist anscheinend völliges Chaos auf dem Marktplatz ausgebrochen. Viele haben sich sogar freiwillig auf unsere Angreifer gestürzt und ihnen eine Lektion beigebracht. So schnell sollten sie sich nicht wieder blicken lassen. Fox war so begeistert von Rohans Rede, dass er sich wortwörtlich in seine Arme geschmissen hat, sobald er den Prinzen in der Küche entdeckt hatte.

Nun diskutieren wir schon seit Stunden vergeblich, denn wir können uns auf keinen Plan einigen, an jedem Vorschlag hat jemand etwas einzuwenden und da uns langsam die Ideen ausgehen, werden immer wieder wird das gleiche vorgeschlagen.
„Was, wenn wir uns wieder in das Schloss schleichen? So könnten wir die Angestellten und die Wachen erreichen", meint Magnus mit dem Kopf auf dem Tisch. Doch auch dieser Vorschlag erhält lediglich mürrisches Murmeln.
Das ist ja Hoffnungslos! Diese Sturköpfe können sich sowieso nie einigen.

Plötzlich springt Rohan neben mir in die Höhe, wobei sein Stuhl mit einem lauten Knall umfällt. „Ich hab's!", ruft er freudig. Als er wieder in die Runde blickt, erwarten ihn sechs ungläubige Gesichter. „Ich werde alleine ins Schloss zurückkehren-"
Sofort springe ich ebenfalls von meinem Platz auf. „Was?! Du kannst doch nicht alleine dort hin. Deine Mutter würde dich einsperren, oder schlimmer!" Entsetzt mustere ich sein Gesicht. Seine Augen verraten mir jedoch, dass er sich bereits entschlossen, egal, was ich noch sage.

Versteht er nicht, dass es viel zu gefährlich ist? Nach heute, weiß bestimmt jeder einzelne in dieser Stadt von seiner Rede und das beinhaltet auch seine Mutter. Sie würde in wahrscheinlich mit ihrer Fähigkeit quälen und einsperren lassen.

„Hast du sonst einen Plan?", fragt er auffordernd, worauf ich ernüchtert meinen Kopf senke. „Aber du kannst doch nicht alleine gehen", murmle ich.
„Lia, ich muss das alleine machen. Wenn dich jemand dort entdeckt, wirst du auf jeden Fall eingesperrt. Ich bin der einzige, der eine Chance hat nah genug zu kommen. Ich kenn die Leute dort, ich kann sie überzeugen."
Die Übrigen am Esstisch wirken nun wieder hoffnungsvoll und vollen Elan. Das war's also, keine Diskussion?
„Es gibt jedoch nur Einen, den ich von unserer Sache überreden muss, Sir Herol", meint Rohan ernst.

Von der anderen Seite des Tisches räuspert sich jemand. „Und wer ist dieser Sir Herol?", fragt Yorick genervt.

„Der Hauptmann der königlichen Wache", antworte ich für Rohan.

The Queen of SecretsWhere stories live. Discover now