Prolog

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Es war ein regnerischer Morgen, als Leas Wecker klingelte. Sie wälzte sich in ihrem Bett herum, richtete sich dann aber auf. Müde zog sie sich an und ging die Treppe herunter, nur um zu merken, dass ihre Eltern wieder mal nicht zu Hause waren. Es war nicht so, dass sie sie sonderlich erstaunte, denn sie waren morgens fast nie zuhause. Manchmal wünschte sie sich, dass wenigstens ihre Mutter manchmal zuhause wäre, aber sie kam ohne sie auch gut klar. Allerdings konnte sie nicht einschlafen, wenn ihre Eltern nicht zu Hause waren. Sie wusste selbst, dass es für ihr Alter nicht angemessen war, aber damit konnte sie leben, solange niemand von ihren Freunden was davon erfuhr. Sie ging die Treppe herunter und machte sich ein Müsli. Danach machte sie sich für die Schule fertig, nahm ihren Regenschirm und trat an die kalte Luft. Sie konnte nicht verstehen, warum so viele Leute Regen nicht mochten. Die nasskalte Luft war angenehm, und es liefen dann auch nicht so viele Menschen draußen herum. Denn Lea war sehr gerne alleine. Auf dem Weg zur Schule versankt sie in ihre eigene Traumwelt, doch darin war für sie so wenig greifbar. Als sie an der Schule ankam, machte sie sich direkt auf den Weg zum Klassenraum, denn sie wolle nicht im Regen warten, auch wenn es drinnen sehr voll war. In der ersten Stunde hatte sie Biologie. Sie mochte Biologie zwar, aber es war langweilig, weil sie das Gefühl hatte, schon alles zu wissen, was sie natürlich nicht tat. Sie setzte sich und ihre Freunde betraten den Raum. Sie begrüßten sich kurz und der Unterricht begann. Lea sah dem Regentropfenwettrennen am Fenster an. Sie bemerkte zwar Frau Wells, aber blendete ihre Stimme einfach aus, als wäre ihr Kopf unter Wasser. Auf einmal schreckte sie auf. Frau Wells rief ihren Namen. „Tut mir leid, ich war gerade woanders", entschuldigte sich Lea kleinlaut. „Du weiß, was ich dir das letzte Mal gesagt habe: Wenn das nochmal passieren sollte, gehst du vor die Tür. Also." Sie deutete auf die Tür. Zerknirscht stand Lea auf und ging vor die Tür. Aber ihre Beine wollten nicht vor der Tür stehen bleiben. Wie auf magische Weise ging sie aus dem Gebäude. Die wenigen Leute, die draußen waren, sahen sie zwar komisch an, aber es sprach niemand mit ihr. Bis sie an der Ampel ankam. Es war eigentlich eine ruhige Straße, aber die Stadt wollte den Schulweg sicherer machen, deshalb hatte man eine Ampel gebaut. Sie drückte und wartete. Und wartete. Sonst ging das doch immer schneller? Neben sie stellte sich ein älterer Mann. Er sah komisch aus, weil er einen grauen Bart hatte. Außerdem trug er einen alten grauen Mantel. Lea dachte, dass er obdachlos sei. Die Ampel wurde grün und Lea ging mit schnellen Schritten los. Sie hatte irgendwo mal gehört, dass Obdachlose manchmal Kinder entführen, damit sie Geld erpressen können. Das kam ihr natürlich genau jetzt in den Sinn. Lea ärgerte sich über sich selbst. Der Mann im grauen Mantel folgte ihr. Lea ging noch schneller, aber ihre Schritte wurden immer kleiner. Da lief der Mann vor ihr. Und Lea musste ihm folgen, sie hatte wieder keine Kontrolle über ihre Beine. Sie hatte aber den Zeitpunkt gar nicht bemerkt, wann sie diese wiedergewonnen hatte. Sie konnte nichts dagegen tun. Der Mann ging in eine kleine Seitenstraße. Lea bekam immer mehr Angst, aber sie konnte ihren Mund nicht öffnen und schreien. Selbst wenn, es war sowieso keiner mehr auf der Straße. Es regnete immer stärker und Lea konnte fast nichts mehr sehen. Plötzlich aber hörte es auf zu regnen und sie stand vor einem heruntergekommenen Haus. Der Mann ging hinein uns Lea musste ihm folgen. Drinnen setzte sie sich auf einen Stuhl. Da fing der Mann das erste Mal an zu reden. „Ich bin Carl", sagte er, „Wie heißt du?" „Lea" antwortete Lea perplex. „Was machst du denn um diese Zeit draußen? Musst du nicht in der Schule sein?" „Nein", sagte Lea trotzig. „Ich möchte da nicht hin" Der alte Mann brummte nur. „Kennst du also schon alles?" „Vielleicht nicht alles, aber ich möchte meine Freiheit haben" Die Tatsache, dass sie wieder sprechen konnte, erleichterte sie sehr. „Von Ihnen kann ich aber bestimmt nichts lernen" Mit jedem Wort wurde Lea sicherer. Sie sprang vom Stuhl auf und merkte mit Freude, dass auch ihre Beine wieder funktionierten. Sie wollte wegrennen, aber der Mann hielt ihn am Arm fest. „Du solltest aber von mir lernen" Carl machte eine Handbewegung und Lea dachte erst, dass er sie schlagen wollte. Sie machte die Augen zu, aber nicht passierte. Als sie die Augen wieder öffnete, fiel ihr die Kinnlade herunter. Vor ihr in der Luft schwebten viele Glasscherben, es spiegelten sich unzählige Dinge darin, Dinge, die sich nicht einmal in diesem Raum befanden. Carl nahm Lea an die Hand und machte einen Schritt auf die Spiegelwand zu. Lea wollte nicht, dass der alte Mann sie anfasste, sie hatte etwas gegen Körperkontakt, aber sie fand diese Spiegelwand doch sehr interessant. Sie gingen immer näher ran, und als sie nur noch einen Schritt von der Wand entfernt waren, wollte Lea stehen bleiben, aber der alte Mann zog ihn weiter. „Sehen sie das nicht? Da ist eine Wand. Wir können nicht weiter!", rief Lea. Aber Carl hörte ihm nicht zu und machte noch einen Schritt. Lea sträubte sich, wurde aber mitgezogen. Als sie dachte, jetzt würden sie gegen das Glas laufen, passierte nichts. Sie glitt einfach hindurch. Scharf zog sie die Luft ein. Sie war nicht mehr in dem dunklen Zimmer. Sie stand auf einer Wiese. Aber es war keine gewöhnliche Wiese. Sie war blau. „Wo...wo sind wir hier?" Lea sah sich um, dann wanderte ihr Blick wieder zu dem alten Mann. „Was sind sie?", fragte sie. „Wie du sicher schon bemerkt hast, bin ich kein gewöhnlicher Mann. Ich bin ein Magier. Aber ich brauche deine Hilfe, denn wie du siehst, bin ich schon sehr alt. Grouglas, mein ärgster Feind, hat mein Buch gestohlen und die Seiten befinden sich irgendwo hier, aber ich bin zu schwach, um sie selber wiederzubeschaffen. Ich denke, du kannst mir dabei helfen und auch etwas lernen" Der alte Mann machte eine ausschweifende Handbewegung. „Du bist hier in der Spiegelwelt. Sicherlich wirst du hier Menschen begegnen, die denen aus deiner Welt zum Verwechseln ähnlich sehen, aber sie sind nicht die, die du kennst. Vertraue ihnen also nicht. Du kannst erst wieder zurückkommen, wenn du eine Aufgabe erfüllt hast." Und mit diesen Worten verschwand er. Lea wollte ihm hinterherlaufen, doch der Magier war ins Nichts verschwunden. Sie sah sich auf der Wiese um, um sie herum standen hohe Bäume, die, im Gegensatz zu der Wiese, sehr große Ähnlichkeit mit ihren Bäumen hatten. Sie setzte sich auf die blaue Wiese und dachte nach. Der alte Magier hatte gesagt, sie käme hier nicht weg, und wie es aussah, hatte er recht. Aber sie wollte auch nicht von ihm ausgenutzt werden. Sollte er sein Buch doch selbst zurückholen! Bei diesem Entschluss blieb Lea und wartete auf der Wiese, bis es dunkel wurde. Doch niemand kam, und ihr wurde mulmig zumute. Sie hatte noch nie eine Nacht alleine verbracht. Außerdem wusste sie nicht, ob es hier wilde Tiere gab, also kletterte sie auf den nächstgelegenen Baum. Als es schließlich ganz dunkel war, fielen Lea die Augen zu. Doch sie zwang sich dazu, sie wieder zu öffnen, denn sie wollte nicht schlafen. Sie musste doch aufpassen, ob sie jemand abholen kam. Nach einigen Stunden übermannte Lea jedoch der Schlaf.

SpiegelweltWhere stories live. Discover now