„Was ich jetzt sagen werde, fällt mir nicht leicht, denn sie ist schließlich meine Mutter, doch ich muss Kalia leider zustimmen. Meine Mutter ist euch keine gute Königin gewesen. Sie hat nur ihr eigenes Wohl im Sinne und würde mich vermutlich umbringen, wenn sie mich hier sehen würde", scherzt er nervös, doch man sieht ihm an, dass dies nicht gänzlich gelogen ist.
„Sie wusste über den Betrug meines Großvaters Bescheid und hat mit gutem Gewissen seit sie Königin ist das Volk angelogen und euch etwas vorgespielt." Seine Worte zogen die Menschen in seinen Bann und sie glaubten ihrem Prinzen jedes einzelne Wort.

„Es ist an der Zeit euer Leben zum Besserem zu wenden, die Lügen zu stoppen und nach all den Jahren einen ehrlichen Herrscher zu bekommen!" Mittlerweile war das Publikum völlig hin und weg. Sie waren komplett in seine Rede vertieft und jubelten lauthals mit.
Man merkt ihm an, dass er hiermit aufgewachsen ist. Es ist kein Vergleich zu meiner Rede. Bei mir waren sie zwar auch aufmerksam, doch dies ist auf einem ganz anderen Level. Er ist schlichtweg für dieses Leben gemacht. Wie soll ich dem jemals nachkommen?

Er holt tief Luft und lässt den Sinn seiner Worte einsickern. „Wer wäre besser als Herrscher geeignet als eure rechtmassige Herrscherin, Kalia." Er paust und wieder einmal richten sich in der Zwischenzeit auf mich alle Blicke auf mich.
Staunend öffne ich meinen Mund und starre ihn an. Ich hätte nicht erwartet, dass er dies so offen sagen würde. Schließlich ist er sein Leben lang der Thronfolger gewesen. Wie kann er alles so leicht aufgeben?

Nachdem er mir ermutigend zulächelt, wendet er sich dem Publikum zu, doch anstatt weiterzusprechen, fixiert er seinen Blick in die Ferne und runzelt seine Stirn. Er schüttelt jedoch seinen Kopf und blickt wieder in die Menge.
Verwirrt und, um ehrlich zu sein, auch etwas besorgt, folge ich seinem Blick. Was auch immer ihn abgelenkt hat, ist aber nicht mehr zu sehen.

Erst als ich ihn wieder sprechen höre, verwerfe meine paranoiden Gedanken mit einem Kopfschütteln. Sei nicht so angespannt, es läuft besser als erwartet.

„Wir brauchen aber eure Hilfe. Nur gemeinsam können wir es schaffen Gerechtigkeit wieder herzustellen", sagt er in die Menge. Abermals bricht das Publikum in Jubel aus und löst bei mir damit ein breites Grinsen aus.
Ich kann es kaum glauben, dass das hier wirklich passiert.

Doch meine Freude wird unterbrochen als in den Reihen vor uns eine Gruppe von Menschen grob gestoßen werden und unsanft auf den harten Steinboden prallen. Mein erster Instinkt ist es zu ihnen hinzueilen, jedoch verharre ich in meiner Position als ich die gnadenlosen Augen der zwei Männer von gestern entdecke.
Sofort rutscht mir das Herz in die Hose und ein jämmerliches Wimmern entkommt meinem Mund.

Anstatt rational zu handeln, werde ich starr vor Angst und meine zitternden Knie klappen beinahe zusammen.

Rohan muss die bedrohlichen Männer wohl ebenfalls wahrgenommen haben, denn er dreht sich mit einer ruckartigen Bewegung zu mir und wirft mir einen besorgten Blick zu.

Bevor einer von uns aber handeln kann, rast der schlankere Mann die letzten Meter zu uns, in seinen Augen ein gefährliches Funkeln. Sein Komplize, der Riese mit den Lederhandschuhen, ist nicht weit hinter ihm und fixiert mich ebenfalls mit einem mordlustigen Blick. Der Erste zückt ein Messer aus seiner Manteltasche und lauft mit unglaublicher Geschwindigkeit auf mich zu.
Ich, jedoch, verhalte mich wie ein hilfloses Reh, und rühre mich nicht von der Stelle.

In letzter Sekunde kommt meine Rettung, denn plötzlich versteinert die Welt um mich herum. Verwirrt beobachte ich die erschrockenen Gesichter um mich herum. Kein Einziger blinzelt, oder atmet.
Habe ich das gemacht? Ich habe doch nicht einmal daran gedacht meine Fähigkeit zu verwenden.

Meine Frage erübrigt sich aber als ein ebenso verwirrter Rohan mir entgegenblickt. Völlig geschockt mustert er mich von Kopf bis Fuß. „Wa- Kalia? Wie, du kannst dich bewegen?", stottert er fassungslos. Seine Stimme hallt in der unnatürlichen Stille.

„Hast du die Zeit gestoppt?", frage ich genauso verwirrt. Mit zusammengezogenen Augenbrauen nickt er mir zögerlich zu. „Wieso bin ich nicht auch versteinert?"

„Das fragst du mich? So etwas ist noch nie vorgekommen. Die einzigen, die nicht von einem Chronos betroffen sind, sind andere Menschen mit derselben Fähigkeit. Also, normalerweise wenn ich meine Fähigkeiten verwende, ist mein Vater, wenn er auch anwesend ist, der einzige, der sich frei bewegen kann, da sonst keiner in meinem Umfeld ein Chronos ist"

Plötzlich wird mir alles klar. Er hat keine Ahnung, dass ich auch ein Chronos bin. „Oh, ja. Das weißt du noch nicht, aber ich bin seit gestern auch ein Chronos", sage ich mit einem Achselzucken.
Mit ausdruckslosem Gesicht starrt er mich zunächst einmal an. Mit einem ungläubigen Schnauben und einem kleinen Lächeln überquert er endlich die wenigen Meter zu mir. „Du hast auch immer Überraschungen auf Lager. Sonst etwas, was ich wissen sollte? Bist du vielleicht auch ein Mentalist, oder kannst du neuerdings zaubern?", sagt er lachend.

Mit immer noch wackeligen Beinen komme ich ihm ebenfalls lachend entgegen, schlage ihm scherzhaft auf seinen Arm und lasse mich danach erschöpft in seine sichere Umarmung fallen. Die ganze Anspannung von den letzten Tagen löst sich in seinen beschützenden Armen in Luft auf und trotz der seltsamen Situation fällt mir ein kleiner Stein vom Herzen.

„Wir sollten gehen", ertönt Rohans sanfte Stimme. Widerwillig stimme ich zu und entferne mich von ihm.
Kurz nachdem ich mich jedoch gänzlich umgedreht habe, zieht er mich mit kräftigen Armen wieder zu sich hin. Seine Lippen finden meine, doch bevor ich es so richtig genießen kann, trennt er sich abermals von mir, lässt mich enttäuscht stehen und schiebt sich mit einem schadenfrohen Schmunzeln an mir vorbei. 

The Queen of SecretsWhere stories live. Discover now