Eine neue Welt

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Alles war still. Weder der Motor eines Autos, noch das Schreien eines Kindes war zu hören. Die Turmuhr hatte aufgehört zu schlagen, obwohl sie erst bei sieben von zwölf Schlägen angelangt war. Das Gerede der Menschen war verstummt und der Brunnen hatte aufgehört zu sprudeln.

Jonathan wagte nicht die Augen aufzumachen. Er hatte Angst davor, die Welt zu noch sehen, aber nicht mehr hören zu können. Er hatte Angst davor, wie ihn die Leute wohl anstarren würden, nachdem er einfach so mitten auf der Strasse zusammengebrochen war. Er hatte Angst davor in ihre erschrockenen und neugierigen Gesichter zu sehen, die ihn alle anstarrten, während niemand zu ihm kam um ihm zu helfen. Was würde wohl passieren, wenn er die Augen einfach geschlossen hielt und sie nicht mehr öffnete? Irgendjemand musste doch überprüfen, ob ihm etwas fehlte. Wo waren all die Menschen? Es konnte doch nicht sein, dass sie ihn einfach liegen liessen und alle an ihm vorbei gingen. War er tot? Aber er konnte doch denken, es war also nicht möglich.

Verwirrt schlug Jonathan die Augen auf. Er lag auf einer Wiese in einem Wald. Das konnte nicht sein. Wie war er hierhergekommen? War er etwa doch tot und ins Jenseits gelangt? Nur hatte er sich das Paradies immer anders vorgestellt. Die Hölle konnte es jedoch mit Sicherheit nicht sein. Er setzte sich auf. Wo zur Hölle war er? Er vernahm ein leises Vogelgezwitscher. Erleichtert atmete er auf. Er war also doch nicht taub. Er holte sein Handy hervor, um den Empfang zu überprüfen. Nichts. Er musste wirklich am Ende der Welt sein, wenn sein Handy keinen Empfang hatte. Verärgert steckte er es zurück in seine Hosentasche. Er erhob sich und drehte sich im Kreis. Er hatte keine Ahnung in welche Richtung er loslaufen sollte, aber irgendwohin musste er schliesslich gehen, sonst kam er auf keinen Fall zur Lösung seines Problems. Er seufzte, wuschelte mit der Hand durch seine Haare und ging los.

***

Legolas und Bard wanderten Hand in Hand einen schmalen Pfad zwischen den Bäumen des Düsterwalds entlang. Bard summte verträumt vor sich hin, während Legolas die Augen geschlossen hatte und dem Lied und dem Zwitschern der Vögel lauschte. Er hatte keine Angst über eine Wurzel zu stolpern, denn er kannte den Wald und die Bäume, die in ihm lebten, und ihre Absichten waren keine Bösen. Auf einmal vernahm er die Schritte eines weiteren Lebewesens. Diejenigen eines Menschen um genau zu sein. Er hielt inne und augenblicklich hörte Bard auf zu summen. „Was ist?", fragte er. Legolas öffnete die Augen. „Da ist ein Mensch in der Nähe.", sagte er. „Ach wirklich?", Bard sah ihn verwirrt an und lauschte angestrengt. „Ich höre nichts." „Ach ja...du hörst ja nicht so gut wie ich, hab ich ganz vergessen. Wahrscheinlich ist er noch ein paar Meilen entfernt." „Und das nennst du ‚in der Nähe'?", wollte Bard wissen. Legolas zuckte mit den Schultern. „Für mich ist es in der Nähe." Bard seufzte und verdrehte die Augen. „Okay gut. Was willst du jetzt machen?", fragte er. Wieder zuckte Legolas mit den Schultern. „Weiterspazieren."

***

Die Sonne neigte sich langsam dem Horizont zu und tauchte den Wald in ein warmes orangefarbenes Licht. Jonathan war müde, denn er war schon seit einigen Stunden unterwegs und noch immer hatte er niemanden getroffen. Er fragte sich, ob er jemals auf jemanden treffen würde, und wenn nicht, was dann passieren würde, denn wenn dies das Paradies war konnte er ja nicht noch einmal sterben. Er seufzte laut und blieb stehen. Er hatte absolut keine Lust mehr weiterzugehen. Doch gerade als er aufgeben und sich hinlegen wollte, vernahm er ein leises Knacken ganz in der Nähe. Sein Kopf schnellte herum und er erblickte einen bärtigen Mann, der schuldbewusst hinter einem Busch hervorlugte. Jonathan runzelte die Stirn. Der Mann erinnerte ihn an jemanden...doch er musste sich irren. „Ich hab doch gesagt, du sollst still sein und auf die Zweige achten!", zischte eine Stimme leise aus dem Busch. Die Stimmung des Mannes schien nun langsam von schuldbewusst zu genervt zu wechseln. „Das sagst du jedes Mal! Ich kann doch nichts dafür.", entgegnete er der Stimme. Jonathan fragte sich, wo die zweite Person war, denn er konnte durch die Zweige hindurch niemanden erkennen. Vielleicht sprach ja der Busch? „Du sollst trotzdem aufpassen!" „Ich gebe ja mein Bestes!" „Das ist nicht genug!" Jonathan beobachtete mit kritischem Blick, wie der Mann mit dem Busch diskutierte, bis schliesslich ein Jüngling mit langem blondem Haar hinter dem Busch hervorschnellte. Es war also doch nicht der Busch, der geredet hatte. „Äh, sorry mal", sagte Jonathan und machte ein paar Schritte auf die beiden zu. Sie sahen ihn perplex an, als wäre ihnen erst in diesem Moment wieder bewusst geworden, dass sie nicht alleine waren. „Was soll das hier?", wollte Jonathan wissen. „Was soll was?", fragte der blonde Typ. „Ja – das alles. Wo bin ich hier?" „Im Düsterwald." Jonathan sah ihn stirnrunzelnd an. Hätte er doch nur in Geographie nicht geschlafen, dann wüsste er jetzt vielleicht wo ein düsterer Wald lag. (In Tat und Wahrheit hätte er besser seiner Mitschülerin zugehört, die andauernd über den Düsterwald und seine Bewohner sprach.) „Ach ja...", sagte Jonathan und versuchte ein wissendes Gesicht zu machen. „Du scheinst nicht zu wissen, was der Düsterwald ist. Liege ich richtig?", fragte der dunkelhaarige Mann. „Äh, ja, das stimmt.", gab Jonathan kleinlaut zu.

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⏰ Last updated: Oct 22, 2017 ⏰

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