Prolog

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Zitternd saß ich eingepfercht zwischen meinem Bruder und dem kleinen Fenster des Flugzeuges. Enge Räume waren schlimm, doch enge Räume mit vielen Menschen waren noch schlimmer. Mein Gipsarm ruhte ruhig auf der Lehne, doch ansonsten zappelte ich nur herum. Ich musste hier raus. Die Luft wurde von Sekunde zu Sekunde immer schlechter und auch die Wände schienen immer näher zu kommen. First Class hin und her, es war mir zu eng hier. Es war mir, als würden die Wände immer dichter kommen. Mit jedem Wimpernschlag kamen sie dichter und waren kurz davor mich zu erdrücken.
Ob es richtig war, der Realität zu entfliehen war fragwürdig. Doch mein Bruder hatte es beschlossen, also taten wir es auch. Meine Meinung zählte nicht. Sie hatte noch nie gezählt, also wieso sollte sie jetzt zählen? Mein Vater hatte immer über mein Leben bestimmt. Nun tat Bastian es. Ich war es schon längst gewöhnt, doch es ärgerte mich trotzdem irgendwie. Ich wollte zu Lucas. Ich wollte nicht aus Amerika weg. Es war meine Heimat. Ich war mein Leben lang vor meinen Problemen weggelaufen, doch nun würde mein Weg weiter weg führen als bisher. Ich würde die Ursache meiner Probleme zurücklassen, doch die Probleme hafteten an mir wie schlechte Kletten.

"Hey Sam. Alles wird gut." Basti lächelte mich beruhigend an, doch ich konnte ihn nicht wirklich wahrnehmen. Seine Hand berührte mich, woraufhin ich zurückzuckte. Panisch starrte ich in die Luft vor mir und atmete hektisch ein und aus. Meine Haare waren zu einen losen Zopf zusammengebunden, wobei dieser sich jetzt langsam zu lösen begann. Ich bekam kaum mit, wie er sich ein Glas Wasser geben ließ und mir eine Tablette in die Hand drücke. Mechanisch schluckte ich es runter, das Wasser brauchte ich gar nicht. Tabletten konnte ich so schlucken. Erfahrung würde ich behaupten. Bei den Schmerzen, die ich schon durchgemacht hatte, waren Schmerztabletten meine besten Freunde gewesen. Mein Bruder hob eine Augenbraue, sagte aber ausnahmsweise nicht. "Schlaf einfach. Ich denke, dass ist einfacher", flüsterte er. Wenn ich könnte, würde ich mein ganzes Leben lang schlafen. Eigentlich wollte ich was sagen, doch meine Zunge war aus Blei. Träge sah ich ihn an. "Ich werde immer auf sich aufpassen. Du bist doch meine kleine Schwester!" Liebevoll lächelte er mich an.
Und wo warst du die ganzen Jahre?
Das Versprechen kam mir vage bekannt vor. Der Letzte, der mir sowas versprochen hatte, saß in Amerika fest. Ich wollte bei ihm sein, doch es ging nicht. Wieder wurde über mein Leben bestimmt ohne auf meine Zustimmung zu warten. Er hatte versprochen auf mich aufzupassen, doch es ging nicht, wenn uns ein Ozean trennte.
Verbittert schwieg ich und schloss einfach nur meine Augen. Konzentriert achtete ich auf meine Atmung versuchte meine Panik auf etwas andere zu kanalisieren. Mein Puls senkte sich langsam auf den Normalzustand zurück und meine Atmung beruhigte sich. Wage bekam ich mit, wie mein Bruder meine Hand ergriff. Den Start in mein neues Leben bekam ich gar nicht mehr mit.

Broken InsideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt