𝟣. 𝒦𝒶𝓅𝒾𝓉𝑒𝓁

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Gerade als der Gong ertönte sprang ich die letzten Stufen des weiträumigen Treppenhauses hinauf, die zu meinem Klassenraum führten. Zu meinem Pech hatte meine Klasse den obersten Klassenraum im Gebäude erwischt, weshalb ich nun immer ein halbes Ausdauertraining absolvieren konnte, bevor ich den Klassenraum betreten konnte.

Schwer atment blieb ich ein paar Sekunden oben stehen, dann richtete ich meine etwas faltige Jeans, strich mir ein paar blonde Haarsträhnen aus dem Gesicht und drückte die Glastür zu unserem Gang auf. Direkt links von mir lag nun die dunkelgrüne Tür mit der Aufschrift „11.5".
Warum die Klasse so eine ungewöhnliche Nummer hatte? Das ließ sich damit erklären, dass die Klassen der gymnasialen Oberstufe die ich besuchte keine Buchstaben mehr als Erkennungsmerkmal besaßen, sondern Zahlen. So wurde aus der eigentlichen 11A die 11.1, aus der B die 11.2 und so weiter, was meine Klasse zur eigentlichen 11E machte.

Ich räusperte mich leise, dann klopfte ich an die Tür und drückte die Klinke runter. Meine Befürchtung, der Lehrer könnte schon da sein, bestätigte sich zum Glück nicht. Zwar waren schon fast alle Schüler, welche mich durch meine Klopf-Aktion jetzt zum Teil etwas schräg anglotzten, schon im Klassenraum, aber von unserem Englischlehrer fehlte noch jede Spur.
Leicht peinlich berührt lief ich durch zum hintersten Gruppentisch, an dem meine Freundinnen saßen; Kathrin, die ich seit der 6. Klasse kannte und mit der ich bisher durch dick und dünn gegangen war, und Melina, die ich erst auf der Kennenlernfahrt unseres neuen Jahrgangs kennengelernt hatte. An dem Gruppentisch waren noch zwei Plätze frei, ich konnte meinen neuen Sitznachbar also wählen. Da einer der beiden zu Verfügung stehenden Sitze neben Mika lag, welcher zu den extrovertierten, coolen Jungs zählte, wählte ich lieber den Sitzplatz neben Riya, einem indischen Mädchen, welches ebenfalls wie ich recht still war.

Dass ich jetzt erst einen Sitzplatz wählte lag daran, dass ich direkt nach der Kennenlernfahrt mehrere Wochen krank gewesen war. Eine fiese Grippe hatte mich von der Schule ferngehalten, und in dieser Zeit wurden offensichtlich auch neue Sitzgruppen festgelegt. Ich ließ meine Tasche auf den Boden fallen, grüßte die Leute an der Tischgruppe und schmiss mich auf den Stuhl. Dann packte ich meine Sachen aus und nahm mein Handy in die Hand.

Eine Nachricht von Kathrin blinkte auf:
8:06:,,Sind schon oben.❤️"
Ich strich nach links und die Nachricht verschwand. „Dass ihr schon oben seid hätte ich mir auch denken können." erklärte ich mit leicht spöttischem Unterton an Kathrin gewandt. Diese kicherte nur leicht verlegen und unbeholfen. „Jaa, sorry."

Mein Blick wanderte nun auf den leeren Platz direkt gegenüber von mir. ,,Sitzt da keiner?" fragte ich in die Runde. Erst antwortete mir keiner, doch dann blickte Mika von seinem Ipad auf und schaute mich an. „Doch, Levi sitzt da."

Kurze Verwirrung überkam mich. Wer bitte war Levi? War der schon immer in unserer Klasse gewesen? Ich versuchte, mich an den besagten Typen zu erinnern, doch ich konnte mir echt nicht erklären wer dieser Levi war. Kathrin warf mir einen belustigten Blick zu, während Melina nichts von all dem mitbekam, da sie an ihrem Ipad herumhantierte. Ich schüttelte kurz den Kopf, dann versuchte ich das eben erfahrende zu verdrängen und mich auf die Schule zu konzentrieren. Ich ging mit Kathrin noch einmal den Stoff den ich verpasst hatte durch und ließ meine Hausaufgaben von ihr korrigieren, doch dabei ging mir dieser Levi nicht aus dem Kopf. Ich konnte mir bei allem nicht erklären, wer dieser seltsame Junge war. Doch es brachte auch nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, denn offensichtlich kam er heute eh nicht zur Schule.

Unser Englischlehrer, Herr Wolfer, kam gut zehn Minuten verspätet in den Unterricht. Völlig außer Atem aber trotzdem motiviert stellte er seine Sachen auf das Pult und begrüßte uns. ,,Hello Everybody!" rief er mit seiner typisch überschwänglichen Art in den Raum. Wie an einem Montagmorgen abzusehen bekam er von dem Großteil der Schüler nicht mehr als ein genervtes Grummeln als Antwort.

Und auch meine Motivation zeigte sich die erste Englischstunde über gar nicht. Ich spielte einfach ein altes Spiel, welches ich auf mein Ipad geladen hatte, bis Herr Wolfer das bemerkte und mich aufrief. Sofort wurde ich rot vor verlegenheit. ,,Naya, please compare Melina's Summary with Pia's." forderte er und sah mich dabei mit seinem schadenfrohen Blick an. Ich schluckte. Ich hatte weder Melina noch Pia zugehört und hatte keinen blassen Schimmer, was in deren Summarys drangekommen war.

Ich war kurz davor irgendetwas sinnloses von mir zu geben, als es plötzlich an der Tür klopfte. Herr Wolfer drehte sich zur Tür und bat die Person hinein. Als die Person in den Raum eintrat klappte mir automatisch mein Mund auf. Ein Junge kam in den Klassenraum, groß und schlank, mit kurzen blonden Haaren. Einerseits hatte ich keinen blassen Schimmer wer er war, andererseits kam es mir vor als würde ich ihn schon ewig kennen.

,,Sorry dass ich zu spät bin." murmelte der Junge nun in Richtung des Lehrers. Doch dieser ließ den Jungen nicht so einfach davonkommen. ,,Oh, Levi, great to see you! Speak english please!" Die Klasse fing an zu kichern, doch Levi blickte Herr Wolfer emotionslos an. ,,Sorry, I'm late. may I sit down now?" fragte er dann monoton. Das Gekicher verschwand, denn anscheinend hatte keiner damit gerechnet, dass Levi sich so einfach und schnell rechtfertigen konnte. Herr Wolfer schien es genauso zu gehen, doch er wusste anscheinend schon genau, wie er den Jungen drankriegen würde. Denn für ihn gab es nichts schöneres, als seine Schüler so richtig schön zu blamieren.

„Of course you can." antwortete er an Levi gewandt. Dieser sagte nichts sondern richtete nur seine Tasche und lief dann langsam auf unseren Gruppentisch zu. Doch er kam nicht weit, denn Herr Wolfer unterbrach ihn: „But let's test your english skills first. You'll hear two summarys now, after that you have to compare them, alright?"

Erneut kicherte die Klasse, und auch Herr Wolfer konnte sich bei dem Anblick des sichtlich genervten Levis ein Grinsen nicht verkneifen. Mir fiel ein Stein vom Herzen, denn dies war vorher meine Aufgabe gewesen, welche ich unmöglich hätte beantworten können. Doch jetzt tat mir Levi irgendwie leid.

Der blonde Junge ging vorne zum Pult und setzte sich auf einen Stuhl neben Herr Wolfer. Dieser wiederum bedeutete Pia, ein zweites Mal ihre Summary vorzulesen. Doch ich hörte erneut nicht zu, denn meine ganze Aufmerksamkeit galt Levi. Sein Gesicht, seine Augen und seine komplette Erscheinung kamen mir so unfassbar bekannt vor, aber ich wusste sie einfach nicht zuzuordnen. Ich versuchte mich zu erinnern ob er bei der Kennenlernfahrt dabei gewesen war, doch mir persönlich war er damals nicht aufgefallen. Deshalb bezweifelte ich, das er im letzten Monat überhaupt einmal zur Schule gekommen war, denn sicherlich wäre er mir sonst aufgefallen. Ganz sicher.

Als auch Melina fertig mit vorlesen war begann Levi seelenruhig die beiden Zusammenfassungen zu vergleichen und zu deuten. Mit nahezu perfekter Aussprache erledigte er seine Aufgabe binnen weniger Minuten. Herr Wolfer gab sich schließlich geschlagen und schickte Levi auf seinen Platz. Dieser behielt weiterhin sein undurchdringliches Pokerface bei und kam nun auf uns zu. Mika wartete schon und begrüßte ihn mit einem lockeren Handschlag. Die beiden kennen sich, das heißt dass Levi schon mal hiergewesen sein muss. Aber wann?

Levi warf seine Tasche genau wie ich vorhin lustlos auf den Boden und schmiss sich dann auf seinen Stuhl. Ich musste geglotzt haben wie ein behindertes Eichhörnchen, denn plötzlich blickte Levi mich an. Sein Blick bohrte sich in meinen und dabei zeigte er keinerlei Emotionen. ,,Hi." sagte er nur.

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⏰ Last updated: Sep 22, 2017 ⏰

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Wolken in EisblauWhere stories live. Discover now