Kapitel 36

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Mit einem rasenden Herz machte ich mich schnellstmöglich auf dem Weg zu meinem Auto. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie so einen Adrenalinkick, als würde mein Herz bis nach außen klopfen und die Welt würde es hören. Meine Atmung so schnell wie die eines Passivrauchers, der fünf Kilometer gejoggt ist. Meine zitternden Hände umfassten das Lenkrad ganz fest, sodass meine Adern heraus ragten und wie verrückt in meinem Körper pochten. Ich kam in Nullkommanichts an und lief darauf um die Wette. Im Aufzg drückte ich die eins ganz oft, damit die Tür endlich schließt und ich mich dem Op-Bereich nähern kann. Oben angekommen empfang mich schon eine Krankenpflegerin, die für mich wie telefonisch besprochen da stand, um mir die aktuellsten Nachrichten zu überliefern.
"Herr Demir?", fragte sie mich und ich nickte.
"Bitte sagen Sie mir was Gutes", flehte ich sie an und sie bat mich, mitzukommen.
In eine Art Büro setzte ich mich hin und sie sich gegenüber von mir.
"Es tut mir Leid Herr Demir. Das Baby schwebt in Lebensgefahr, genau wie ihre Frau. Sie wird operiert und das Kind wird durch OP aus ihr geholt, da es unbedingt versorgt werden muss. Ich kann Ihnen nichts garantieren, was das Überleben betrifft. Hier, trinken Sie ein Glas Wasser.
"Wann kann ich zu einen von ihnen?"
"Das muss ich selbst erst erfahren Herr Demir."
"Bitte geben Sie ihr Bestes. Wenn es sein muss, zahle ich die höchste Summe an Geld, aber retten Sie meine Familie. Ich habe nur sie", flüsterte ich am Ende und sie nickte bemitleidend.
"Ich warte im Flur."
"Sie können ruhig hier bleiben", sprach sie, doch ich verneinte und sah auf dem Flur meine Jungs.
Kurz und knapp erklärte ich ihnen die Lage und wir beteten. Wir beteten und beteten um die Wette. Ich erwähnte nur den Namen meiner Frau und meines ungeborenen Kindes im Dua. Eine Minute verging, drei Minuten vergingen, dreizig Minuten vergingen. Ich hatte Hoffnung, ich hatte Glauben und ich hatte Menschen an meiner Seite, die meine Familie in ihr Dua erwähnten.
Geduld war der einzige Schlüssel zur Tür und ich beherrschte mich, zählte wie ein Verrückter jede Sekunde und bekam den Trost meiner Brüder neben mir. Sie würden überleben. InshAllah. Sie werden überleben. Niemals wird ihnen was zustoßen.
Später vergaß ich die Zeit, doch erwachte von meinen Gedanken, als eine Krankenschwester auf uns zukam.
"Und?", fragte Miro sie.
"Ihre Tochter wurde so eben aus ihrer Frau geholt. Allerdings schwebt sie in Lebensgefahr. Wir werden sie jeden Moment an das Beatmungsgerät anschließen, da sie kaum Sauerstoff aufnimmt."
"Darf ich zu ihr?"
"Natürlich, folgen Sie mir. Aber bitte nur zwei Personen erstmal."
Ich ging mit Miro, der Rest würde warten. Sie brachte uns im jeweiligen Raum und ich sah sie von Weitem. Ein kleines Geschöpf lag in der Plastikartigen Kiste mit unzähligen Kabel. Bewusstlos mit geschlossenen Augen sah ich sie und näherte mich ihr im langsamen Tempo. Diesen Moment konnte ich nicht realisieren. Wie eine Überraschung. Ob ich weinen oder lachen sollte, war mir unklar.
"Darf ich sie tragen?", fragte ich die Schwester und eine Träne fiel auf ihre Bettwäsche.
"Erstmal nicht, tut mir Leid."
Meine großen Hände legte ich an die Kante der seltsamen Kiste und sah hinunter zum kleinen Kopf. Sie war wunderschön.
"Sie sieht wie du aus, aber die Augen sind definitiv von Dunya, so groß", sprach Miro und legte seine Hand auf meine Schulter.
"Sie ist so hübsch und klein", flüsterte ich.
Vorsichtig strich ich mit meinem Finger über ihre weiche Wange.
"Wieso ist sie nicht wach?", fragte ich verzweifelt.
"Herr Demir, sie ist noch nicht so weit. Alles geschieht mit der Zeit."
"Bruder es ist besser so. Sie spürt erstmal keine Schmerzen."
Unglaublich, das war meine Tochter vor mir.
"Sie ist so tapfer Miro. Sie hat diesen Unfall überstanden", sprach ich mit Stolz und wollte lächeln, doch es gelang mir nicht.
Der Arzt kam und machte unzählige Sachen an ihr. Sie gab keinen Laut, ihre Augen geschlossen. Wie eine Leblose lag sie da und das machte mir tierische Angst.
Nach einer Zeit wurde sie an das Beatmungsgerät angeschlossen und ich durfte sie endlich in meinen Armen nehmen.
Sanft nahm ich sie und spürte keinerlei Gewicht auf meinen Armen. Aus Angst passte ich doppelt so viel auf, sie war dünn, sehr dünn und zierlich.
"Ich liebe dich meine Prinzessin. Du schaffst es, verlier bloß deinen Atem nicht. Ich bin schon jetzt stolz auf dich und ich werde mein Leben lang alles für dich tun, wenn du brav weiter atmest und aufstehst", flüsterte ich und gab einen sanften Kuss auf ihre Handoberfläche.
Nach zehn Minuten musste ich sie wieder ins Bett legen und erfuhr kurz darauf, dass Dunyas OP langsam ein Ende nahm. Allerdings gab es keine guten Nachrichten. Sie hatte tiefe schlimme innere Blutungen. Ihr ging es total schlecht. Es hing von ihr ab. Man stellte fest, dass sie im Koma gefallen war. Nachdem ihre Operation vollendet war, sah ich sie. Auch sie hatte eine Sauerstoffmaske an, lag bewusstlos auf das Bett, welches geschoben wurde und an dem ich ebenfalls meine Hände klammerte und sie begleitete. Nebenbei hörte ich den Ton ihres Herzes, welches andererseits in meinem Kopf dröhnte und ich dem Austicken nahe war. Ich wollte schreien, alles um mich werfen und meine Trauer rauslassen. Doch stattdessen verdrückte ich meine Emotionen und ging hinter ihr dicht her. Im Zimmer kontrollierte der Arzt alles und gab mir den neuesten Stand bekannt. Man würde auf ein Zeichen warten oder die Geräte abschalten. Und bei meiner Tochter war es nicht anders. Auch sie lebte von diesen Geräten und man müsste auf ein Zeichen warten. Meinen Kopf lehnte ich an die Kante und begann zu schluchzen und wie in Trümmern zu weinen.
"Wach auf Dunya, wach auf", flüsterte und wiederholte ich mehrmals, immer wieder, wie ein Verrückter. Sie soll doch nur wach sein und mich anschreien, dass ich wieder Schuld war. Ihr wütendes Gesicht will ich sehen. Sie wird aufstehen. Das wird sie. Die Stärke hatte meine Tochter von ihrer Mutter.
Der Arzt schaute mehrmals nach meiner Tochter und ich spürte, irgendwas war eigenartig.
Ich hielt ihn auf und fragte ihn natürlich.
"Herr Demir, ihre Tochter erwacht jeden Moment, denn sie hat es geschafft. Allerdings müssen sie gedulden, denn ich stabilisiere sie sofort.
"Danke", sprach ich und er legte seine Hand auf meine Schulter. Sofort eilte ich zu den Jungs und erzählte es ihnen.
Tausend Mal bedankte ich mich bei Allah und setzte mich auf den Stuhl.
"Jungs betet weiter. Ich hab so Hoffnung bekommen, dass Dunya überleben wird."
"Ich glaube stark an sie Bruder", sprach Ali und ich nickte.
Wir verbrachten hungrig und durstig Stunden in diesem Krankenhaus. Ich bewegte mich nicht vom Platz, blieb sitzen und war nur aufmerksam, wenn der Arzt oder eine Krankenschwester den Saal verließ.
"Herr Demir, kommen Sie mit, wenn Sie ihre Tochter sehen möchten."
Sofort folgte ich ihr, gefolgt von meinen Jungs.
Im Raum umhüllte mich ein süßlicher Babygeruch, den ich in mich einzog und wartete, bis die Krankenschwester meine Tochter hob und mir übergab. Sie versuchte ihre Augen langsam zu öffnen, doch anscheinend war das Licht zu hell für ihre schutzlosen zuckersüßen Augen.
Mit meinem Finger strich ich über ihre Hand und kuschelte sie ganz leicht an mich.
Tränen sammelten sich in meinen Augen und obwohl ich der Erwachsene unter uns Beiden war, fühlte ich mich von ihr geborgen. Sie machte mich zu etwas Besonderem, sie war mein kleines Mädchen. Sie war eine Schöpfung aus meiner Frau und mir.
Auch die Jungs nahmen sie in den Arm und danach legte ich sie ins Bett. Manchmal weinte sie, wurde gefüttert und schlief wieder. Sie war eine zweite Dunya, ein total verpeilter Schlafsuchti.
Sie brachte mich an diesem Tag zum lächeln, doch nachdem ich den Raum verlassen musste, platzte mein Herz wieder in zig Teile. Dunya kämpfte immernoch um ihr Leben. Ihre Operation war beendet, aber trotzdem befand sie sich zwischen Leben und Tod. Nach einer Weile musste ich mit einem Anzug in den Raum. Es herrschte höchste Hygiene. Mit verknotetem Hals näherte ich mich meiner bewusstlosen Frau und hatte die strenge Anweseisung, sie erst garnicht zu berühren. Sie sah schrecklich aus, Kratzer, Wunden, Blutungen, Schliffungen, Knochenbrüche, einfach alles war an ihrem zierlichen Körper zu erkennen. Wie unser Kind überlebt hatte, war mir ein großes Rätsel. Eher hatte ich erwartet, dass es die Kleine mehr treffen würde.
Ich hoff mein Herz bleibt stark, dachte ich mir, denn ich stand kurz davor, entweder in wenigen Tagen mit Dunya und unserem Kind Zuhause zu sitzen oder ihre Beerdigung mit meiner Tochter zu besuchen. Ihr Gesicht war kaum zu erkennen, sie sah schrecklich aus, schrecklich.
Wie zur Hölle sind diese Verletzungen durch nur einen Unfall im Stande gekommen? Das konnte nicht sein. Eindeutig nicht, da muss was anderes passiert sein.
Stark blieb ich und machte öfters den Versuch, keine Träne zu vergießen. Dunya hatte mir beigebracht zu lächeln, egal ob bei guten oder schlechten Dingen. Für sie würde ich das tun, den Starken spielen und positiv denken.
Eine ereignislose, betrübte Woche verging. Nichts hatte sich geändert, nur meine Tochters Lage hatte sich stabilisiert. Ich dürfte sie bald nach Hause mitnehmen, eine Hebamme würde mir beistehen und mir jederzeit behilflich sein. Dunya war an der Maschine gebunden und lebte nur durch diese Maschine. Wenn sich bald nichts Weiteres ergeben würde, dann müsste man die Maschine abschalten und dann war das Leben meiner Frau zu Ende, aber das konnte und wollte ich nicht wahrhaben, weshalb ich alles getan habe, um sie von der besten Medizin, von den besten Ärzten und der besten Klinik versorgen zu lassen. Ich hatte sie in eine Spezial-Unfallklinik schicken lassen. Dort würde man sie behandeln, seit zwei Tagen war sie dort. In zwei Tagen würde ich eine Besprechung mit dem Arzt haben und er würde mir seine ehrliche Meinung über Dunya äußern, damit meine ich, dass er mir klar und deutlich sagen wird, ob es noch Sinn macht, sie an der Maschine zu lassen. Natürlich war ich nicht dumm, sondern wusste, dass sie mich auf den Tod vorbereiteten, aber das war Schwachsinn, denn sie würde lebend herauskommen. Sie würde überleben, dafür betete ich Tag und Nacht. Ihre Tochter wird sie nicht im Stich lassen. Sie wollte eine gute Mutter werden. Nachdem meine Schicht beendet war, fuhr ich nach Hause und tat die Kühltruhenpizza in den Ofen. Seit Tagen ernährte ich mich von Fertigprodukten. Die Jungs besuchten mich regelmäßig, sogar Eda war gekommen, aber ich tat es aus Respekt zu meiner Frau und ging ihr aus dem Weg.
Nach dem Essen fuhr ich ins Krankenhaus und besuchte zu erst meine Tochter.
"Morgen ist es soweit Herr Demir, morgen wird sie Zuhause sein."
Ich lächelte bei diesen Worten. Ihren Kopf lehnte ich gegen meine Brust und küsste ihren pechschwarzen Kopf. Sie hatte soviele Haare.
"Wach auf Engel", flüsterte ich in ihr zu kleines Ohr. Es war gewöhnlich für Neugeborene, dass sie rund um die Uhr schliefen, aber ich sah ihre Augen wirklich selten und das ging mir gewaltig auf die Nerven. Sie sollte ihre Augen öffnen, mich sehen. Aber nein, sie schlief ununterbrochen.
Leicht schaukelte ich sie und spazierte mit ihr durch das Krankenhaus. Zuhause hatte ich schon alles Mögliche für sie besorgt, von der Socke bis zur Winterjacke.
Wäre Dunya hier, wäre ich besser dran, denn ich war erst kurz davor, Jungensachen für mein Engel zu kaufen. Ich war nunmal eine Niete, was das Shoppen für meine Tochter anging.
Aber heute war ein besonderer Tag, denn heute würde ich den Namen meines Kindes offiziell bekannt geben. Es war echt schwer, denn die Krankenschwestern fragten mich jeden Tag, aber ich musste mir Zeit lassen, denn der Name sollte etwas Besonderes sein.
Nach langem Überlegen fiel mir der Name Nefes ein. Nefes stand für Atem unf diese Bedeutung passte perfekt zu mir und Dunya. Sie war unser Atem. Auch der Krankenschwester gab ich den Namen und sie kümmerte sich um den Papierkram.
"Nefesim(mein Atem)", sprach ich lächelnd und strich über ihre Mundwinkel. Sie war so atemberaubend süß, als hätte Allah alles vorher überlegt, bevor er sie geschaffen hat.
Ich blieb noch zwei Stunden bei ihr und verschwand dann auch, da Dunyas Klinik außerhalb der Stadt lag. Dort angekommen kaufte ich mir einen Kaffee, denn langsam nahm meine Energie ab. Mittlerweile war ich kaffesüchtig, so stark brauchte ich es.
In Dunyas Zimmer setzte ich mich neben ihr und nahm ihre kalte Hand in meine.
"Weißt du, du liebst es mich reinzulegen. So zu tun als ob, aber jetzt hör auf mit deinen Spielen und steh auf. Morgen ist unsere Tochter Zuhause, aber es wird ihr ohne ihre Mutter nicht gefallen. Sie hat nichteinmal von deiner Milch probiert, sie wurde von dir einfach getrennt. Sie orientiert sich momentan nur an mich und ich finde, dass sie ihre Mutter total vermisst. Schau du hast mich mehr als eine Woche geqüalt. Die Ärzte werden dich aufgeben, wenn du nicht aufstehst. Mein Engel ich vermisse dich so stark. Wach auf, lütfen(bitte)", flüsterte ich am Ende und legte meinen Kopf auf ihre Hand.
Neben ihr schlief ich für einen Weil unbeabsichtigt ein und stand erst am Abend auf. Die Krankenschwester machten zwischendurch noch Kontrollen und der Tag neigte sich langsam zu Ende. Jedesmal fiel es mir so schwer, mich zu verabschieden, denn ich wollte nicht erneut einen Tag im Bett ohne meiner Frau verbringen. Trotzdessen fuhr ich am späten Abend nach Hause und kochte wieder etwas aus der Dose. Für morgen testete ich alles nochmal, ob alles auch da war, da ich morgen meine Tochter erwarten werde.
Mein Handy klingelte und überraschenderweise war es Eda.
"Ja?", fragte ich sie.
"Hey ich wollte dich fragen, wie es dir geht."
"Gut", seufzte ich versehentlich laut.
"Wann kommt die Kleine nach Hause?"
"Morgen wieso?"
"Ich weiss, dass sie eine Hebamme hat, aber ich fürchte, dass du dich nicht um sie kümmern kannst, wenn die Hebamme weg ist. Ich weiß, du wirst nicht begeistert sein, aber wenn du willst, dann kann ich dir behilflich sein."
"Nein Eda lass stecken. Ich will dich nicht weiterhin sehen."
"Du wirst meine Hilfe brauchen und ich will mich auf keinen Fall dich nähern, mir tut die Kleine einfach Leid Burak. Sie hat momentan keine Mutter, weißt du wie schlimm es für einen Säugling ist?"
"Wenn ich deine Hilfe brauche, dann melde ich mich. Jetzt nerv nicht, tschüss", sprach ich ein wenig genervt und legte auf.
Am nächsten Morgen stand ich aufgeregt auf, denn ich konnte endlich mein Schatz nach Hause holen.
In der Frühe fuhr ich ins Krankenhaus und sah schon, wie die Hebamme, die übrigens Lena hieß, sie anzog und ihr die dicke Jacke rüberzog. Nachdem ich einpaar Papiere ausgefüllt und vollständig unterschrieben hatte, wurde mir die Erlaubnis in die Hand gedrückt und schon konnte ich nach ein und halb Stunden endlich weg. Anna würde mit mir nach Hause fahren, mir helfen und Tipps für heute geben, ehe sie zurück fahren würde.
Hinten schnallte ich meinen Engel an und setzte mich mit der Hebamme in den Wagen.
Wir unterhielten uns über Dunya, bis wir ankamen und ich meinen Spatz aufgeregt in die Wohnung brachte. Die Hebamme wechselte ihre Windel, während ich zusah und lernte, wie sowas überhaupt geht. Danach zeigte sie mir, wieviel Milch ich Nefes verabreichen durfte und wann. Dann erklärte sie mir, dass es wichtig war, dass sie ihr Bäuerchen macht und ich ihr jeden Tag eine Vitamin D Tablette gebe. Ich wusste jetzt schon, dass ich so richtig scheitern würde, aber ich hatte Google und somit Hoffnung.
Nach einer Stunde war die Hebamme dann auch weg und ich fütterte Nefes erstmal, weil sie schon lange nichts getrunken hatte.
Um ehrlich zu sein hatte ich Angst, was falsch zu machen und ging mit ihr wie zerbrechliches Glas um, obwohl ich mir vor ihrer Geburt geschworen hatte, sie nicht zu verwöhnen. Naja ich hatte keine andere Wahl. Nachdem ich sie fertig gefüttert hatte, legte ich sie auf meinen Bauch und zockte Fifa. Zwischendurch klopfte ich ganz zart auf ihren Rücken, damit sie ihr Bäuerchen macht und sie hatte keine zwei Minuten gebraucht. Mitten in der Nacht zockte ich Fifa und sie öffnete nach einer Weile ihre Augen. Endlich, dachte ich mir und machte Fotos von ihr, denn die Jungs hatten sie noch garnicht mit geöffneten Augen gesehen. Ich spielte mit ihr, machte hässliche Gesichtszüge, aber sie checkte meine Witze nicht, weswegen ich es sein ließ. Später wechselte ich ihre Windel, was widerlich war, da sie groß gemacht hatte. Ich zog ihr ihre Schlafsachen an und gab ihr ihre Decke, während ich meine nahm und sie in meine Arme legte.
"Gute Nacht Nefesim, morgen besuchen wir Mama", sprach ich und strich über ihren kleinen Kopf.
Diese Nacht würde ich kein Auge zudrücken, in Angst sie ausversehen zu zerdrücken oder sonst was. Sie schrie auch zwischendurch und verlangte Milch, die ich ihr jederzeit gab. Oh man, das war eine schreckliche Nacht. Am Morgen wechselte ich ihre Windel.
"Scheiße!", fluchte ich. Ich hatte ihr die Windel nicht richtig gebunden, weshalb ihre Kleidung voller Pipi war. Die Arme.
Also duschte ich sie in einer Wanne und das war die Hölle, denn ich hatte so Angst, sie ausversehen zu ertränken. Wettergerecht zog ich ihr stylische Kleidung nach meinem Geschmack an und wir fuhren in der Frühe ins Krankenhaus, nachdem ich ihr eine Flasche Milch gegeben hatte. Im Krankenhaus kannte ich mittlerweile den Weg dahin und wir öffneten die Tür. Wie immer, in der gleichen Stellung und leblos sah ich meine Frau und die nervenden Herztöne, die meinem Herz weh taten. Stumm setzte ich mich zu ihr und legte Nefes neben ihr.
"Nach mehr als einer Woche darfst du endlich die Nähe deiner Tochter Nefes spüren. Es war so schwer, einen Namen ohne deine Meinung festzulegen. Aber nun ist sie hier und sie sieht dir verdammt ähnlich. Wir beide wollen dich zurück, wir lieben dich. Du bist meine Dunya(Welt) und sie ist meine Luft, Nefes."
Keine Reaktion, nichts. Sie war gefangen. Aber sie hörte mich und ich würde sie so lang zulabern, bis sie genervt von mir erwachen würde.
"Ich habe beim Boxen eine Pause eingelegt und gehe so selten zur Arbeit, nur weil ich es nicht kann. Ich kann dich in dieser Lage nicht verlassen. Elend fühle ich mich. Weißt du ich hatte nichteinmal den Gedanken, was wäre wenn? Nichteinmal daran konnte ich denken, dass meine Frau eines Tages mal im Koma liegen würde. Dass sie von einer Maschine am leben war und ihr Leben wahrscheinlich sogar endet, woran ich aber nicht glaube. Weil ich weiß, dass du aufwachen wirst. Wenn es Nefes geschafft hat, wieso dann du nicht?", hauchte ich und fing an zu weinen.
"Hadi steh auf, du hast nichts vom Leben gesehen, jetzt erst beginnt unser Leben, weil wir seit einer Woche eine Familie sind. Steh einfach auf, öffne nur deine Augen, sonst erwarte ich nichts. Gib mir ein Zeichen, das du mich hörst Dunya, nur ein Zeichen. Du bist tapfer, schlag dich durch. Du schaffst das, wir alle glauben an dich. Ich werde sauer sein, wenn du mich verlassen wirst. Wach auf, lütfen."
[...]
"Ich bin in einer Stunde sehr wahrscheinlich wieder zurück", sagte ich der Hebamme und gab ihr Nefes.
"Ich werde mich kümmern, keine Sorge Herr Demir."
Im Krankenhaus fragte ich nach dem Büro des Arztes und wartete aufgeregt vor der Tür, da er mich abholen würde. Mein Körper zitterte. Ich hatte die Nacht lang durchgebetet, genau so wie mein Vater und meine Jungs. Diese Besprechung würde mein Leben verändern, denn hinter dieser Besprechung steckte ein Entschluss, ein Entschluss über Leben und Tod meiner Frau.
"Herr Demir", begrüßte mich der Arzt und bat mich herein. Auf dem Tisch Dunyas Akte. Jetzt würden nur die Worte des Arztes zählen. Entweder meine Frau schafft es oder wir müssen die Geräte abschalten, weil es weiterhin keinen Sinn macht, da ihre Lage gleich bleiben wird. Einer dieser Entscheidungen würde der Arzt wählen und ich wollte meine Ohren abschalten, denn mein Herz klopfte bis zu meinen Ohren.
"Ich bin zu folgendem Entschluss gekommen", fing er an und gab mir ein Glas Wasser, da er meine Angst bemerkte.
Wasser, er gab mir Wasser. Genau das hatte die Krankenschwester gegeben, als sie mir beichten wollte, dass ich wohlmöglich entweder Frau oder Kind verlieren würde. Also musste dieses Glas Wasser schon als Antwort ausreichen..

Der charmante PolizistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt