Ich höre mein Herz pochen, so aufgeregt bin ich. Nicht wegen der vielen Leute vor denen ich nun stehe, wegen ihm. Dem jungen Mann, der gerade zur Seite geht um mir Platz auf dem Podest zu machen. Ich kann ihm nicht in die Augen blicken, so sehr fürchte ich, er würde die Gedanken in meinem Kopf lesen und meinen Blick erraten.
„Lacorsita." Mein Vater reicht mir die Hand „Heute ist dein großer Tag. Du allein darfst entscheiden mit wem du den Rest deines Lebens verbringen willst, wer soll dir dein Leben lang treu und ehrenhaft zur Seite stehen? Wem möchtest du jeden Morgen in die Augen blicken und wer soll dir in schweren Zeiten deine Hand halten?"
Er soll es sein! Er! Der junge Mann mit der zauberhaften Stimme. Er soll mir morgens durch mein Haar streichen und mich lieben zu aller Zeit.
Mein Vater führt fort „Aber jene Entscheidung bedarf noch einer Nacht Ruh. Heute Vormittag wird Lacorsita zu der ungeschrieben traditionellen Zeremonie bekanntgeben, wer der Glückliche sein wird. Vorerst legt euch zu Bette nieder und genießt den Ausklang dieses schönen Abends. Ich wünsche eine wohlbehütete Nacht und seid heute zu erholter Stunde frisch und munter auf den Beinen."
Die Menschen im Hofe des Palastes fangen an zu jubeln und zu klatschen. Kurz drehe ich meinen Kopf zur Seite und sehe ihn aus dem Augenwinkel. Er schaut mich nicht an.
„Mein liebes Kind" flüstert mir mein Vater ins Ohr „leg auch du dich zur Ruh, in ein paar Stunden ist es soweit. Du solltest ausgeschlafen sein."
Ich gehe vom Podest und drehe mich noch einmal um. Ich hatte das musizierende Trio von dem Augenblick an, als sie angefangen haben zu spielen beobachtet. Schon lange habe ich nicht mehr so guter Musik lauschen können - die meisten Ensembles spielten mit nicht so einer Hingabe. Alle drei dieses Trios standen sehr im Einklang miteinander; der Gitarrist trug ein weißes und luftiges Hemd und eine lockere Hose dazu, seine braunen Haare waren kurz geschnitten und auf seinem Gesicht zeichnete sich ein leichter Bart ab. Der junge Mann, der die Trommel mit Rassel spielte, trug einen weinroten Turban um seinen Kopf und einen dichten, aber wohlgepflegten Bart, sein Oberkörper war frei und er trug nur eine schwarze Hose. Ins Auge fiel mir jedoch nur der Liedsänger - er war so wunderschön, sein freier Oberkörper hatte in den Farben der Lampions geleuchtet und jedes Mal lächelte er, sobald ein Lied zu Ende war und die Menge applaudierte. Er glich wahrlich einem Engel. Freilich waren mir die Blicke der anderen Frauen aufgefallen, wie sie heimlich tuschelten und versuchten Aufmerksamkeit zu erlangen. Aber ich bin die Prinzessin, er verdient eine Frau wie mich.
Zurück auf der Terrasse meines Zimmers, von der aus ich ihm den ganzen Abend zugesehen habe, schaue ich nieder und beobachte die Menschen, wie sie langsam den Hof verlassen.
„Liebe Lacorsita" erschrocken drehe ich mich um und blicke meiner Dienerin ins Gesicht „du sollst doch schlafen gehen und nicht ewig hinausschauen. Hattest du denn einen schönen Abend?"
„Ja, Kamitea. Ist mein Bett schon fertig zubereitet, damit ich wohlbequem träumen kann?"
„Alles nach deinen Wünschen eingerichtet."
„Dann kann ich jetzt schlafen gehen. Gute Nacht."
„Ruhe dich gut aus bald musst du wieder munter und klar bei Sinnen sein." Sagt sie und verlässt mein Gemach. Ich ziehe mich um; ein weißes und fast durchsichtig gewebtes Kleid. In meinem Bett schließe ich die Augen. Schon wieder sehe ich den jungen Mann, höre seine zauberhafte Stimme - wie mag er wohl heißen?
Nur ein Vogel singt draußen in der stillen Nacht und normalerweise wirken seine Töne durch die geöffnete Terrassentür einschläfernd, doch heute ist es anders. Das Licht der Lampions aus dem Hof erlischt und nur noch der Mond scheint durch den weißen und im Lufthauch wehenden Vorhang an meiner Terrassentür. Ich stehe auf und trete durch den Vorhang auf die Terrasse. Die Luft ist noch warm, ein angenehmer Windzug säuselt durch mein langes schwarzes Haar.
