Auf der anderen Seite des Gartens sitzt mein Bruder, der anscheinend irgendwann unbemerkt wegeschlichen ist, gemütlich mit seinen Freunden auf einem ausgebreiteten Tuch. Sobald mich Lynk sieht, springt er auf und eilt zu mir rüber. Er umarmt mich ein weiteres Mal und hebt mich dabei auf. „Mir ist aufgefallen, dass ich dir noch gar nicht gratuliert habe, also: ich wünsche der allerbesten Schwester, die es nur gibt, alles Liebe zum Geburtstag!"

„Ich bin deine einzige Schwester", lache ich als er mich wieder auf den Boden lässt. Er zuckt mit seinen Schultern, macht es sich wieder auf dem Boden bequem und erntet sich dabei wieder einmal eines meiner berüchtigten Augenrollen. Kerros setz sich neben meinen Bruder und Sahira folgt ihm natürlich sofort. Also setze ich mich auf den einzigen freien Platz zwischen ihr und Leron, Lynks ältester Kindheitsfreund.

Sobald ich mich niedergelassen habe, gratuliert er mir ebenfalls zum Geburtstag und wir vertiefen uns sofort in ein Gespräch. Da Leron damals unser Nachbarn war, haben Lynk und er sich fast jeden Tag gesehen und waren beinahe sogar unzertrennlich. Natürlich durfte ich anfangs nie auf deren Abenteuer mitkommen. Für sie war ich immer nur die nervige kleine Schwester. Als die Jahre jedoch vergingen und der Altersunterschied nicht mehr so offensichtlich war, wurde ich immer öfter in deren Unternehmungen inkludiert. Somit haben Leron und ich uns ebenfalls schnell angefreundet.
Ich würde es jetzt vermutlich nie gestehen, aber ich war, seitdem ich eingesehen hatte, dass Jungs nicht nur nervige Wesen sind, heimlich in Leron verliebt gewesen. Doch auch diese Gefühle verflüchtigten sich als ich älter wurde und waren jetzt nur mehr eine peinliche Erinnerung.

Was mein Bruder aber nicht weiß, und was ich ihm auch nicht verraten werde, ist, dass mein erster Kuss mit Leron war. Lynk wäre vermutlich nicht sonderlich erfreut, wenn er wüsste, dass sein bester Freund seine kleine Schwester geküsst hatte und laut meinem Bruder bin ich vermutlich noch immer viel zu jung um nur an das andere Geschlecht zu denken.

Nun zu meinem ersten Kuss gibt es nichts Interessantes zu sagen. Leron hatte mich eines Tages wie aus dem Nichts zum Abschied geküsst und ist dann nachhause gelaufen.

Es war das komplette Gegenteil dieser romantischen Vorstellungen, von denen man als Vierzehnjährige träumt. Der Kuss an sich war seltsam und angespannt und danach herrschte nur peinliche Stille zwischen uns. Er war Minuten lang gar nicht mehr in der Lage zu sprechen, er stotterte lediglich etwas herum, gab jedoch nach mehreren Versuchen auf und rannte nach Hause.

Obwohl es sich nicht so anfühlt hatte, wie ich es mir vorgestellte, war mein peinliches kleines Gehirn von damals anfangs froh darüber, dass Leron mich geküsst hatte. Je länger ich aber über den Kuss und Leron nachdachte, desto klarer wurde es mir, dass meine Gefühle für ihn in keiner Weise romantisch waren. Mittlerweile empfinde ich leider nur freundschaftliche Gefühle, denn er wäre eigentlich der perfekte Partner. Er ist liebevoll, fürsorglich und ist immer in der Lage mich zum Lachen zu bringen.

Einige Wochen nach dem ersten Kuss war es zwischen uns etwas angespannt, doch nach und nach löste sich die Anspannung zwischen uns auch wieder. Seitdem kam es hin und wieder zwar zu flüchtigen Küsse, aber diese waren eher erzwungen, da ich versuchte mich doch zu überzeugen, dass ich noch Gefühle für ihn hatte.
Seither haben wir keine weitere Versuche gemacht unsere Freundschaft zu etwas mehr zu machen.

Als ich mich für ein Stück Torte in die Küche begebe, reißt mich jemand aus meinem Gedankengang. „Hat dir eigentlich schon jemand gesagt, wie wahnsinnig hübsch du heute bist? Also sonst bist du natürlich auch hübsch, aber heute bist du einfach unglaublich schön." Ich drehe mich um und muss sofort lachen. Leron lehnt mit überkreuzten Armen gelassen gegen die Wand, doch sein Gesicht wiederspiegelt Verlegenheit. Mein Lachen verunsichert ihn jedoch nur noch mehr und man könnte behaupte, dass er sogar ein wenig rot anläuft.
„In meinem Kopf hat sich das Kompliment viel besser angehört", meint er schüchtern als er sich von der Wand abstoßt.
Mit einem breiten Grinsen drehe ich mich wieder zur Torte. „Nur meine Eltern und das zählt nicht wirklich. Sahira meinte nur, dass ich mir öfters mehr Mühe geben sollte. Laut ihr hätte ich dadurch anscheinend bessere Chancen einen Jungen zu finden, der mich mag", antworte ich mit einem Achselzucken.
Er schlendert zur anderen Seite der Küchentheke, schaut mir wieder in die Augen und öffnet seinen Mund. „Ich mag dich"
„Das will ich aber auch hoffen, du bist ja schließlich mein Freund", erwidere ich mit einem Augenrollen.
„Kalia–", fängt Leron an, doch wird unterbrochen bevor er zu Ende sprechen kann.

The Queen of SecretsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt