6. Schlaflose Nacht

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Die Operation verlief drei Stunden, obwohl keine Komplikationen auftraten. Während wir uns unterhielten, erfuhr ich, dass Amputationen und die Innenchirurgie noch sehr neu im Lande waren. Deshalb verstand ich auch die Anspannung. Im 21. Jahrhundert waren solche Operationen keine schwierigen und ganz sicher keine komplizierten. Es kribbelte in meinen Fingerspitzen die Arbeit des Arztes zu übernehmen, aber stattdessen durfte ich ihm nur über die Schulter schauen und sie hier und da auf Kleinigkeiten hinweisen.

Nach der Operation nahm sich Doktor Thomas wieder die Zeit, um mich für die Unterstützung zu loben. „Die Ruhe, die Sie während der Operation bewahrt haben, ist bemerkenswert. Wenn Sie nichts dagegen haben, assistieren Sie von nun an sämtliche Operationen, Schwester."

Hatte ich bereits erwähnt, wie gerne ich ihn hatte?

Ich sah ihn mit leuchtenden Augen an. „Sehr gerne, Sir!"

Daraufhin brachten wir den bewusstlosen Patienten in ein Einzelzimmer. Großschwester Helene teilte mir die Aufgabe der Beatmung zu. Sie reichte mir den Beutel und einen Stuhl. Fassungslos hatte ich sie angesehen. Natürlich gönnte sie mir das Lob nicht...

Am liebsten hätte ich an Doktor Thomas' Seite weitergearbeitet und lehnte zwar ab, aber die Großschwester ließ mir keine Wahl und drückte mir den Beutel in die Hände. „Das hier ist auch wichtig, Fräulein. Sein Leben hängt davon ab.", schimpfte sie, „Der Patient kann nicht alleine atmen und braucht Hilfe. Wir wechseln uns in regelmäßigen Abständen ab."

Genervt seufzte ich und ließ mich auf den Stuhl neben dem Bett fallen. Sie verließ den Raum und ließ mich mit den bewusstlosen Patienten zurück. Im Rhythmus meines eigenen Atems pumpte ich ihm über den Beutel Luft in die Lungen.

Es war eine sehr eintönige Arbeit, die eindeutig eine Strafe sein sollte.

Ich wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, während ich immer wieder dieselbe Bewegung machte – was auf Dauer auch anstrengend sein konnte -, als Schmidt genervt die Zimmertür aufriss.

„Da bist du ja!", seufzte er ungeduldig, „Ich warte seit einer halben Stunde in der Eingangshalle auf dich. Was machst du da? Lass uns endlich gehen. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit."

Ich unterdrückte den Drang mir die Augen zu verdrehen. „Siehst du nicht, dass ich arbeite?"

„Das nennst du Arbeit?", fragte er skeptisch und versuchte vergebens sich ein Lachen zu unterdrücken, „Was will man von Frauenarbeit auch erwarten?"

„Dass du nicht verstehst, wie wichtig diese Arbeit ist, zeigt mir nur deine mangelnden Gehirnzellen, Schmidt.", erwiderte ich trocken.

Er runzelte verständnislos die Stirn. „Hast du mich gerade beleidigt?"

Ich seufzte. „Geh."

„Nichts lieber als das."

„Wieso bist du dann noch hier?"

„Wenn du in einer halben Stunde nicht im Anwesen bist, bekomme ich die Konsequenzen zu spüren. Also beweg deine fetten Schenkel endlich."

Du bist fett."

„dU bIsT fEtT.", äffte er mir nach.

„Ich meine es ernst, ich kann nicht gehen. Der Mann kann nicht selbstständig atmen. Er wird sterben, wenn ich aufhöre zu pumpen."

Schmidt sah zu dem Patienten auf dem Bett und wie sich seine Brust im Rhythmus zu meinen Schlägen hob und senkte. Er schürzte die Lippen. „Kann das nicht jemand anderes machen?"

„Großschwester Helene wird mich im Laufe des Abends ablösen."

„Diese noch fettere Schwester, meinst du?", fragte er, „Die ist eben gegangen."

Ella - Die Stille nach dem SturmWhere stories live. Discover now