4. Die neue Krankenschwester

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Ich brauchte einen Moment um zu verarbeiten, was geschehen war. War das wirklich die ruhige, schüchterne Rosalie, die ich kennengelernt hatte? Vermutlich hatte ich sie völlig falsch eingeschätzt, denn schüchtern und unschuldig schien sie mir ganz und gar nicht mehr.

Aber im Grunde konnte es mir auch egal sein. Ich hatte meine eigenen Probleme; Und die verliebten Gedanken eines verzweifelten Hausmädchens gehörten ganz sicher nicht dazu.

Daher sammelte ich mit schnellen Griffen die schmutzige Kleidung zusammen und ging wieder runter. Ich schlich mich unmerklich in mein Zimmer und legte mir eines von Hildes Kopftüchern weit unten in den Korb, bevor ich hinaus ging. Immer darauf bedacht, dass die anderen mich nicht sahen, schlich ich mich in den Waschraum, wo ich alleine war. Ich legte den Korb in die Ecke und zog mir den Schleier über den Kopf, ehe ich wieder rausging. Hinter den Büschen suchte ich nach Schutz, während ich langsam und vorsichtig Richtung Tor schlich. Mein Herz pochte mir laut in den Ohren, als ich die Türklinke erreichte. Leise drückte ich ihn runter und öffnete das quietschende Tor. Ich fluchte leise in mich hinein und schlüpfte schnell raus, bevor Peter merken würde, dass das Tor geöffnet wurde.

Draußen angekommen, schlich ich mit schnellen Schritten an der Mauer entlang die Straße runter. Erst als ich die verwirrten Blicke der Menschen bemerkte, fiel mir ein, dass ich nicht mehr gebückt und auf Zehenspitzen laufen musste. Ich straffte die Schultern und ging zufrieden meinen direkten Weg ins Krankenhaus. Ich wusste zwar nicht, wie ich genau hinkam, aber indem ich Passanten fragte, wurde ich schnell fündig.

Im Krankenhaus angekommen, suchte ich eigentlich nach einem Arzt, den ich sprechen könnte. Diese waren aber so schwerbeschäftigt, dass ich schließlich beschloss die Großschwester aufzusuchen.

Das Gespräch mit ihr verlief... bescheiden.

Ich hatte eine halbe Stunde mit der Großschwester diskutiert, aber die alte Kuh ließen mich nicht einmal in die Nähe eines Patienten und wollte, dass ich umgehend das Krankenhaus verließ.

„Sie verstehen nicht! Ich bin zum Helfen hier. Ich bin ausgebildet für diese Arbeit. Lassen Sie mich irgendetwas machen, selbst wenn es nur das Blutdruckmessen ist, bitte!"

„Wir haben nichts gehört von einem Neuzuwachs.", erwiderte die Großschwester, „Wenn Sie noch nicht mit Mr Kurt über eine Stelle hier gesprochen haben, kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen. Bitte, würden Sie die Behausung nun verlassen. Sie halten uns von unserer Arbeit ab."

„Aber ich möchte Ihre Arbeit doch ganz im Gegenteil beschleunigen, wenn Sie mich nur lassen würd-." Ich unterbrach mich selbst, als mein Blick von der Schwester auf etwas weit hinter ihr gezogen wurde. Ich sah über ihre Schulter auf einen Mann mittleren Alters, der durch die Eingangstür gestolpert kam. Er schien wackelig auf den Beinen und hielt sich krampfhaft die Brust fest. Ich hörte kaum, was die Schwester sagte, als sich meine Füße wie von selbst zu bewegen schienen. Erst langsam, dann rannte ich auf den Mann zu, der zu Knie gesunken war. Sein Gesicht schmerzverzerrt.

„Sir? Sir! Geht es Ihnen gut?", rief ich, aber noch ehe ich ihn erreichen konnte, fiel er zu Boden. Ich kniete mich augenblicklich zu ihm. Drei andere Krankenschwester kamen dazu.

Der Mann schwitzte, versuchte schmerzhaft zu Atem zu kommen und hielt sich nach wie vor seine Brust.

„Er hat einen Herzinfarkt.", diagnostizierte ich und sah dann über meine Schulter zu den Schwestern, „Holt einen Defibrillator! Worauf wartet ihr?"

Statt zu tun, was ich sagte, sahen sie mich perplex an, als wüssten sie nicht, wovon ich sprach.

Dann verstand ich.

Sie wussten nämlich wirklich nicht, wovon ich sprach!

Defibrillatoren wurden schließlich noch nicht erfunden!

Ella - Die Stille nach dem SturmWhere stories live. Discover now