Small Talk...

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Am nächsten Tag in der Schule, wartete auch schon Val auf ihn. Er stand wie immer am Eingang mit seinen Freunden und ließ diese aber auch oft seinetwegen stehen.

,,Morgen!", rief er und kam auf Murtagh zu.
,,Morgen."
Wie immer eigentlich liefen sie gemeinsam durch die Flure und redeten.
,,Weißt du was? Hast du Lust, heute Nachmittag zu mir zu fahren, oder bei mir zu übernachten?"
,,I..Ich weiß nicht. I...ich muss erst meinen Dad fragen. Aber, erlauben deine Eltern das überhaupt?"
,,Sie sind fast nie da. Aber es ist ihnen egal."
,,Okay, ich werde meinen Dad nach der Schule fragen. Ich ruf dich dann an."
,,Wir sollten davor aber Nummern austauschen , oder?", grinste Val und Murtagh nickte. Nachdem sie die Nummer des anderen hatten, gingen sie auch schon in ihre Klasse. Die erste Stunde war eine Freistunde. Die mochte Murtagh am liebsten. Da konnte er vor sich hin träumen und niemand störte dies. Val dagegen machte Mathe-Hausaufgaben. ,,Du hast das Prinzip von HAUSaufgaben wohl nicht verstanden.", sagte Murtagh leise und warf einen Seitenblick auf Val. Dieser musterte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen und grinste.
,,Ich hau dir gleich eine, mir egal ob du kleiner und schwächlicher als ich bist."
,,Und dann machst du auch noch alles falsch!"
,,Vergiss nicht, ich darf dein Essen aussuchen."
,,Ich bin schon still.", damit starrte er weiter nach draußen. So gut wie er gestern geschlafen hatte, in den Armen von seinem Dad, hatte er schon lange nicht mehr geschlafen. Deshalb war er heute wenigstens ein bisschen besser gelaunt und ausgeschlafen.
,,Das ist mir egal, Hauptsache ich habe sie. Und meinen Eltern ist das sogar zehn mal egal.", erklärte Val etwas später und machte Murtagh neugierig.
,,Warum? Was ist mit deinen Eltern?"
Da Val offenbar nicht gewillt war ihm etwas zu erzählen dachte Murtagh einen Moment nach.
,,Na gut, dann machen wir das so, du stellst mir eine Frage, die ich beantworten muss und dafür stelle ich dir eine Frage die du beantworten musst. Und so geht das immer weiter. Ich weiß dass du noch viele Fragen hast Val. Ich sehe es in deinen Augen.", schlug der jüngere vor und grinste leicht.
,,Wow! Du kannst grinsen!"
,,Haha, du darfst anfangen."
,,Ähm, okay also, wenn du dich im Spiegel ansiehst, wen, wie oder was siehst du da?"
,,Wie bist du denn auf diese Frage gekommen?", fragte Murtagh seinen Freund und setzte sich seitlich auf den Stuhl, um Val ansehen zu können.
,,Ich habe mich das gestern gefragt, als ich in meinem Bett lag."
,,Naja, manchmal sehe ich einfach nur mich. Zu dünn, blass und traurig. Aber wenn es mir einfach mal wirklich mies geht, und ich mir selbst immer wieder einrede, dass ich einfach nur hässlich und unnützlich bin, dann sehe ich jemanden der ich nicht sein will. Und Was ich sehe? Einen Jungen der zu viel verloren hat, um jemals wieder zurück ins Leben finden zu können."
Val hatte einfach nur zu gehört. Er konnte sich gar nicht vorstellen, wie es für Murtagh sein musste, so zu leben. Früher hatte er immer gedacht, dass sein Leben nicht gerade das schönste war, doch das überbot alles.
,,Tut mir leid wenn ich dir zu nahe getreten bin. Du bist dran."
,,Was ist mit deinen Eltern?"
,,Sie sind so gut wie nie da und überlassen mich praktisch mir selbst. Sie haben mich zwar gern, aber ihr Job bedeutet ihnen mehr."
,,Das ist schade. Mein Dad würde sich über einen Sohn wie dich sicher mehr freuen als so einen wie er jetzt hat. Mit dir hätte er viel weniger Probleme und Sorgen."
,,Sag so was nicht! Dein Dad hat doch echt nett ausgesehen. Und er liebt dich sicher mehr als meine Eltern mich lieben. Und wenn er dich sogar freiwillig von der Schule ab holt, dann hat der dich gleich doppelt so lieb. Meine Eltern haben mich an meinem ersten Schultag im Regen nach Hause gehen lassen ich war damals erst sechs und hatte keine Ahnung wo ich wohnte. Ich bin dann zwei Stunden in der Stadt herum geirrt, bis ich dann zufällig auf das Auto meiner Eltern gestoßen bin. Sie wollten mich nicht einsteigen lassen, weil ich völlig durchnässt war, deshalb hat mein Dad den Fahrer aus dem Auto geworfen, ihm etwas Geld in die Hand gedrückt und gesagt, er solle mit mir den Bus nehmen, und ist dann selbst gefahren.", erzählte Val ihm und lachte leise.
,,Echt? Das haben sie gemacht? Mum und Dad waren an meinem ersten Schultag total gestresst, dass sie mich auch rechtzeitig wieder abholen konnten, Mum wäre am liebsten gleich bei mir geblieben und hätte mich an der Hand durch die Schule begleitet. Dad hatte mich auch den ganzen Vortag lang gefragt, ob ich schon bereit dazu bin, oder ob ich nicht doch noch ein Jahr in die Vorschule gehen möchte.", grinste Murtagh.
Val lachte. ,,Und jetzt sag noch einmal, dass dein Dad lieber mich als Sohn hätte."
,,Vielleicht hast du recht, aber er muss sich ständig Sorgen um mich machen und kann seinen Tag nie wirklich genießen. Außerdem wirkt er immer so traurig und einsam."
Val schwieg, weil er wirklich nicht wusste was er darauf erwidern sollte. Auch Murtagh schwieg eine Weile lang.
,,Val?"
,,Hm?"
,,Ähm..Ich habe mit meinem Dad einen Deal gemacht, und zwar, wenn ich in den nächsten zwei Wochen zwei Kilo zu nehme, dann muss ich nicht mehr zu dieser Selbsthilfegruppe gehen. Kannst du mir dabei helfen?"
,,Klar, aber nur wenn dun heute Nachmittag noch zu mir kommst. Du solltest mal ein wenig Spaß haben, wenn du willst dann kann ich dir die Stadt zeigen. Oder wir können in die Mall gehen, was du willst. So könntest du deinem Dad auch ein wenig Zeit für sich geben und ihn auch einmal entspannen lassen. Also Ja oder JA?"
Murtagh verdrehte die Augen. Eigentlich hatte Valentin ja recht. Orlando war wirklich schön, soweit man den Bildern in Google trauen konnte, und so hätte sein Dad wirklich etwas zeit für sich, und müsste sich nicht ständig Sorgen um ihn machen müssen.
,,Gut, wann"
,,Sagen wir um drei. Ich kann dich bei dir Zuhause abholen, wenn du mir deine Adresse gibst. Dann fahren wir zu mir. In Ordnung?"
,,Ist gut."
Zufrieden mit sich selbst nickte Val und wandte sich nun wieder seinen Hausaufgaben zu.

Pünktlich um halb zwölf, hatten sie wie immer Mittagspause und Val besprach schon mit Murtagh sein heutiges Essen. Der jüngere hörte nur mit einem Ohr zu und dachte schon an heute Nachmittag. Die Adresse hatte Val jetzt ja und wie schon besprochen würde Val ihn um drei zu Hause abholen. Nachdem Val ihm wieder einen kleinen Teller Salat, eine Dose Cola, eine Pizzaschnitte und auch einen Muffin auf das Tablett geladen hatte, setzten sie sich wieder an den Tisch neben dem Fenster und begannen zu essen. Murtagh knabberte wie immer an den Sachen herum und sah sich meistens um. Viele Leute an einem Fleck machten ihn nervös. Deshalb hatte er auch auf der Hochzeit von einem Freund seines Dads, er war dreizehn gewesen, sich immer in den letzten Winkel des Festes gesetzt. Seine Mum hatte ihn auf dem Fest dann gesucht und geschumpfen weil sie ihn nicht mehr gefunden hatte.
Das Essen schmeckte wirklich gut, das musste man der Köchin lassen. Vor allem der Muffin. Trotz Murtaghs Essstörung, hatte er immer noch eine Schwäche für Süßes, dass hatte Valentin auch mitbekommen. Grinsend stellte dieser fest, dass sein kleiner Freund schon den ganzen Muffin verputzt hatte.
,,Also, wenn du jetzt noch den ganzen Salat und die halbe Pizzaschnitte isst, dann bin ich stolz auf dich, und dein Dad sicher auch. Hast du dich heute Morgen auf die Wiege gestellt? Nur damit wir wissen, wann du zwei Kilo zu genommen hast."
,,JA...hab ich. 41 Kilo.", teilte er Val leise mit, sodass dieser es auch nur mit Mühe verstand.
,,Okay, dann brauchst du 43 Kilo. Das schaffen wir beide. Versprochen."
,,Danke."
,,Wie kommst du heute nach Hause?"
,,Mit dem Bus. Warum?"
,,Soll ich dich mit nehmen?"
Murtagh zuckte mit den Schultern. Er wollte seinem Freund keine Umstände machen.
,,Nein, das ist nicht nötig, ich will dir keine Umstände machen."
,,Tust du nicht, ich fahr dich gerne!"
Etwas überrascht sah Murtagh zu Val der ein bisschen rot wurde.
,,O...Okay."

Nach der Schule, die heute doch nur bis eins war, da die letzte Stunde ausgefallen war, lief Murtagh neben Val auf dessen Auto zu. Ein schwarzer Porsche 911 Turbo S.
Beide stiegen ein und Val fuhr vom Parkplatz.
Inzwischen regnete es wieder und Murtagh starrte gedankenverloren aus dem Fenster. Die Straßen waren voll befahren zu dieser Zeit, da die meisten nun nach Hause fuhren um mit ihren Familien zu essen. Murtagh hatte keinen Stress. Sein Dad würde ohnehin erst um zwei nach Hause kommen und bis dahin, hatte er sowieso nichts besseres zu tun. Nur Vals Geduld schien mit jeder Minuten kleiner zu werden. Genervt atmete Val ein paar Mal aus und fluchte leise vor sich in.
,,Ist ja schon gut, wir haben es ja nicht eilig.", meinte Murtagh und grinste leicht.
,,Wenn du meinst."
Leider standen die beiden jetzt schon seit einer knappen dreiviertel Stunde auf den Straßen. Sie hatten sich auch nur wenige Meter bewegt.
Ob jemand einen Unfall gehabt hatte? Bei diesem Gedanken, bekam Murtagh eine Gänsehaut. Mit dem Kopf gegen die Scheibe gelehnt, beobachtete er die vielen Regentropfen, die einzeln nach unten rannen. Er war so tief in seinen Gedanken versunken, dass er gar nicht bemerkte, wie Val endlich weiter fahren konnte und somit keinen Nervenzusammenbruch bekommen würde.
Erst als sie um viertel nach zwei zu Hause bei ihm ankamen, bekam Murtagh die Geschehnisse um ihn herum wieder mit. Das Auto von seinem Dad war auch schon da. Murtagh schnappte sich seinen Rucksack und lief zur Tür. Zu seiner Überraschung wartete VAl noch. Etwas verunsichert, klingelte Murtagh und hörte auch kurz später Schritte. Sein Dad öffnete die Tür. Er hatte selbst noch seine Jacke an, und war wahrscheinlich auch erst gerade gekommen.
,,Heute schon da?", fragte Alex grinsend und sah dann auf das Auto hinter seinem Sohn.
,,Bis später Val!"
,,Bis dann!"
,,Trefft ihr euch später?"
,,Ja, um drei."
Alex sah schnell auf seine Uhr und dann wieder zu Murtagh.
,,Dan ist in einer dreiviertel Stunde. Val kann ruhig so lange hier bleiben.", sagte er zu seinem Sohn und sah dann zu Valentin, der gerade den Motor startete.
,,Val! Möchtest du nicht noch diese dreiviertel Stunde hier bleiben? Das ist doch sicher weniger umständlich!"
,,Gerne, wenn es euch keine Umstände macht."
,,Nein, nein, Komm rein!"
Val stieg aus und ging mit lässigen Schritten auf die beiden zu. Murtagh betrat augenverdrehend sein Zuhause und schloss hinter den beiden anderen die Tür ab. Val sah sich neugierig die Garderobe an.
,,Komm ruhig rein. Wir beißen nicht. Zumindest Murtagh tut das mit großer Sicherheit nicht."
Val begann zu lachen. Und auch Murtagh musste unwillkürlich grinsen.
,,Wollt ihr noch etwas essen?", fragte der älteste und ging in die Küche.
,,Nein, wir haben schon gegessen.", sagte Murtagh und setzte sich neben Val an den Tisch.
,,Dann muss ich nur für mich kochen? Seid ihr euch da sicher?"
,,JA.", erwiderte Murtagh etwas gelangweilt und kramte in seinem Rucksack herum.
,,Dad, wir gehen nächsten Montag mit der Klasse Wandern. In den Ocala National Forest. Wir haben irgendeinen Zettel bekommen.", erzählte Murtagh und gab Alex den Zettel. Dieser setzte seine Lesebrille auf und las sich das Geschriebene durch.
,,Klingt lustig.", war die Antwort. Irgendwie war sein Dad gestresst. Er würde ihn heute Abend darauf ansprechen.
,,Willst du was trinken?", fragte Murtagh seinen älteren Freund, dieser aber schüttelte den Kopf.
,,Ich geh kurz nach oben, ich zieh mir etwas anderes an. Ich komm gleich.", meinte Murtagh und rannte nach oben.

Val wurde irgendwie nervös.
,,Warum so nervös? Du musst vor mir keine Angst haben, nicht alle Lehrer sind böse.", grinste Alex und legte seinen Brille auf den Tisch.
Val lachte leise.
,,Ich habe Murtagh seit Nataschas Tod nicht mehr so aufgebracht gesehen. Und so beeilt hat er sich auch nie.", erzählte der Ältere und sah in die Richtung in die Murtagh gelaufen ist. Val nickte lächelnd.
,,Du tust ihm gut, Val, wirklich. Er ist irgendwie glücklicher geworden und du hast einen guten Einfluss auf ihn. Die Jungs in deinem Alter sind selten so, weißt du."
Val nickte wieder.
,,Murtagh ist ja auch wirklich nett. Ich sage das jetzt nicht nur weil Sie da sind, sondern weil es wirklich so ist. Auch wenn er bei unserer ersten Begegnung etwas unfreundlich war."
,,Ja, manchmal ist er ein richtiger Giftzwerg. War hat er denn getan?"
,,Ich wollte ihn nicht gehen lassen, weil ich mir Sorgen gemacht habe, er hat wirklich krank ausgesehen, er hat mir dann gedroht, dass er schreit, wenn ich ihn nicht los lasse.", grinste Val und dachte kurz daran, als Murtagh gegen ihn gelaufen war.
,,Er hat so zerbrechlich gewirkt."
Alex nickte.
,,Ich traue mich oft gar nicht ihn richtig in meine Arme zu schließen, weil ich Angst habe, dass ich ihm weh tun könnte. Was hat er denn heute gegessen, was hast du denn ausgesucht?"
,,Er hat ganz brav alles gegessen, was ich ihm auf das Tablett gestellt habe. Auch wenn er sich danach fast übergeben hätte. Das waren eine Pizzaschnitte, ein Muffin und ein kleiner Salat."
,,Echt? So viel? Wenn ich etwas zu essen koche, dann isst er meistens nur drei oder vier Bissen. Gestern aber hat er sogar an ein paar Chips geknabbert."
,,Es freut mich auch dass ich ihm helfen kann."
,,Redet er mit dir?"
,,JA, warum? Mit Ihnen etwa nicht?"
,,Du kannst ruhig Alex zu mir sagen oder DU. Ich fühle mich sonst so alt. Nein, mit mir hat er im letzten Jahr höchstens sechs oder sieben Worte täglich gewechselt und sich meistens in seinem Zimmer eingeschlossen. Jetzt ist es besser. Du hast wirklich guten Einfluss auf ihn. Danke."
,,Kein Problem."
,,Was machen deine Eltern beruflich?"
,,Ähm...Meine Mum hat eine Parfüm-Marke und mein Dad hatte ein wichtiges Unternehmen.", antwortete Val peinlich berührt und wich dem Blick seines Gegenübers aus.
,,Das braucht dir nicht peinlich zu sein. Das ist mir egal. Du bist ein echt netter Junge und hast guten Einfluss auf Murtagh. Das ist mir am wichtigsten. Er hatte in seiner alten Schule keine richtigen Freunde."

,,Also, gehen wir!", rief Murtagh, der wieder gekommen war.
,,Klar."
,,Wann kommst du wieder?", fragte Alex schnell und Murtagh überlegte.
,,Um sieben."
,,Gut. Bye Jungs!"
,,Bis später Dad."
,,Bis später, Alex."

Kaum waren die beiden im Auto, fuhr Val auch schon los.
,,Dein Dad ist echt nett."
,,JA, das ist er."
,,Er hat dich Giftzwerg genannt.", grinste Val und Murtagh wurde ein wenig rot.
,,JA, das ist mein Dad. So hat er mich immer genannt als ich noch kleiner war."
,,Also, soll ich dich heute wieder nach Hause fahren?"
,,Nur wenn du willst."
,,Klar."

Love Till To Your BonesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt