Kapitel 19 - eins, zwei, Kuss

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Plötzlich meldete sich ein französischer Akzent zu Wort. «Mrs Dallas, mit Verlaub, aber ich glaube diese Kinder führen etwas im Schilde.» Meine kleingewachsene Biologielehrerin kräuselte ihre spitze Nase, als rieche sie Verrat. «Fiona Dyson», begann sie und erzeugte eine bedeutungsschwangeren Moment der Stille. «hat in meinem Klassenzimmer keine Sekunde verschwendet, um meinen Unterricht gezielt zu sabotieren.»

Reflexartig verformten sich meine Augen zu schmalen Schlitzen. «Ich verhalte mich genau so, wie es die Kompetenz der Lehrperson es zulässt.» Der schippige Unterton schien keinem der Erwachsenen zu gefallen, nur Samantha zwinkerte mir unterstützend zu.

Mrs Dallas öffnete entsetzt den Mund, um mir einen Vortrag zu halten oder eine Sanktion zu bestimmen, aber meine Freundin eilte mir zur Rettung.

«Sie können David und mich gerne kontrollieren, Mrs Debois.» Samantha vergrub lächelnd die Finger in den Hosentaschen. «Das ist doch der Grund für dieses Gespräch, oder?»
Das Tempo meines Herzschlages verdoppelte sich.

Dieses Angebot ließ sich die Biologieziege natürlich nicht durch die Lappen gehen. Mit klackerndem Absatz trat sie hervor, strich sich ihre lavendelfabende Tunika und das graumelierte Haar glatt.
«Und als Direktorin wissen Sie genauso gut wie ich, dass Mrs Fairbanks Schulakte bereits reichlich mit Fehltritten bestückt ist», beteuerte sie scheinheilig.
Es wunderte mich, dass sie keine durchsichtigen Plastikhandschuhe trug, als sie mit offenkundigem Abscheu meine Freunde abtastete und Davids Tasche durchsuchte.
Ohne Erfolg. «Die Kinder sind sauber», bestätigte sie. Der enttäuschte Unterton war kaum zu überhören.

Erleichtert atmete ich aus, ohne bemerkt zu haben, dass ich die Luft angehalten hatte.

«Das grenzte ja an sexueller Belästigung», scherzte David später.

«Gibs doch zu, du stehst drauf», feixte Samantha. «Oh Madame, Oh Madame Debois, genau da!» Viel lauter und theatralischer als eigentlich notwendig, stöhnte sie mit übertriebenen französischen Akzent.

Unser kindisches Kichern war das Einzige, was außer der leiser werdenden Geräuschkulisse, die vom Sportplatz aus zu uns rüberdrang, durch die einsame Natur schallte.
Gemächlich wirbelten unsere Füße den rostbraunen Schmutz auf und der graugrüne Kies knirschte lautstark unter den Sohlen, während wir den dunklen Weg zum Parkplatz entlangschlenderten.

«Samantha, warum hab ich dich eigentlich die ganze Woche nicht in der Schule gesehen?», platzte es irgendwann aus mir heraus. «Ich hätte deine moralische Unterstützung sehr gut gebrauchen können.»
Wie von selbst gedachte ich dieser einen verhängnisvollen und ebenso ungewollten Spanischstunde.

Meine so scheinbar simple Frage entlockte David prompt ein ansteckendes und kehliges Lachen, das er mit einer Hand zu verstecken versuchte.
Ungläubig zog ich eine Augenbraue hoch, mit dieser Reaktion hatte ich nicht gerechnet.
Samantha hingegen verdrehte nur die Augen, die in der Dunkelheit wie die einer diebischen Elster glänzten. «Jaja, David. Mach dich ruhig lustig.» Sie schlug spielerisch nach ihm. «Ich wurde Dienstag für die restliche Woche suspendiert», erklärte sie schließlich seufzend, als hätte sie diese Story schon hunderte Male zum Besten gegeben.

«Das war also das, was Mrs Debois gemeint hatte», schlussfolgerte ich leise. Da ich keine Antwort erhielt, wusste ich, dass es stimmte.

Erst als wir knapp siebenhundert Meter weiter die Kofferraumklappe des verbeulten Fiats öffneten und ich die durchsichtigen, munter vor sich hingluckernden Flaschen voller hochprozentigem Alkohol vorfand, fiel mir siedenheiß ein, was ich die ganze Zeit naiverweise mit mir herumgetragen hatte.
«Oh mein Gott!», platzte es aus mir heraus. Wie angewurzelt stierte ich die kleinen Tütchen mit undefinierbaren, bunten Pillen und Grünzeug an, die David aus dem Handschuhfach hervorkramte.

«Was ist?» David ließ die Drogen in seiner schwarzen Bauchtasche verschwinden, als handelte es sich um Gummibärchen.

Wortlos zog ich den Flachmann aus meiner warmen Pullovertasche hervor und hielt ihn gegen das schwache Licht der Straßenlaterne, sodass er verheißungsvoll glänzte.

Samantha hatte mich schamlos ausgenutzt und ich hatte es einfach hingenommen.
Wäre ich erwischt worden..
Ich traute mich kaum, meine Gedanken fortzuführen.

Samantha lachte, lachte mich aus. Dieses Mädchen war alles andere als hilflos, dachte ich und sah meinen Freunden beim Schenkelklopfen zu. «Hab dich nicht so», spottete die temperamentvolle Latina, ohne eine Miene zu verziehen. «David, Baby, guck mal.»

Besagtes Kleinkind hielt inne, sein Depot an Alkohol in seinem camouflagefarbenden Rucksack zu verstauen. «Oh. Das war knapp.» Er grinste dreckig und gab mir im Vorbeigehen einen festen Klaps auf den Hintern. «Gut gemacht, Neuling.»

«Fiona», fauchte ich korrigierend und hätte ihm am Liebsten alle Finger einzelnd gebrochen. «Das ist überhaupt nicht witzig!»

Doch bevor ich handgreiflich werden konnte, schnellte eine andere Hand hervor. Samantha stellte sich beschützend vor ihren sexistischen Freund und verstärkte ihren Griff um mein Handgelenk, bis es kribbelte und ich mich ein wenig entspannte. «Er ist es nicht wert, Dyson.»

Und dann, ehe ich mich versah, lehnte sie sich vor und presste ihre vollen Lippen auf meine.

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