2. Kinderlachen

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Es dauert ein paar Minuten, bis ich es erneut höre. Es ist nicht auf meinem Stockwerk, so viel steht fest. Werde ich womöglich verrückt, weil mir irgendwelche Märchen erzählt wurden und mein Unterbewusstsein sie nun glaubt? Ich kann mir die Geräusche nicht erklären. Vorsichtig taste ich mich bis in den Flur vor. Am liebsten würde ich mich unter meiner Bettdecke verkriechen, aber ich werde sicherlich kein Auge zumachen, wenn immer wieder Kinderlachen in diesem leeren Haus ertönt. In einem der Kartons muss eine Taschenlampe sein. Es ist die Box, in der auch Scheren, Klebeband, Paketschnur und ein paar Stifte liegen. Begleitet von wiederkehrendem Kichern, als würde ein Kleinkind auf einer Schaukel juchzen, suche ich nach der Taschenlampe und werde nach einer Ewigkeit fündig. Als ich sie einschalte, springen eckige Schatten an meine Wand. Das Lachen kommt aus dem Stockwerk unter mir. Langsam gehe ich die Holztreppe hinunter und strenge mich an, jedes winzige Geräusch wahrzunehmen. Der alte Teppich auf den Stufen federt meine Schritte etwas ab, aber trotzdem knarzt das Holz. Das Lachen wird lauter. Jetzt kann ich auch ein deutliches »Mama!« hören. Es klingt belustigt, als würde sich das Kind über etwas freuen. Am Fuß der Treppe wende ich mich nach links. Aus dem Zimmer hinter der Tür wollte ich ein Büro machen und ich bin mir sicher, dass es vor wenigen Stunden absolut leer war. Wieso sollte von dort ein Kinderlachen kommen? Mein Herz hämmert gegen meinen Hals und ich spüre, dass meine Hand an der Taschenlampe unkontrolliert zittert. Der Lichtkegel springt nervös auf der geschlossenen Tür auf und ab. Nun geht das Lachen dahinter in ein Quengeln über. Ich höre keine weiteren Stimmen. Verdammt, da kann doch kein Kind in meinem Büro sein!

»Hallo?«, frage ich, aber es kommt nur als ein leises Flüstern heraus.

Zögerlich lege ich meine bebende Hand auf die Metallklinke und drücke sie hinunter. Die Tür öffnet sich einen Spalt weit. Ich leuchte mit der Taschenlampe in das Zimmer. Es ist nichts zu sehen. Das Büro liegt vor mir wie eh und je, inklusive dem einzigen Möbelstück, das ich von den Vormietern übernommen habe: einem Sekretär aus dunklem Holz. Etwas beruhigter wage ich einen Schritt hinein und leuchte auch die anderen Ecken aus.

Da steht ein Gitterbett.

Vor Schreck lasse ich fast die Taschenlampe fallen. Mein Herz springt mir fast aus der Brust, ich bekomme kaum noch Luft. Als ich noch einmal hinsehe, ist das Bett verschwunden.

Das muss ein ganz mieser Traum sein, anders kann ich es mir nicht erklären.

Ich stütze mich auf den Sekretär, der mit einem Knarren antwortet. Werde ich verrückt? Das Lachen ist verschwunden. Mein Büro sieht aus, wie ich es kennengelernt habe. Draußen pfeift der Wind um die Veranda und irgendwo höre ich Äste unter der Last der Blätter ächzen. Ich lasse meinen Blick noch einmal durch das Zimmer schweifen. Die Schublade am Sekretär ist nicht gänzlich zugeschoben. Neugierig und gleichzeitig mit zum Zerreißen gespannten Nerven ziehe ich am Knauf und entdecke einen alten Bilderrahmen, der mit der Bildseite nach unten darin liegt. Zittrig hole ich das Bild hervor, drehe es um und wische zunächst den Staub weg, der sich, wie es scheint, seit Jahren auf dem Bild angesammelt haben muss.

Krachend fällt das Bild auf den Schreibtisch und ich halte mir reflexartig die Hand vor den Mund. Wenn mein Herz bisher nicht ausgesetzt hat, dann jetzt. Tränen schießen mir in die Augen, ohne dass ich weiß, was genau hier geschieht. Schluchzend hebe ich das Bild wieder auf und sehe es mir erneut an.

Das bin ich!

Und auf meinem Arm sitzt Eleonore. Mein Schatz. Mein alles. Mein größter wahrgewordener Traum und der größte Schmerz, den ich je habe ertragen müssen. Auf dem Bild ist sie etwa ein Jahr alt.

Das muss vor dem Brand gewesen sein.

Dem Brand? Plötzlich wird mir übel. Wie habe ich das vergessen können? Der Brand hat das halbe Haus zerstört und für Elli kam jede Hilfe zu spät. Warum kann ich mich nicht an mehr erinnern? Wann ist das geschehen?

Ich drücke das Bild an mich und denke fieberhaft nach, was nach dem Brand geschehen ist, wann das war und warum ich es vergessen habe.

Ich habe das Haus verkaufen wollen, weil mein Mann Gustav und meine süße Eleonore darin umgekommen sind. Aber habe ich das getan? Da war noch etwas anderes, ein Plan B ... aber mir fällt nicht ein, was danach geschehen ist. Ich lege das Bild zurück in die Schublade.

Eleonores LachenWhere stories live. Discover now