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Wie ich den beiden so zusah, merkte ich, wie ich auf einmal nicht mehr Wincent und Shayenne, sondern meinen Vater und mich sah, wie wir früher, als ich in dem Alter von Shayenne war, auch immer so im Wasser herumgetollt haben. 

Warum war früher alles ganz anders? Noch so einfach. Wieso haben sie mich mit siebzehn plötzlich auf die Straße gesetzt, wenn wir doch immer gut miteinander auskamen? Warum haben sie das getan? Ich wusste nicht mal den Grund, warum sie sich plötzlich so von mir abgewendet haben. Diese Erkenntnis tat gerade richtig weh. Nacheinander kam einfach alles wieder hoch, was ab dem Zeitpunkt passiert ist.

Ich spürte die heißen Tränen, die in meinen Augen brannten, doch ich wollte nicht wieder weinen. Ich versuchte dagegen anzukämpfen, doch ich verlor den Kampf und die Tränen bahnten sich langsam ihren Weg über meine Wangen. Ich wischte sie mit meinen Händen weg, doch es kamen immer wieder neue. 

Durch meine, von Tränen verschleierten Augen konnte ich gerade so erkennen, das Wincent und Shayenne gerade auf mich zukamen. Ich stand auf und drehte mich, da ich nicht wollte, dass sie sahen, dass ich weinte. 

Ich spürte, wie sich eine Hand auf meine Schulter legte. "Hey, was ist denn los?", hörte ich Wincent sagen, blieb aber stumm. Auf einmal stand Shayenne vor mich und sah mich fragend an. "Warum weinst du?" Wieder sagte ich nichts. 

Wincent drehte sich mich vorsichtig zu sich um und sah mich an. Ich spürte seine Hand meiner Wange und seinen Daumen, welcher mir die Tränen vorsichtig wegstreifte. "Was ist mit dir? Warum weinst du?" Ich hob meinen Kopf leicht und sah ihn mit einem Blick an, der gerade alles sagte. 

"Alina?", hörte ich Shayenne fragen, welche sich neben ihren Bruder gestellt hatte. Ich ging einen Schritt zurück und sah die beiden entschuldigend an. "Ich geh kurz ein bisschen spazieren.... Ich brauch kurz..." Wincent sah mich mitfühlend an. Er wusste genau, was los war und wie es mir gerade ging. "Okay, aber pass bitte auf, ja?" Ich nickte leicht. "Mach ich...", murmelte ich, bevor ich mich umdrehte und den Strand entlang lief. 

Warum war es so schwer, das alles zu vergessen? Warum schaffe ich es nicht, das alles zu verarbeiten? Warum kann ich in der einen Minute glücklich sein, und in der anderen bin ich wieder völlig fertig? Wieso kann das nicht einfach aufhören? Ich will das alles nicht mehr. Ich will leben können! Glücklich leben können! Aber wie soll das funktionieren, wenn ich es einfach nicht schaffe, mit der Vergangenheit abzuschließen? Das kann gar nicht gehen! 

Ich lief weiter, bis mir meine Beine vor lauter Laufen schon weh taten, also setzte ich mich einfach dort, wo ich gerade stand, auf den Boden und sah zum Himmel hoch, an dem ein paar dunkle Wolken aufgezogen waren.

Ich brauchte jetzt einfach eine Weile für mich allein. Ich musste selbst mit meinen Problem klar kommen, auch wenn mir das so gut wie unmöglich vorkam. Vielleicht mach ich mir aber auch viel zu viel Druck damit, es vergessen können zu wollen... 

Frische Luft || Wincent Weiss Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt