Aufbruch

26 2 0
                                    

- "Menschen sind so schwach wie Feen, so egozentrisch wie Drachen und so dumm wie Trolle"
Allgaram der Weise

Ein heftiger Sturm zog vom Meer auf das Festland zu. Er riss alles klein was nicht festgewachsen war und selbst das zerstörte er meistens. Seltsamerweise konnte man von einer hohen Felsenklippe eine helle Stimme hören, die leidenschaftlich von dem Leben sang. Wäre irgendjemand hier in der Nähe, hätte er sie bestimmt gehört, denn es war eine laute, klare Stimme, die in den Sturm schnitt als wäre es ein laues Lüftchen. Doch wegen dem Sturm hatte sich jedes Lebewesen zurückgezogen.

Sie sang immer nur bei Stürmen, denn sie wollte nicht entdeckt werden. Ihre Mutter hatte es ihr genauso beigebracht und sie war auch die einzige, die durch das enge Band, was sie verband, ihre Stimme und Emotionen immer vernehmen konnte. Auch das Mädchen, was sich auf dem höchsten Plateau der Klippen verbarg, spürte ihre Mutter. Eigentlich. Doch seit gestern Nacht war sie weg. Stattdessen füllte sie eine Leere, die drohte, sie aufzufressen, denn ihre Mutter war von der Jagt nicht zurück gekehrt.

Langsam verwandelte sich ihr Lied in ein Lied der Trauer und Wehmut. Was bloß geschehen sein konnte? Ihre Mutter hatte keine Feinde. Sie hatte nur Freunde oder Wesen, die sie respektierten. Niemand, außer den Menschen, wäre auf die Idee gekommen sich mit ihr anzulegen, doch die hatten teuer dafür bezahlt. Nämlich mit ihrem Leben. Was also hätte sie verstummen lassen können? Ebenso konnte sie nicht gestorben sein, denn das hätte das Mädchen auch gefühlt.

Bald war der Sturm vorbei und die bezaubernde Stimmer des Mädchens verklang wieder. Sie setzte sich in die Mitte des Plateaus und horchte nach den altbekannten Flügelschlägen ihrer Mutter.
Es erklangen Flügel, mal weit weg, mal in der Nähe, doch niemals so kraftvoll und anmutig wie die ihrer Mutter. Ein paar kam näher und das Mädchen erkannte schnell den Hippo greif, der weiter unten in den Felsen hauste. Es war ein guter Freund ihrer Mutter und auf ihr bitten brachte er dem Mädchen etwas zu essen. Er flog jedoch bald wieder zurück, denn Hippogreifs mochten intelligente Lebewesen nicht.
Das Mädchen war es gewohnt, alleine zu sein, daher war es nicht weiter schlimm.

Zur Beschäftigung fuhr sie mit ihren Fingern die Rillen auf dem Felsen bis zu dem Moos am Kliff nach. Sie wusste genau, wo die Klippe anfing, denn als kleines Kind war sie oft genug herunter gefallen. Als die Mittagssonne kam, hüllte sie sich in ihr Gewand, denn obwohl sie dadurch nur noch mehr schwitzte, ihre Haut verbrannte sich viel zu schnell und ihre Mutter war nicht da um sie zu schützen.

Sie bekam Durst, doch so weit oben war kein Wasser, selbst die Reste vom Sturm hatte die Sonne weggebrannt, obwohl das Mädchen versucht hatte, sie zu beschützen. Und vom Plateau herunter hatte sie es noch nie geschafft, sie war immer gefallen. Und dieses Mal war ihre Mutter nicht da um sie aufzufangen.

Sie war noch nicht bereit, ohne ihre Mutter zu leben, sie hatte noch nicht einmal ein Zehntel ihres Wissens gelernt. Natürlich würde sie niemals an sie heran reichen, denn ihre Mutter existierte schon bevor diese Welt geformt war und würde niemals sterben, wenn es für sie keinen Sinn ergeben würde.

So musste sie bis zum Abend warten, dass das nächste Lebewesen vorbeikam, denn dieses Plateau wurde selbst von den Käfern gemieden. Es war eine Möve, die etwas weiter auf dem Meer flog und nach etwas essbarem suchte und glücklicher Weise hörte sie die Rufe des Mädchens und brachte ihr kurze Zeit später Blatt für Blatt etwas Wasser aus einem Fluss in der Nähe. Leider wusste sie auch nicht, was mit der Mutter des Mädchens geschehen war und flog mit der Dämmerung wieder weg, jedoch nicht ohne zu versprechen, am Morgen wieder zu kommen.

Erleichtert, dass sie sich endlich von ihrem dicken Mantel befreien konnte, setzte sich das Mädchen auf den Rand der Klippe und ließ ihre Beine herunter baumeln. Ihre langen, weißen Haare schienen stumpf zu werden und ihre milchig grünen Augen verloren ihr Licht. Ihre sonst strahlend weiße Haut bekam einen grauen Schimmer und ihre sonst so hübsche, zarte Figur wirkte auf einmal hager und abgemagert. Eine Unruhe überfiel sie, denn sie hatte nichts zu tun. Sonst lernte sie tagsüber immer und schlief Nachts, jetzt tat sie nichts von beidem mehr.

Nach ein paar Tagen, in denen sie immer noch nichts von ihrer Mutter gehört oder gefühlt hatte und auch der Nährstoffmangel sich zu zeigen begann und ihr Freund wieder einmal vorbei schaute, erzählte sie ihm, dass sie nach ihrer Mutter suchen würde. Sie hatten keinen Plan für einen solchen Fall gemacht. Eigentlich wollte ihre Mutter sie selbst entlassen wenn sie genug gelernt hatte. Niemals hätte jemand gedacht, dass es zu so etwas kommen würde, doch das Mädchen wusste, dass es sterben würde wenn es dort oben verharren würde. Sie flocht sich ihre Haare zu einem dicken Zopf, zog sich ihren Mantel über und ein dünnes, ebenso schwarzes Gewand und packte ihr weniges Hab und Gut mit ihrer restlichen Kleidung zu einem Bündel. Dann stieg sie auf den Rücken des Hippogreifs, der versprochen hatte sie in die Nähe einer Siedlung zu bringen. Danach war sie auf sich allein gestellt. 
Als sie von dem Tier runter glitt, konnte sie sofort einen Pfad unter sich spüren. Mit nackten Füßen tastete das Mädchen sich den Weg zu der Siedlung. Noch nie war sie auf einem solchem Pfad gegangen, doch sie wusste, wo er anfing und aufhörte. Sie konnte fühlen, wo die meisten Schritte hingingen. Es waren zarte Füße, doch größer als ihre, und meistens waren ihre Besitzer gerannt. Außerdem konnte das Mädchen Stimmen aus der Siedlung hören und erkannte, dass es Elfen waren, die sprachen. Ihr Plateau war im Süden dieses Landes gewesen, deshalb mussten es Sonnenelfen sein. Außerdem kamen die Stimmen von weiter oben und vermischten sich mit dem Rascheln von Laub, obwohl es so gut wie windstill war. Sie mussten also oben in den Bäumen hausen.

Das Kind des weißen DrachensWhere stories live. Discover now