Kapitel 3

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Allgemein wollte ich nur eines: Meine Ruhe. Alle wollten immer etwas von mir. Lilian wollte meine bedingungslose Liebe, vollstes Vertrauen – bekam sie alles und hat es mit Füßen getreten, die Ärzte wollen die ganze Zeit wissen wie es mir geht, als ob es nicht schon reicht, dass sie mein Körper an all diese fiependen Geräte angeschlossen haben und dann war da noch mein Kopf, der mich mit allerhand kreisenden Gedanken, Schuldgefühlen und Scham belästigte. Was war denn so schlimm daran, etwas beenden zu wollen? Okay ich wollte mein Leben beenden und nicht nur eine angefangene Arbeit. Doch war es im Endeffekt nicht dasselbe Prinzip? Was war so viel krasser daran, sein Leben zu beenden im Gegensatz dazu sein Mittagessen fertig zu kochen? Gut, das Essen konnte man nach der Fertigstellung essen, aber meine Organe könnte man spenden. Es wäre ein Win-Win-Situation. Ich hätte mein Leben los und andere ein neues, dank mir. Ist es dann nicht unglaublich egoistisch zu leben, wenn man es nicht mehr will und anderen damit eine Chance des Lebens zu verbauen. Dieser Philosophische Gedanke und noch viele mehr hielten mich wach. Nacht um Nacht, Tag um Tag, Woche um Woche. Egal ob ich beim Seelenklempner oder nach meinem Krankenhausaufenthalt in meinem Krisenwohnheim war, die Gedanken standen nicht still. Wer war ich? Was wollte ich? Identitätsfragen waren Teil meiner Therapie, auch wenn ich sie mir ungern stellte, da ich keine Antwort auf sie hatte. Meine Träume waren geplatzt als ich mit dem Fiepen der Geräte im Krankenhaus aufgewacht war.

Das ist jetzt drei Monate her und ich weiß noch immer nicht wer ich bin und wer ich war. Wer weiß das heute auch noch. Wir leben in einer modernen, von technologiebeherrschten Welt. Schnelllebigkeit um uns herum. Eine Throw-it-away-Gesellschaft und doch sind dazwischen wir. Eine Konstante. Der Mensch. Wie er lebt und stirbt, aber lange nachdem unzählige Kameras ihren Weg in die Mülltonne und neue ihren Weg in die Schaufenster gefunden haben. Eine unberechenbare Konstante. Eine Konstante, die nicht konstant ist, da sie aus vielen verschiedenen eigenen Individuen besteht. Aus vielen kleinen Konstanten, von denen keine konstant ist. Nicht alle sind gleich, nicht alle sind konstant, nicht alle sind nicht konstant. Doch alle gehören dazu, zum großen Ganzen. Drum herum eine Welt, fortschreitend ohne zu merken was dabei verloren geht, zurückbleibt und nur noch der Vergangenheit angehört. Doch tut es das wirklich? Werden wir nicht alle irgendwann von der Vergangenheit wieder eingeholt? So auch die Menschheit, nur wird diese sich nicht daran erinnern können, dass es die Vergangenheit ist, die sich rächt. Die sich all das zurückholt, was ihr gehört, die die Menschheit überrollt und sie auslöscht. Wir Menschen haben Waffen erschaffen, um zu töten. Werkzeuge, um zu bekommen. Technologie, um zu herrschen. Doch die Natur sollte man nicht unterschätzen. Das Machtinstrument, das der Mensch sich geschaffen hat in der Vergangenheit, wird ihn einholen in der Zukunft. Ihn vernichten und erbarmungslos alles auslöschen und die Welt wird von vorn beginnen. Ohne Technologie, wild und frei.

Ob auch ich von vorne beginnen kann weiß ich nicht. Vielleicht sollte ich es. Vor mich hin sinnierend blicke ich auf das Bild der Küste Englands. Brighton, die Stadt der Verrückten, der andersdenkenden. Wie gern sehnte ich mich an den Strand am Abend zurück. An die wundervollen Stunden mit unglaublichen Freunden, die Lilian, ich sollte wirklich aufhören an sie zu denken!, und ich dort kennenlernten. Es war der Sommer 2013, ich war 21 Jahre alt, wild und unbändig, glaubte in Brighton die Hippiejahre selbst erleben zu können. Knutschte mit allen möglichen Jungs, probierte Drogen aus, so ein Teufelszeug! Auch wenn die pinken Einhörner und das regenbogenfarbene Zebra schon süß waren... Oh und die Erdbeeren, die vom Himmel gefallen sind und das Wasser erst, es fühlte sich an wie Zuckerwatte. War schon eine tolle Erfahrung, auch wenn ich in Zukunft die Finger davonließ. Die Erfahrung, dass ich am nächsten Tag in einer der Seitenstraßen neben einem Penner aufwachte mit pinken Haaren und Henna Tattoos an den Armen reichte mir völlig. Ich wollte gar nicht wissen, was so alles geschehen ist. Die Ergebnisse reichten mir und meine Erinnerungen gemischt mit meiner Fantasie erzählten mir eine wunderschöne Story von Fabelwesen und einem Meer aus Zuckerwatte, da brauchte ich nicht die harte Wahrheit, dass ich kichernd wie gestört Steine am Strand in die Luft warf, Möwen hinterherjagte und diese Biester auch noch knuddelte, was die Bisswunde an meinem Ohr erklärte.

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⏰ Last updated: May 12, 2017 ⏰

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