~ Kapitel 7 ~

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„Hier ist halt absolut nichts fertig.", sagte ich während ich die Wohnungstür öffnete. „Aber fühlt euch wie zu Hause. Ihr könnt schon einmal grade aus ins Wohnzimmer gehen." Die beiden nickten liefen an mir vorbei. Ich lehnte mein Longboard gegen die Wand und stellte meinen Rucksack daneben. Wo war ich jetzt reingeraten? Ohne die Wahrheit zu erzählen, würden sie nicht gehen, aber lügen wollte ich auch nicht. Ich konnte jetzt nur hoffen, dass sie nicht alles hören wollten, denn wenn das so wäre, dann könnten sie gleich die ganze Nacht bleiben.

Ich ging nun langsam ins Wohnzimmer, wo die beiden schon auf der Couch auf mich warteten. Schweigend setze ich mich an das andere Ende und starrte auf meine Finger. „Also...", begann ich langsam ohne den Blick von meinen Händen abzuwenden. „Mein Verhalten von vorhin tut mir Leid. Ich habe einfach ein wenig überreagiert und euch einfach da sitzen lassen."

Ein folgte eine kurze Pause in der ich es nicht wagte sie anzugucken.

„Es war auch nicht ganz fair von Joon dich direkt mit so privaten Fragen zu löchern.", erklärte Ju. „Joon ist ein Dummkopf, der oft nicht denkt bevor er spricht, aber das machen wir alle mal."

„Bei Joon ist das nur halt etwas öfter.", ergänzte Jimmy.

„Das macht es auch nicht besser." Wieso musste meine Stimme immer zickiger klingen, als es gedacht war. „Sorry."

„Wenn...", Jimmy zögerte, „wenn du reden willst kannst du das gerne tun. Ich weiß, dass wir uns eigentlich erst seit drei Tagen kennen, aber ich biete es dir an."

„Und falls du denkst, dass wir wegen vorhin sauer sind, das sind wir nicht. Es war falsch von Joon, es war, wie du schon gesagt hast, auch falsch von dir. Es war im Prinzip ein Fehler den wir alle zusammen begangen haben. Das ist menschlich." Jus Worte gaben mir etwas Sicherheit und ich hob meinen Blick, bis ich ihm in die Augen sah. „Wollen wir einfach vergessen, was heute war und nie wieder darüber reden?", schlug er dann noch vor.

„Vergessen wäre schön.", murmelte ich vor mich hin.

„Was?", fragte Jimmy, da er vermutlich nichts verstanden hat.

„Ich habe mir mein Leben lang den Arsch aufgerissen, um das zu erreichen, was ich habe. Mir hat dabei niemand geholfen, weil man mich entweder abgestoßen hat oder die Leute mich einfach nur ausgelacht haben, wenn ich ihnen von meinen Zukunftsplänen und Vorstellungen erzählt habe. Mir wurde immer wieder erzählt, dass jemand wie ich keine Chancen hat im Leben etwas zu erreichen. Und damit war es fast unmöglich dem Umkreis rauszukommen, aber er holt mich wieder und wieder ein."

Dann hielt ich inne, um zu sehen, ob sie sich dazu äußerten, aber das taten sie nicht.

„Ich tu das hier nicht für die, die es versucht haben mir auszureden oder die, die nie an mich geglaubt haben, sondern ich tu es, um mir zu beweisen, dass ich es kann.", fuhr ich fort.

„Du kannst stolz sein, auf das was du hast. Ich weiß ja nicht wo du gestartet bist oder inwiefern jemand dich in deinem Leben gestützt hat, aber ich finde, dass alleine der Schritt alleine in eine Großstadt zu ziehen, ohne da jemanden zu kennen, ist bemerkenswert."

Ich konnte einen Funken Wahrheit in dem finden, was Ju gesagt hat, aber ich wollte es mir selbst nicht eingestehen. Es folgte daher wieder eine Pause.

„Du hattest vorhin erwähnt, dass du einen Blog hast.", erinnerte sich Jimmy. „Welche Art von Blog? Beauty? Lifestyle?"

Mit der Frage hatte Jimmy eigentlich gute Arbeit geleistet, da er mich mit etwas ablenkte, was mir Freude bereitete. „Eigentlich schreibe ich da so täglich bis alle zwei, drei Tage Dinge rein, die mir passiert sind oder die ich einfach gerne mit anderen teilen möchte. Auf YouTube könnte man das ganz gut mit DailyVlogs vergleichen, nur halt nicht so detailliert und sichtbar und vor allem ist es viel anonymer."

„No offense, aber ich wusste gar nicht, dass Menschen noch Blogs lesen, geschweige, dass damit wirklich Geld gemacht werden kann." Ju sah mich erstaunt an.

„De Mensch ist halt seltsam. Aber ich würde mal behaupten, dass einige Blogger auf YouTube umgestiegen sind, weil sie da bessere Chancen sehen, finanziell über die Runden zu kommen."

„Und bei dir?", fragte Jimmy. „Könntest du dir vorstellen auf YouTube Vlogs hochzuladen?"

„Ich glaube nicht. Also nicht momentan. Die Vorstellung, dass die Zuschauer einfach genau das sehen, was ich sehe und erlebe, macht mir dann doch etwas Angst. Außerdem finde ich es spannender, wenn man nicht weiß, wer hinter einem Blog steckt. Und ich habe nicht das nötige Kleingeld, um mir eine vernünftige Kamera und so zu kaufen. Dazu kommt, dass man dann auch eine gewisse Zeit am Schnitt beschäftigt ist und dabei geht auch wieder Zeit verloren, in der man das nächste Abenteuer bestreiten könnte. Wenn ihr versteht, was ich meine."

„Du musst nicht antworten, aber wie viel Reichweite hat dein Blog so im Durchschnitt?", fragte Ju. „Das soll jetzt nicht irgendwie gemein klingen oder so."

„Also meistens habe ich so um die 1000-3000 Aufrufe und etwa 100 Kommentare. Aber das variiert jedes mal."

„Und du hast alles, was du hast, nur durch deinen Blog?", Ju war erstaunt.

„Ja, ich habe mich von unten hochgearbeitet und nie daran geglaubt, dass es funktionieren könnte."

„Wie lange hast du den Blog schon?", fragte Ju wieder.

„Können schon so drei bis vier Jahre sein.", gab ich etwas stolz zurück.

Wir unterhielten uns weiterhin über das Bloggen und Vloggen und allgemein die Situation, dass man online Geld verdienen kann. Irgendwann kam es jedoch zu dem Punkt, dass Jimmy kurz ins Bad musste und ich mit Ju alleine war.

„Ich merke, dass du nicht drüber reden willst, aber wenn du dich bereit fühlst, habe ich ein offenes Ohr, ok?", flüsterte Ju und an meiner Reaktion merkte er, dass er Recht hatte. Ich hatte heute Abend um den heißen Brei geredet und so gut wie möglich versucht mir nichts anmerken zu lassen. Blöd nur, dass Ju anscheinend ein guter Menschenkenner ist. Es zu leugnen würde mir eh nichts bringen.

„Ok.", antwortete ich mit gesenkter Stimme und grade einmal ein paar Sekunden später war Jimmy zurück.

„Ähm, man soll ja gehen, wenn es am schönsten ist, richtig?", sagte er, während er noch im Türrahmen stand. „Ist doch schon etwas später geworden und die anderen fragen schon, wo wir bleiben."

Ju guckte auf seine Uhr. „Ja, verdammt, und das Video muss Freitag online gehen. Das heißt dann wohl wieder Nachtschicht schieben."

Ich begleitete die beiden zur Tür.

Im Hausflur drehte sich Jimmy noch einmal um. „Alles wieder beim alten?"

Ich nickte und gab ihm eine Abschiedsumarmung, dann drehte ich mich zu Ju. „Wenn ihr Hilfe braucht, der Weg von hier zu euch ist nicht so weit."

„Ich glaube, wir werden darauf zurückkommen.", grinste er und zog mich in eine Umarmung.

„Danke.", flüstere ich ihm dabei ins Ohr und bestätigte damit seine Vorahnung, dass hinter meiner Geschichte mehr steckte, als ich zugeben wollte. In seinem Blick und dem kaum merkbaren Nicken konnte ich es erkennen.

„Bis morgen Jungs.", verabschiedete ich sie, bevor sie die Treppe runter liefen.

Ich weiß noch nicht, wie ich die Situation jetzt einschätzen soll. Ju weiß, dass mehr dahinter steckt und wenn er wirklich wollen würde, könnte er meinen Blog finden und da ich ihn seit Jahren führe, hätte er damit einen Einblick in eigentlich jede Phase meines Lebens. Nur eins würde er nicht finden.

Er würde nicht über meine Eltern oder beste Freunde finden, denn sowas hatte ich nie wirklich. Wie auch, wenn man nicht einmal weiß, wer die eigenen Eltern sind und man für jede Pflegefamilie und für jedes Waisenhaus, dass einen nicht wollten, in eine andere Stadt musste.

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+ L

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