Eine kleine Geschichte der Traurigkeit

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Die Traurigkeit sitzt leise weinend auf einer Parkbank mitten in der Fußgängerzone. Jeder, der sie sieht, macht einen großen Bogen um sie und wendet den Blick ab. Sie sinkt weiter in sich zusammen, mutlos und verzweifelt.
»Hey, was ist los?« Eine junge Frau kniet sich zur Traurigkeit und lächelt sie aufmunternd an. »Was ist geschehen?«
Die Traurigkeit zieht geräuschvoll ihre Nase hoch, tupft sich mit ihrem Taschentuch über die wässrigen Augen und antwortet: »Ich bin die Traurigkeit und bin einfach so allein! Niemand möchte etwas mit mir zu tun haben.« Sie blickt dem Mädchen in die wachen, liebevollen Augen. »Ich komme zu den Menschen, um ihre Schmerzen aushaltbar zu machen, aber sie verscheuchen mich! Sie sagen einander, man solle sich nicht so anstellen oder ›Du kommst schon darüber hinweg, sei nicht traurig‹. Die Menschen verkriechen sich, wenn ich sie treffe, sie weisen mich ab, ertränken mich in Alkohol und drücken mich tief auf den Boden, sobald ich ihnen zu nahe komme. Ich kann nicht mehr!« Ein neuer Schwall Tränen bahnt sich den Weg aus Traurigkeits Körper. Sie schluchzt und lässt ihre Kopf in die Hände sinken.
»Aber, aber, meine Liebe«, antwortet das Mädchen mit freudiger Stimme. »bitte verzweifle nicht. Deine Arbeit ist sehr wichtig für die Menschen und sie brauchen dich, auch wenn sie es nicht immer verstehen.«
Traurigkeit hebt langsam den Kopf. »Ja?«
»Oh ja!« Das Mädchen tätschelt ihre Hand, steht dann auf legt eine Hand auf Traurigkeits Schulter. »Du hilfst ihnen, zu wachsen und sich weiterzuentwickeln. Mit deiner Unterstützung heilst du Schmerzen, reinigst den Körper und sorgst dafür, dass die Menschen lernen, Abschied zu nehmen, um zu neuen Dingen ›willkommen‹ sagen zu können.« Das Mädchen streichelt über Traurigkeits Kopf und geht dann ein paar Schritte weiter. »Komm mit, Traurigkeit. Lass uns zusammen gehen und ich zeige dir, was ich meine. Nur wenn du mit den Menschen gearbeitet hast, kann ich zu ihnen durchdringen.«
Traurigkeit wischt sich die Tränen aus dem Gesicht und lächelt. »Also gut«, sagt sie und steht auf. »Lass uns zusammen gehen. Wie heißt du denn überhaupt?«
Das Mädchen strahlt und streckt die Hand nach Traurigkeit aus. »Ich bin die Hoffnung.«

Eine kleine Geschichte der TraurigkeitWhere stories live. Discover now