Past IV

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Mein Leben lang wurde ich nur kontrolliert und bevormundet.
Ich wurde mit meiner Schwester verglichen und angehalten, nicht das zu tun was ich wollte, sondern nur das, was Geld einbringt.
Ebenso Chiara, meine Schwester.
Sie war immer die gutgelaunte, wohlgesonnene Tochter, die alles richtig machte und immer brav war.
Das dachten zumindest meine Eltern.
Fast täglich berichtete sie mir unter Tränen, dass sie diesem Stress nicht mehr Stand halten kann und einfach nur noch weg will. Ich hab ihr gesagt, dass sie noch warten und mich mitnehmen soll, sobald ich volljährig bin oder wenigstens sobald ich meinen Abschluss habe.
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Es war ein windiger, regnerischer Tag, wie gewöhnlich im Herbst.
Meine Lieblingsjahreszeit. - Jedenfalls war sie das mal.
Früh am Morgen hatten meine Eltern und meine Schwester Streit. Meine Mutter machte Chiara Vorwürfe, dass sie ja nicht wisse, was sie mit ihrem Leben machen sollte und am besten bei ihnen in der Firma anfangen solle. Das übliche Spiel. Wenn meine Mutter nicht an mir etwas auszusetzen hat, dann an ihr.
Chiara lachte nur sarkastisch und aß ihr Müsli.
,,So, das geht zu weit!" schrie meine Mutter und packte sie am Arm. ,,Entweder du lernst etwas vernünftiges oder du brauchst dich hier nicht mehr blicken lassen."
Chiara grinste immer noch und verlies die Küche, zuvor hielt sie noch ihren Mittelfinger hoch.
Sie sprintete nach oben, schmiss hier und da mal die Türen, dann kam sie wieder herunter, bewaffnet mit ihrem Taschen.
,,Chiara, bitte bleib" flüsterte ich mit rauer Stimme.
,,Nein, Mom hat Recht, ich kann nicht mehr so leben. "
,,Lass mich mitkommen" sagte ich leise.
,,Das kommt nicht in Frage, du bleibst hier." schaltete sich nun mein Vater ein.
Chiara zog ihre Schuhe und ihre Jacke an, schulterte ihre Taschen und öffnete die Tür. Ich springe sie förmlich an und umarme meine Schwester fest.
,,Alles wird gut, ganz bestimmt." Sie hatte nun Tränen in den Augen.
Nach kurzer Zeit ließ ich sie los. Dann verschwand sie mit einem traurigen Blick im Gesicht.
Meine Eltern standen regungslos da, als ob nichts passiert sei.
,,Was habt ihr getan. Ihr seit die schlimmsten Menschen auf Erden." schrie ich sie an und gestikulierte wie ein Irrer mit meinen Armen und Händen herum.
,, Sie wollte es so." das war das einzige, was mein Vater dazu sagte.
Ich gehe benommen die Treppe hinauf und lege mich steif auf mein Bett. Was war gerade passiert?
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Oben vor der Tür angekommen, atme ich noch einmal tief durch, dann klopfe ich an.
Es dauert nicht lange und das faltige, eingefallene Gesicht meines Vaters schaut mich an. Seine Augen weiten sich.
,,Hallo, Dad." sage ich.
,,Christian, also, das ist ja jetzt eine Überraschung. Was machst du denn hier? Und wer ist das?" Er sagt das so, als, ob wir uns nie gestritten hätten und ich nie abgehauen wäre. So emotionslos, aber das kannte ich schon von ihm.
,,Können wir das drinnen besprechen?" frage ich und versuche zu lächeln.
,,Es ist zwar grad schlecht, aber deine Mutter hat bestimmt Zeit für dich."
Er bewegte sein Hand, dass wir eintreten sollten.
Jimmy und ich ziehen uns die Schuhe aus und folgen meinem Vater in Richtung Wohnzimmer.
Meine Mutter sitzt auf dem Sofa und sieht dann von ihrem Laptop auf.
Sie schaut zunächst erschrocken und grinst dann hämisch.
,,Ich wusste doch, dass du zurück kommst. Willst du dir Geld leihen?"
In mir beginnt es schon wieder zu brodeln, aber ich versuche mich zu beruhigen. Unser Roadtrip wird wohl bald fortfahren.
Es war jetzt genau ein Jahr her, dass ich von zu Hause abgehauen bin. Ich hatte sie zwar vom Hotel aus angerufen, jedoch nur, um ihnen zum Hochzeitstag zu gratulieren. Ich bereute es, dies getan zu haben. Dass ich sie besuchen komme, davon hatte ich nichts erwähnt.
,,Nein, ganz und gar nicht. Ich komme super zurecht." sage ich trocken. ,,Das ist Jimmy, mein Freund." ich deute auf den Schwarzhaarigen, der unbeholfen in der Ecke steht.
Meine Mutter macht ein erzürntes Gesicht und schaut mich ungläubig an.
,,Ich dachte, ihr beide seit nur rein freundschaftlich zusammen gefahren" sprach sie nun etwas lauter.
,,Ja, nein, Jimmy ist mein Freund."- es kam mir so flüssig über die Lippen- ,,Es tut mir Leid, dass ich euch nie Enkelkinder schenken kann oder nie heiraten werde, aber so ist es nunmal. Ich wollte, dass ihr es wisst."
,,Raus. Verschwinde." sagt die braunhaarige Frau.
,,Mom, ich hab dich lieb. Es tut mir Leid."
Sie vergräbt ihr Gesicht in ihren Händen.
,,Was habe ich falsch gemacht, Christian..."
,,Du hast mein Leben geplant, du hast von Anfang an versucht, mich deinen Erwartungen anzupassen." platzt es aus mir heraus.
Meine Mutter sieht mich an, in ihren Augen hatten sich Tränen gebildet. Sie steht auf und kommt auf mich zu. Wie eingefroren bleibe ich stehen.
Sie umarmt mich. Was ist hier grad los. Befinde ich mich in einem Traum? Wache ich gleich auf und bin wie gerädert?
,,Ich bin stolz auf dich." meine Mutter schaut mich an.
Das ist das erste Mal in 19 Jahren, dass sie mir soetwas sagt. Meine Augen beginnen zu tränen und ich frage mich, wer hier gerade Zwiebeln schneidet.
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Ich überlege mir, was tun ich sollte. Chiara folgen? Hier bleiben? Ich wusste es nicht.
Ich hatte zu viel Energie, obwohl ich mich gleichzeitig schlapp fühlte. Wie ein Tiger im Käfig lief ich in meinem kleinen Zimmer herum. Alles war geordnet, nirgends lag ein Staubkorn rum. Alles war sauber, so wie es meine Mutter wollte.
Letztendlich packte ich meine Taschen und füllte sie mit wichtigen Dingen, die ich gebrauchen könnte, wenn ich eventuell vorhatte schnell reiß aus zu nehmen. Die gepackten Rucksäcke landeten im Schrank.
Um mich zu beruhigen setzte ich mich auf mein Bett und las in einem Buch. Es vergingen Stunden und ich ließ niemanden in mein Zimmer, nicht dass das meine Eltern auch nur in Erwägung gezogen hätten.
Um kurz vor sieben, ging ich hinunter und rief, dass ich nochmal raus ginge.
Ein uninteressiertes ,,mhh" klang aus dem Arbeitszimmer.
Schuhe und Jacke zog ich an und verschwand.
Ich hoffte, dass ich irgendwo Chiara fand. Tausende Ideen kreisten in meinem Kopf umher. Letztendlich kam ich zu dem Entschluss in unserem alten Baumhaus nachzusehen, in dem wir als Kinder immer gespielt hatten.
Die Leiter fühlte sie knochig an und das alte Holz begann schon sich aufzulösen.
Ich stieß die kleine Tür von unten auf und kletterte weiter. Im Baumhaus angekommen, sah ich ein erschütterndes Bild. Meine Schwester. Sie lag auf dem Boden in einer Blutpfütze. Ihr Arm war komplett aufgeschnitten. Ich atmete hektisch und weinte zugleich. Mit einem Schritt war ich bei ihr und legte zwei Finger auf ihre Halsschlagader. Ich wusste, dass sie tot war, wollte es mir aber nicht eingestehen.
Ich schrie. Meine Kehle brannte. Dann begann es zu regnen.
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2 Years AgoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt