Die Servierte

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Menschen standen auf, suchten ihre Sachen zusammen und drängten sich durch die große Kinosaaltür, um als erstes draußen zu sein und die leeren Toiletten zufüllen. Ungeachtet auf ihre Mitmenschen schubsten einige, murmelten eine nicht ernst gemeinte Entschuldigung und rempelten weitere Menschen an. Einige blieben noch sitzen, warteten geduldig und sprachen über den Film. Andere machten schon Pläne für die nächsten fünf Jahre.
Ich blieb auf meinen Platz und blickte weiterhin auf die überdimensionale Leinwand.
Meine Tränen trockneten auf meine Wangen und verklebten mir die Wimpern. Wie an einem Rettungsring klammerte ich mich an meine leere Popcorntüte und schaute den Abspann zu. Hörte die letzten Klänge zu und lies meinen Kopf schwer werden. Während alle um mich herum wieder in die Wirklichkeit rennen wollten, wollte ich sie noch ein wenig hinauszögern.
Erst als der Abspann vorbei war und die letzten Besucher gingen, atmete ich tief ein. Die Lichter gingen an und die Leinwand wurde wieder weiß. In der kurzen Zeitspanne, während die Kinowand weiß und die Vorhänge Zugezogenen wurden, stellte ich mir vor, mit welchen Farben sich das Gesehene beschrieb. Nicht das ich einer schräge Künstlerin war, aber ich liebte Farben. Je bunter, desto besser.
Blau, Dunkles Lila und einen satten Goldton, vielleicht auch ein wenig Grün.
Ich war so in Gedanken, dass ich den jungen Mann, der auf mich zu kam, gar nicht bemerkte.
"Entschuldigung? Ich müsste Sie jetzt bitten den Saal zu verlassen, damit sauber gemacht wird."
Überrascht schaute ich zu ihm auf. Blondes Haar, welches ihm wild vom Kopf ab stand und eisblaue Augen. Ich lächelte entschuldigend, so etwas passierte mir nicht zum ersten Mal. "Natürlich, tut mir leid."
Schulterzuckend erwiderte er, dass es kein Problem sei. Er nahm mir mein Getränk und die Tüte ab, ich war damit beschäftigt Jacke und Mütze an mich zudrücken.
Langsam folgte er mir zur Tür. "Der Film war wirklich gut, kennen Sie ihn?" Der Kerl konnte nicht viel älter als ich sein, stellte ich bei genauerer Betrachtung fest. Nicht das ich ihn beobachtet habe, aber es könnte sein, dass sich meine Augen nicht von ihm lösen wollten.
Blondie schaute mir interessiert zu, wie ich darum kämpfte meine Jacke anzuziehen.
"Die Dokumentation über Kriegskinder? Ja, sehr bewegend, obwohl man doch ins Kino geht, um für kurze Zeit das Leben zu entfliehen und nicht mit ihr katastrophal zusammen zustoßen."
Meine Mundwinkel zuckten. "Es gibt verschiedene Arten von Ablenkung. Manche suchen sie in Komödien oder Romantischen Filmen, andere in Dokus." Ich hatte es endlich geschafft die Jacke überzuziehen und hoffte, dass ich mich nicht vollständig zum Deppen gemacht hatte.
Er hielt mir die Tür auf und lies mir den Vortritt. Seine Augen streiften mich kurz, ehe er wieder die Schultern zuckte. "So ein wie Sie hätte ich einfach nicht in einer Kriegsdokumentation erwartet."
"So eine wie ich?"
Er deutete auf mein Erscheinungsbild und lächelte. "Sie sehen so fröhlich aus. Lebendig."
Vor Verblüffung und Verlegenheit stolperte ich kurz, fing mich aber schnell wieder. Ich zog mich schon immer Bunt an, nicht wie ein Hippi, aber ich mochte Farben. Es gibt so viele verschiedene und schöne Töne, die muss man doch aller Welt zeigen. Schweigend zog ich meine Mütze über den Kopf und lief mit ihm die Treppen hoch zum Ausgang.
"Ich bin gerne lebendig, aber das heißt auch, dass man Trauer und Schmerz verspürt.", sagte ich nach einigen Stufen. "Manchmal braucht man diese Gefühle, um daran erinnert zu werden, dass man Lebt."
"Du bist wohl sehr tiefsinnig, was?"
"Ich studiere Psychologie und Philosophie. Es ist irgendwie eine dumme Angewohnheit."
Blondie reichte mir meine halb leere Flasche und schmiss die Tüte, im vorbeigehen, in den Müll. "Ich finde es ganz angenehm, besser als das niveaulose Gerede von den ganzen Tussis. Außerdem stimme ich dir in dem Punkt zu. Man braucht schlechte Tage, um die guten zu erkennen."
Ein kleines Lachen schlich sich über meine Lippen. "Vielleicht triffst du dich einfach mit den falschen Leuten?"
Blondie raufte sich die Haare, als würden es nicht schon genug wie ein Vogelnest aussehen. Aber irgendwie Sexy. Seine Augen blitzten amüsiert auf. "Ich sollte wohl öfter Mädchen ansprechen, die heulend in einem leeren Kinosaal sitzen."
"Das ist ein Anfang! Am besten die, die sich Dokumentarfilme anschauen, solche sind die Besten."
"Du hast da wohl Ahnung."
Gespannt sah ich dabei zu, wie er sich mit einer Hand über das stoppelige Kinn strich. In meinem Kopf sprühten die Farben Rot und Orange umher. "Ich habe nicht nur Ahnung, ich bin Expertin."
"Dann kannst du mir hoffentlich ein paar Tipps geben? Ich bin immerhin nur ein Angestellter in einem Kino und kein Experte."
"Das ist ganz einfach, man muss die Leute einfach genauestens beobachten. Manche nennen es auch Stalking."
Wir waren oben angekommen, vor der Kasse hielt er mich an und bat mich kurz zu warten. Die blonden Haare verschwanden im Getümmel. Ich drückte meine Flasche an mich und überlegte ernsthaft, was dagegen sprach, den Typen in eine Abstellkammer zu zerren und dort mit ihm unanständige Dinge zu tun. Allerdings mischte sich meine gesunde, moralische Seite in den inneren Monolog ein und die Sache war vom Tisch.
Plötzlich stand Blondie wieder vor mir und grinste auf mich hinunter. Ich sah wieder Rot und Orange. Verflixt!
Er reichte mir eine M&M's Tüte und eine Servierte, beides nahm ich fragend an.
Wieder ein Schulterzucken. "Ich habe gehört Schokolade soll gut für die Seele sein und die Servierte... deine Wangen sind noch ein wenig nass."
Ich lief rosa an und fragte mich, was dieser Mann an sich hatte. "Dankeschön."
Wir starrten uns noch kurz an, ehe ich mich, ohne ein weiteres Wort, umdrehet und zum Ausgang schritt. Ich stieß die Tür auf, drehte mich aber noch mal um.
Er stand immer noch da, die Hände in den Hosentaschen.
"Kann ich deine Nummer haben? Also, nur wenn du sie mir geben willst. Wir können zusammen über dein Tussiproblem reden und ich habe noch ein paar Ratschläge und ich bin eine echt gute Zuhörerin, ich kann wirklich die Klappe halten, was man jetzt wahrscheinlich gar nicht merkt, aber manchmal funktioniert es. Und wenn du Nudeln mit überbackenden Käse magst, dann kann ich auch kochen, aber nur dieses eine Gericht. Ich bin übrigens Amber." Mit pochendem Herzen hielt ich die Luft an. Gott, bin ich peinlich.
Sein raues Lachen sendete mir einen Schauer über den Körper, wie kleine Blitze überall. "Guck dir die Servierte an."
Mit verwirrter Mine blickte ich auf die runter. Darauf stand mit krakeliger Schrift Luis und eine Handynummer.
Breit grinsend fing ich seinen Blick auf. "Tja, dann hast du wohl jetzt keine andere Wahl, als überbackeneNudeln zu essen."
"Ich kann mir vorstellen, dass es fantastisch schmecken wird, Amber."
Über all explodierte Rot und Orange.

So, das wars. Ich hoffe, es hat euch gefallen, es ist zwar klein, aber ich habe mir wirklich Mühe gegeben. Über Feedback würde ich mich sehr freuen 😊

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