"Es tut mir leid. Lass mich bitte los und hör mir zu...", spricht sie und schiebt sich mit beiden Händen von seiner Brust. Er hatte sich so gefreut sie zu sehen und sie fest an sich gedrückt. Es versetzt ihm einen Stich in die Brust, dass sie Abstand zwischen sie bringen will und es widerstrebt ihm. Er sehnt sich mit seinem ganzen Körper und so viel mehr nach ihr und sie drückt ihn weg. Es tut weh und es verwirrt ihn.
"Das hier ist kein Date oder?", fragt er mit wackliger Stimme. Er hat Angst vor der Antwort. Mit hängendem Kopf steht sie vor ihm und schüttelt ihn kaum merklich. Am liebsten würde er seine Arme nach ihr ausstrecken, doch irgendetwas hält ihn zurück. Plötzlich richtet sie sich auf und dreht sich in Richtung der Stadt, die dort unten am Fuß des Berges liegt. Sie hatte ihn hierher bestellt. An ihren Ort. So viele Stunden haben sie hier verbracht, so viele Momente erlebt, so viele Worte gesprochen, so viel gespürt, so viel geträumt, so viel gelacht, so viel Liebe geschworen. Und jetzt standen sie hier mitten in der Nacht. Über, vor und hinter ihnen die Sterne. Unter ihnen die Lichter der Stadt. Überall glitzert es und für jedes leuchtende Pünktchen blitzt eine Erinnerung von ihnen beiden vor seinem inneren Auge auf. Es könnte so schön sein. Sie beide hier oben in ihrer Schneekugel mit Sternen und Lichtern statt Schnee. Ihre kleine Welt, in der es nur sie beide gibt. Doch er spürt, wie all das Schöne kurz davor war zu zerbrechen.
"Schau dir diese endlose Weite an. Uns liegt wortwörtlich die Welt zu Füßen. Und wir stehen noch ganz am Anfang. Warum sollten wir uns in dieser Beziehung verheddern. Sie fesselt uns und wir kommen kein Stück vor und keins zurück. Wir müssen uns befreien. Ich muss lernen auf eigenen Füßen zu stehen und du hast es verdient nur ein Leben auf deinen Schultern zu tragen. Sieh es dir an. Sieh, wie schön die Welt ist und wie schön die Sterne. Sei frei und leb das Leben. Lass uns fliegen. Ich will nicht mehr das Gewicht sein, das dich unten hält. Und wenn ich irgendwann gelernt habe zu fliegen, vielleicht begegnen wir uns dann irgendwann auf einer Höhe. Beide frei und voller Leben. Und vielleicht gibt es dann irgendwann eine zweite Chance für uns, aber bitte lass mich jetzt los und flieg. Du bist mehr wert als ein Trostpflaster zu sein. Du bist die Sterne und ich bin die Wolken, die sie solange bedeckt haben. Jetzt ist es Zeit für dich zu leuchten. Mach dir um mich keine Sorgen. Ich  werde meine Wolken vertreiben und mir Flügel wachsen lassen." Sie beendet ihr Rede mit ruhiger Stimme. Ihr Blick ist weiterhin in die Ferne gerichtet.
Es bleibt ihm die Luft im Hals stecken. Obwohl er so etwas erwartet hat, muss er sich erst ein mal sammeln. Dann sagt er das erste was ihm einfällt. Völlig kopflos plappert er los.
"Ich würde deine Worte so sehr vermissen. Du warst nicht nur dunkle Wolken, du warst auch warmer Sommerregen, in dem man tanzen möchte. Deine Melancholie hat mich verzaubert. Es hat sich nie angefühlt, wie ein Gewicht.", antwortet er verzweifelt. Er spürt, wie er sie verliert. Sein Herz hämmert panisch gegen seine Brust.
Sie seufzt und schüttelt den Kopf ohne ihn anzusehen. "Melancholie. Schon allein dieses Wort ist so schwer. Glaub mir, du wirst es spüren, wie schön es ist frei zu sein. Tanzen im Sommerregen war vielleicht ganz schön, doch jetzt ist es Zeit mit den Sternen zu tanzen."
"Komm wieder zu mir. Lass mich dich wenigstens noch heute Abend in meinen Arme halten.", sagt er mit belegter Stimme und hängenden Schultern. Sein Blick ist flehentlich. Sie muss doch wieder zur Vernunft kommen. Sie muss doch auch spüren, dass sie zusammen gehören.
"Es tut mir leid. Ich werde jetzt auf eigenen Füßen stehen. Anfangs vielleicht noch etwas wacklig, aber ich werde mich fangen. Diesmal werde ich nicht in deine Arme fallen, ich werde mich selber auffangen." Ihre Lippen deuten ein Lächeln an. Er vermutet, dass es ihn beruhigen soll.
"Was ist mit mir? Ich brauche deinen Halt!", in seiner Stimme sind schon die ersten Tränen zu hören. Wieso ist er so schwach? Er weiß die Antwort. Sie macht ihn schwach, er ist ihr verfallen. Aber er liebt diese Schwäche.
"Nein. Glaub mir, den brauchst du nicht. Den gab es nie. Ich erinnere mich an den Jungen, der du vor mir warst. Du warst der stärkste Mensch, den ich je getroffen habe. So eine Stärke kann selbst ich nicht auslöschen. Sie schlummert tief in dir. Doch ich habe die ganze Zeit an dieser Kraft genagt, dich ausgelaugt.", sagt sie immer noch mit ruhiger Stimme, aber jetzt erkennt er auch in ihren Augen Schmerz.
"Hör auf so etwas zu sagen. Das hört sich ja schrecklich an.", erwidert er energisch und schockiert über ihre Vorstellungen ihrer Beziehung. Wie kann sie alles so falsch verstehen. Liebe macht schwach und verletzlich, aber sie macht gleichzeitig auch stark und unsterblich.
"Das sind meine Worte, die du meinst vermissen zu werden. Sie sind hässlich. Da draußen gibt es Menschen mit schönen Worten. Geh hinaus und nimm sie in dir auf. Hör ihnen zu und denk nicht mehr an meine." Während sie das sagt deutet sie mit einen Handbewegung in die endlose Ferne und Weite.
Er schüttelt den Kopf. Sie versteht es nicht. "Das ist unmöglich. Ich werde immer an dich und deine Worte denken. Selbst wenn ich jetzt in diese Welt treten würde, die vor uns liegt. Du und deine Worte würden immer die Sterne dort oben sein, die nachts zum Vorschein kommen und über mir leuchten würden. Sie würden mich immer begleiten. Du würdest mich immer begleiten." Er versucht ihr in die Augen zu schauen, aber sie schaut weg und betrachtet den Sternenhimmel. Unter anderen Umständen wäre er auch fasziniert von den Sternen, aber jetzt hat er nur Augen für sie, denn für ihn leuchtet sie viel heller als all  die Sterne.
Sie beginnt wieder leise zu sprechen: "Vielleicht... Aber bitte lass mich nur der Nachthimmel sein und ermögliche anderen Menschen und Dingen dein Tag zu werden."
"Es ist vorbei, stimmt's? Du hast deine Entscheidung getroffen." Es wurde irgendein Schalter bei ihm ungelegt. Plötzlich verspürt er keine Hoffnung mehr, resigniert lässt er die Schultern hängen. Er spürt keine Kraft mehr. Er ist verloren und plötzlich ist der Sternenhimmel nicht mehr die schützende Decke über ihnen, die sie umfängt. Das Glas ihrer Schneekugel zerbricht und ein dunkler Ozean aus Sternen  bricht über ihn herein. Er wird ertrinken.
"Es nicht vorbei. Es fängt gerade erst an.", sagt sie ungeduldig mit flehendem Blick. Sie will, dass er sie versteht. Aber die verstehen sich beide nicht. Es ist vorbei. Selbst wenn sie bleiben würde. Sie haben sich längst verloren. Diese Erkenntnis zieht ihm vollends den Boden unter Füßen weg. Er fällt und ertrinkt in den Sternen. Vielleicht sind es auch seine Tränen. Er weiß es nicht mehr.
"Es fällt mir gerade sehr schwer an einen Anfang zu glauben. Ich sehe nur ein Ende. Alles ist vorbei.", presst er mit erstickter Stimme hervor.
"Du musst nur deine Augen für die Welt öffnen und schon siehst du unendlich viele Anfänge. Schau in diese Sterne! Siehst du nicht die Hoffnung? ... Nein nicht mich anschauen... sieh dir die Sterne an." Auch sie hat jetzt Tränen in den Augen.
"Ich kann meinen Blick nicht von dir lösen. Verstehst du mich denn nicht?", sagt er und es ist ihm egal, dass man hören kann, dass er weint. Die Verzweiflung hat von ihm Besitz ergriffen und er kämpft nicht mehr dagegen an.
"Doch du kannst. Genau schau sie dir an. Da ist dein Anfang, deine Hoffnung, deine Möglichkeiten, deine Freiheit...", sagt sie und nickt mit dem Kopf. Er weiß nicht, ob sie es tut, um sich selbst zu über überzeugen oder ob sie es wirklich ist. Dennoch wagt er eine Blick in den endlosen Sternenhimmel. Sofort überfällt ihn Schwindel. Er hat Angst. Alles scheint sich zu drehen. Er will nach ihrer Hand greifen, die so nah bei seiner zu sein scheint, um Halt zu finden, doch sie ist fort. Sie steht da, aber sie ist fort. Sie haben sich verloren. Er ist verloren im Sternenozean. Er ertrinkt in den Sternen.

Sterne Und WolkenWhere stories live. Discover now