Winterimpressionen - Fingerübung 2

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Es ist hell, sehr hell. Die Farben scheinen alle bis ins unwirkliche überzeichnet zu sein, sie dringen hinter die Lider auch wenn man diese versucht geschlossen zu halten. Das helle blau des Himmels strahlt mit dem reinen weiß des Schnees um die Wette, und nur das schwarz der Straßen und Bäume bringt ein wenig Ruhe in die Winterlandschaft. Ab und an sieht man ein kräftiges grün von Tannennadeln aus den Farben hervorstechen, während man seinen Weg durch den rutschigen Schnee sucht. Wenn alle Konturen durch die Kontraste zum weißen Schnee so stark gezeichnet sind, scheint sich nichts mehr verbergen zu könne. Es ist, als wäre der alles verhüllende Mantel sowohl Lüge als auch völlige Wahrheit, Versteck und sogleich Spotlight. Was alles darunter versteckt zu sein scheint ist in diesen Momenten völlig gleich - denn man sieht nur den leuchtenden Schnee, der die Sonne reflektiert und tröstlich die Dunkelheit vertreibt. 

Die Wangen und Nasen der Menschen leuchten rot, reagieren auf die klirrende Kälte. Sie haben ein Lächeln auf den Lippen, während selbst diaelegantesten Frauen etwas unbeholfen durch den Schnee stapfen. Jeder wirkt verletzlich, man könnte schnell fallen, und sehr rosig. Es macht jeden noch so unnahbaren Charakter wieder menschlich, wenn man die kindliche, reine Freude über die romantische Landschaft entdeckt. Die Außenwelt lacht einem freundlich entgegen, spiel mit mir, entdecke mich, bau doch mal wieder einen Schneemann. Familienväter sind begeisterter am Werk als ihre Kinder, da sie sich an die schönen Stunden ihrer Kindheit erinnert fühlen. Man ist wieder jung, frisch, genau wie das Antlitz dieser Welt. Junge Hunde toben durch das helle Gestöber, die Schnauzen tief in der Kälte vergraben. Sie scheinen fast genauso zu lachen wie die jungen Mädchen und Jungen, die ihnen zusehen und in ihren viel zu dicken Schneeanzügen hinter den Tieren her wackeln. 

Diese gewisse Lächerlichkeit, die die Bewegungsabläufe der Menschen im Winter haben, steht im starken Kontrast zu den sonst so einstudierten Bewegungen. Wenn jemand dann versucht, auf hohen Absätzen elegant über die Straßen zu laufen, fällt eher das auf und wird verurteilt. Grenzen verschieben sich, Menschen öffnen sich und sind ehrlicher, leichtgängiger. Jeder ist so dick angezogen, dass die Arme in fast rechten Winkeln vom Körper abstehen, der Boden so glatt, das jeder Gang an einen Pinguin erinnert. Jugendliche machen riesige Schneeballschlachten, bei denen auch sonst so pingelige Menschen Massen und Massen der kalten, nassen Bälle in ihre Gesichter, Haare und Kleidung bekommen und dennoch lachen. Man ist näher bei sich, näher an anderen, und auch sonst so verschlossene Großstädter nehmen Kontakt auf. 

Die Szenen wirken wie im Traum, in einer unwirklichen Umgebung, mit unwirklichen Farben. Die  leichte Konsistenz des Schnees verzaubert und zieht in seinen Bann, während dieser die Tücken der Kälte und des Eises verbirgt. Die kalte, schneidende Luft lässt die Umgebung noch klarer wirken, und wenn man dann nach einem langen Tag heim kommt, wirkt dieser Moment derRückkehr noch tröstlicher, wärmer, willkommener als im Sommer.

Und wenn dann, nach einiger Zeit, die Schneeschmelze beginnt, ist die Zeit der besinnlichen, kindlichen Freude beendet und der Alltag macht sich in dem nun entblößten, starren Stadtgebilde wieder breit. Die Wangen sind wieder blaß und starr.

Winterimpressionen - Fingerübung 2Where stories live. Discover now