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Drei Tage später durfte ich die Krankenstation verlassen, nachdem mich der Arzt für stabil genug empfunden hat. Jedoch sollte ich zuvor nochmal ein Gespräch mit Lizzy deshalb führen, die dann ihre endgültige Meinung dazu abgab.

»Wie geht's dir?« Sie begann das Gespräch wie ein üblicher Psychologe. Bei ihr war ich mir jedoch sicher, dass es sie wirklich interessierte. »Ich bin etwas niedergeschlagen, weil morgen Lenas Beerdigung in Kaiserslautern stattfindet«, antwortete ich ehrlich. Lizzy nickte. »Sollen wir für morgen eine Extrastunde einplanen? Dann musst du nicht alleine sein?«, bot sie mir an.

»Nein, danke. Finn, Maja, Sarah und ich wollen uns in der kleinen Kirche treffen und uns gemeinsam von ihr verabschieden«, lehnte ich dankend ab. Sie nickte. »Sehe es als Chance, dieses Kapitel dann endlich abzuschließen und den Schmerz, den die Zeit verursacht hat, endlich hinter dir zu lassen. Ein anständiger Abschied kann für dich auf viele Weisen heilend sein. Wenn du es nur zulässt, dass sie eine Erinnerung von dir bleibt, aber nicht stetig deine Gegenwart begleitet und dir Schmerzen zufügt.« Lange dachte ich über ihre Worte nach.
Seit Jahrhunderten begruben Menschen ihre Familie, Freunde und die Geliebten. Es wurden ergreifende Reden und Gebete abgehalten, um die Menschen zu verabschieden. Und die Menschen nahmen die Kraft immerzu aus dem Gedanken, ihr geliebter Mensch war nun bei Gott im Paradies und würde dort auf ihn warten.

Ich war nicht gläubig. Aber was, wenn Lena nun in einer anderen Welt lebte, in der sie glücklich sein konnte? Vielleicht hatte sie nun ihren Frieden gefunden, der ihr hier auf der Erde verwehrt blieb.

Langsam nickte ich. »Ich stelle mir gerade vor, wie sie in einer anderen Welt lebt und dort endlich glücklich ist«, antwortete ich daher. Lizzy sah mich dabei an. »Wir werden es nie wissen. Aber wir können daran glauben. Und somit Vollkommenheit erlangen. Mit der wir diesen Menschen endlich loslassen können.«
Ich musste über ihre Worte sogar ein wenig lächeln. Sie war so unglaublich klug für ihr Alter und gab mir oft Weisheiten mit auf den Weg, die ich eher von einem 80-jährigen Mann erwartet hätte, der sein Leben hinter sich hat.

»Du kannst gehen, Ardy. Ich mache mir um deine mentale Gesundheit gar keine Gedanken. Du hast einen so starken Charakter, du wirst es aus der Magersucht und der Depression schaffen, ich weiß das.« Warm lächelte sie mich an. Ihre Worte gaben mir Mut. Ich hörte selten, dass jemand an mich glaubte. Und noch weniger hörte ich, dass ich stark war. Es freute mich, diese Worte zu hören. Es war wortwörtlich Balsam für meine Seele.

»Wenn du mich morgen Abend brauchst, du weißt, wo meine Hütte ist. Du kannst gerne vorbeikommen zum reden«, bot sie mir noch an, bevor ich nun endlich die Krankenstation verlassen durfte.

Lizzy fühlte sich eher wie eine gute Freundin an, als meine Psychologin. Und genau deswegen war sie mir so sehr ans Herz gewachsen. Ich hatte nie Freunde, auf die ich mich verlassen konnte.

Boot camp | TardyWhere stories live. Discover now