Jetzt stand Englisch bei Frau Sommer auf dem Stundenplan. Fröhlich wie immer kam sie hereinspaziert und rief „Guten Morgen" in die Runde.

Prüfend ließ sie ihren Blick über die Klasse schweifen, um zu sehen, ob alle da waren. Verwundert blieb ihr Blick an Nicos leerem Platz hängen.

„Was ist mit Nico? Ist er krank?", fragte sie.

Nach ihren Worten drehten sich alle Köpfe zu mir um. Doch ich zuckte auch nur mit den Schultern. Schließlich hatte ich auch keine Ahnung, wohin er gegangen war.

„Naja. Lily, du kommst nach der Stunde bitte zu mir."

Wortlos nickte ich.

Als es gongte wurde mir heiß und kalt gleichzeitig. Mit einem kurzen Nicken von Frau Sommer folgte ich ihr hinaus auf den Flur.

„Also, Lily, was ist los mit Nico? Was weißt du?"

Stumm senkte ich die Augen, doch dann fasste ich mir ein Herz.

„Wir haben heute die Mathe Arbeit rausbekommen und sie ist völlig in die Hose gegangen. Nico hat eine sechs einkassiert. Und dann ist er ohne ein Wort aus dem Klassenzimmer verschwunden. Ich weiß wirklich nicht wo er sein könnte. Vielleicht auf dem Klo oder im Pausenhof in der hintersten Ecke."

Nachdenklich musterte mich Frau Sommer.

„Bist du sicher, dass du nichts mehr weißt, Lily?"

Ich überlegte kurz und angestrengt.

„Ja, hundertprozentig!", sagte ich und meinte es auch so.

„Kann es sein, dass er vielleicht nach Hause gegangen ist?"

„Sein kann alles! Ich mache mir auch Sorgen um ihn, Frau Sommer!"

Und plötzlich konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten und schluchzte los. Fürsorglich legte Frau Sommer einen Arm um mich.

„Vielleicht ist es besser, wenn ich deine Mutter anrufe, dass sie dich abholt. Ich denke nicht, dass der Unterricht noch etwas für dich bringt. Das war alles etwas zu viel für dich heute, hm?"

Noch immer schluchzend nickte ich.

Wenig später saß ich mit verheulten Augen im Auto meiner Mutter und erzählte ihr die ganze Geschichte von dem Tag an, an dem ich Nico kennengelernt habe bis zu dem Zeitpunkt an dem Nico heute verschwunden ist.

In der Mitte musste ich einmal unterbrechen, als wir ausstiegen und ins Haus gingen. Während ich weiter erzählte kochte Mama mir einen Tee und richtete mir ein gemütliches Lager aus Kissen und Decken im Wohnzimmer her.

Die ganze Zeit über hörte sie mir aufmerksam zu und unterbrach mich kein einziges Mal. Als ich fertig war herrschte für kurze Zeit Stille. Ihre ersten Worte überraschten mich etwas.

„Und was ist mit deiner Mathe Schulaufgabe?" Auf wackeligen Beinen stand ich auf und ging hinüber zu meiner Schultasche. Gespannt darauf was meine Mama zu der Note sagen würde zog ich das Blatt Papier aus der Mappe.

„Der Notenschnitt ist 4,7. Herr Nebel hat gesagt, dass wir langsam in den unteren Abschnitt der insgesamten Leistung aller Klassen rutschen. Und ich habe eine ... glatte drei!! Oh Mama, ich bin so happy!"

Mit großen Augen starrte mich meine Mutter an. Und dann umarmte sich mich ganz plötzlich.

„Toll gemacht, mein Schatz!" Nach einigen herzhaften Umarmungen wurde ihr Blick wieder ernst.

„Und was Nico angeht hast du wirklich keine Ahnung wo...?", fing sie an, aber das Läuten des Telefons unterbrach sie.

Mit einem entschuldigenden Blick an mich gerichtet verschwand sie Richtung Telefon. Nach einer halben Stunde kam sie wieder herein.

Lilys Leben - meine Geschichte Opowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz