Die Erscheinung

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Es war einer dieser Tage, an denen man dieses 'Mich-kotzt-alles-an'-Gefühl bekam, wenn man aus dem Fenster schaute. Das Wetter an jenem Tag konnte sich nicht entscheiden, ob es jetzt sintflutartig regnen sollte oder ob es den Menschen doch lieber einen netten Sommertag schenken wollte. Ich weiss noch genau, wie ich beschlossen hatte, einen Schirm mitzunehmen, und wie ich dann vergeblich nach einem in unserer Wohnung suchte, aber nur den Regenschirm meiner jüngeren Schwester fand. Und wer will schon einen pinken Regenschirm mit regenbogenfarbenen Katzen darauf? Ich weiss nicht, damals hatte ich so ein Gefühl, neben dem 'Alles-kotzt-mich-an'-Gefühl und ich schlüpfte aus einer Laune heraus in meine beste Jeans und mein allerbestes Hemd. Naja, es war das einzig frische. Schlurfte in die Küche, wie immer viel zu früh dran, und würgte mir irgendwelche Cornflakes rein. Wie üblich war meine ganze Familie schon weg. Ich sass noch eine Weile lang alleine da, einsam, könnte man fast sagen. Schliesslich brach ich auf zur Busstation, fuhr zur Schule, lief zum Klassenzimmer, packte aus, setzte mich hin, schaltete meinen Kopf aus, dachte nach, dachte über das Falsche nach, hörte nicht zu, schrieb irgendwas auf, wich irgendwelchen Papierkügelchen aus, die von hinten an meinen Kopf geschossen wurden. Sie waren zwar für den Klassenstreber bestimmt, aber ich befand mich leider in der Schusslinie. Ich war nicht beliebt, ich war nicht gut, ich war nicht schlecht, ich weiss nicht, was ich war. Irgendwas. Irgendwas dazwischen war ich.
Dann kam das Geräusch. Dann kam der Zeitpunkt. Dann kam der Zeitpunkt, der mein Leben völlig verändern sollte. Dann kamst du.
Ist es nicht merkwürdig, dass ich mich nur daran erinnern kann, was Mr. Paws sagte, unser Geschichtslehrer, und nicht daran, was du erwidertest? "Sie kommen zu spät, Miss Meggs." Das war der einzige Augenblick, in dem du verwirrt ausgesehen hast, aber das sollte er auch bis heute bleiben. Irgendwas Freches oder Rebellisches musstest du gesagt haben, denn alle fingen an zu lachen, aber ich hing immer noch diesem Moment nach, als du zur Tür hereinkamst und kurz meinen Blick getroffen hast. Damals glaubte ich, du hättest mich nicht bemerkt, aber so war es nicht. Zum Glück. Schliesslich kehrte ich wieder in die Realität zurück. Der Lehrer senkte den Blick und machte einen tiefen Seufzer, und in diesen paar Sekunden dachte ich, wie gern ich doch jetzt in einem dieser amerikanischen Filme wäre, in denen sich die neuen Mädchen an den High Schools immer neben denjenigen setzten, neben dem noch Platz war, und dieser Jemand war zufällig die Hauptperson der Geschichte, und zufällig war ich die Hauptperson in meinem Leben und zufällig warst du das neue Mädchen an meiner Schule, doch ich war nicht in einem dieser kitschigen Filme und das Leben ist keine Wunschfabrik, also setztest du dich neben die beliebtesten Jungs der Klasse, die dich, als du nur schon den Mund aufgemacht hast, schmachtend angesehen haben, und obwohl der Tisch bereits voll besetzt war, liess Paws dich dort sitzen, mit seinen Nerven völlig am Ende, und überflutete lieber weiter unsere Gehirne mit irgendwelchen Informationen über Hitler, und ich blieb hier sitzen, allein, wie immer, und da war mein Gedanke endlich zu Ende gedacht. Wie viel in ein paar Sekunden geschehen kann, nicht? Echt unglaublich. Den weiteren Rest der Stunde verbrachte ich damit, dich unauffällig zu mustern. So krank wie es klingt; Ich habe angefangen, dich zu zeichnen. Strich für Strich habe ich dein Gesicht zu Papier gebracht, dein sehr spezielles Gesicht, dein wunderschönes Gesicht, dein perfekt unperfektes Gesicht. Ein knochiges und doch weiches Gesicht, makellose Haut. Waldgrüne Augen, sehr gross und doch lang gezogen, was sie irgendwie geheimnisvoll wirken lässt. Lippen, wie eine Blüte geformt, voll, fast rötlich, eine rundliche, süsse Nase, die perfekt in dein Gesicht passte. Damals, sasst du da bei diesen dämmlichen Jungs, neben dem Fenster, und die Sonne strahlte auf deine hüftlangen, welligen Haare, kastanienbraun, und als die Sonnenstrahlen auf sie traffen, erstrahlten sie in goldenem Glanz. Deine Beschreibung hört sich an wie ein verdammtes Gedicht, aber es ist so. Du bist unbeschreiblich. Unbeschreiblich schön. Und anders. Damals dachte ich, du seist wieder eine von denen, ein beliebtes, hübsches Mädchen. Nichts in der Birne, nur Mascara in den Augen. Doch als ich an jenem Tag das Klassenzimmer verliess, mit deinem Porträt in meiner Tasche und deinem Gesicht eingebrannt in meinem Hirn anstatt Hitlers Biografie, sollte etwas passieren. Etwas völlig unerwartetes.

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⏰ Last updated: Dec 28, 2016 ⏰

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