7. Blond, wie ihre Haare

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„Wieso das?", fragte Petunia, die ebenso sichtlich verwirrt schien. Ich verzog das Gesicht, ehe ich antwortete: „Naja, da sind irgendwie Gefühle, die nicht da sein sollten und alles fühlt sich so falsch an."

„Erklär es mir", forderte Petunia mich auf, die wohl nicht ganz mitkam.

„Okay", seufzte ich, während die Digitaluhr an der Wand auf null Uhr sprang. „Auf meiner Schule ist dieser eine Junge, James Potter. Er ist ein echt arroganter Typ, der in allem der Beste ist und gut im Sport und bei allen beliebt ist. Er und seine Freunde spielen regelmäßig Streiche und seit diesem Jahr ist er mit mir zusammen Schulsprecher. Ich kann ihn eigentlich kein Stück leiden. Dann ist er heute aufgetaucht, nachdem er sich per Brief angekündigt hat, weil er mich besuchen wollte." Ich verzog das Gesicht. „Er wollte, dass ich ihm eine Chance gebe, dass ich den richtigen James kennen lernen und ich habe ihm gesagt, ich gebe ihm 24 Stunden, damit er mir beweisen kann, dass er nicht der größte Idiot auf Erden ist. Also sind wir losgegangen. Wir waren Kaffee trinken und dann Eislaufen und auf dem Riesenrad, haben Zuckerwatte und Schokofrüchte gegessen, er hat mir beim Dosenwerfen eine Lilie gewonnen und dann haben wir uns das Feuerwerk angeguckt. Und er hat mich gefragt, ob ich ihm denn je eine Chance geben würde und ich wusste einfach keine Antwort, weil ich an diesem Tag den echten James Potter kennen gelernt hatte, der auch Ängste und Sorgen hatte und ich nicht wusste, was ich damit anfangen sollte, also habe ich nichts gesagt und dann wurde er sauer, als er mich zu Hause abgesetzt hat und wir haben uns gestritten und – oh Gott, ich habe so schreckliche Dinge zu ihm gesagt, Tuni", schloss ich lahm.

Meine Schwester allerdings starrte mich an, als hätte ich ihr gerade erzählt, ich würde die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika werden. „Was ist?", fragte ich vorsichtig und befürchtete schon, sie hätte ihre Zunge verschluckt. „Du hast 'Gott' gesagt", sagte sie atemlos. „Das hast du seit ein paar Jahren nicht mehr getan. Immer sagst du nur Merlin."

Ich sah sie mit großen Augen an. „Tuni, ich habe hier ein wirkliches Problem", erinnerte ich sie und sie schüttelte kurz den Kopf. „Okay, tut mir leid. Was genau ist denn nun das Problem?"

„Ich habe ihm so schreckliche Dinge an den Kopf geworfen und er wird bestimmt nie wieder mit mir reden wollen!" Petunia verschränkte die Arme und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Du hast doch gesagt, du kannst diesen Jungen sowieso nicht leiden. Warum also kümmert es dich."

„Weil ich mir da nicht mehr so sicher bin", stöhnte ich und ließ meinen Kopf auf die Tischplatte sinken. „Ich hätte es einfach nicht für möglich gehalten, aber alleine diese wenigen Stunden außerhalb mit ihm – ohne die Schule, ohne die ganzen Schulkameraden und Lehrer und den Leistungsstress – haben mir eine Seite an ihm offenbart, die ich vorher nicht wahrgenommen hatte. Und jetzt weiß ich einfach was ich fühlen soll. Der Junge, den ich sechs Jahre lang nicht ausstehen konnte, hat mir gezeigt, dass er diese Dinge mit mir machen kann und dass ich mich nicht dagegen wehren kann... Petunia, hilf mir."

„Hast du ein warmes Gefühl, wenn er mit dir redet?", fragte sie.

„Ja."

„Wirst du nervös, wenn er dich berührt?"

„Ja", antwortete ich.

„Fühlt dein Bauch sich komisch an, wenn du ihm in die Augen blickst? Oder wenn er etwas zu dir sagt? Wirst du bei Komplimenten rot?"

„Ja, ja und ja."

Petunia seufzte leise. „Du verliebst dich", sagte sie dann nach ein paar Sekunden Schweigen. Sofort lachte ich auf. „Du bist ja verrückt", sagte ich und meine Stimme rutschte ein paar Oktaven höher. „Das ist unmöglich."

Meine Schwester zuckte nur leicht mit den Schultern. „Das ist meine Einschätzung der Dinge. So war es bei mir und Vernon zumindest. Die Schmetterlinge im Bauch, die heißen Wangen", schwärmte sie. „Hach, es ist so schön, wenn man sich gerade verliebt."

Ich lachte noch einmal auf und mein Lachen klang sehr hysterisch. „Das ist doch nicht möglich!", versuchte ich sie mit Logik zu überzeugen. „Man kann sich nicht in weniger als 24 Stunden in jemanden verlieben, den man zuvor nicht gemocht hatte. Das ist physikalisch nicht möglich, Tuni."

„Das weiß ich", antwortete sie schlicht und erhob sich von ihrem Stuhl, wobei sie ihr Kleid wieder glattstrich. „Ich sage auch nicht, dass es jetzt passiert sein muss. Manchmal hat man diese Gefühle schon in sich und es braucht erst einen kleinen Schubser, um sie zu erwecken. Wer weiß... vielleicht hattest du schon immer etwas für diesen James Potter übrig und erst jetzt bist du dir darüber im Klaren geworden. Den wahren Kern einer Person zu kennen, kann manchmal wirklich Wunder bewirken."

Petunia ging an mir vorbei und ihre Hand zuckte kurz, als wolle sie sie mir auf die Schulter legen, doch sie besann sich wohl eines Besseren. „Gute Nacht, Lily. Ich brauche noch etwas Schönheitsschlaf."

„Warte!", sagte ich leise und folgte ihr. „Was soll ich denn jetzt machen?" Meine Schwester blickte mich nun leicht genervt an. „Mensch, Lily, ich bin doch kein Pärchenberater. Geh zu ihm oder lass es bleiben", sagte sie schlicht, ging die Treppen hinauf und ließ mich in der Dunkelheit des Flures zurück. Eine geschlagene Minute lang stand ich einfach nur da – lauschte, wie die Badezimmertür im oberen Stock zu ging und dann wieder geöffnet wurde, wie Petunia in ihrem Zimmer verschwand – dann bewegte ich mich. Erst zaghaft lief ich auf die Kommode zu, über der meine Jacke hing. Einen Augenblick lang klammerte ich meine Hand einfach nur in den Stoff und spürte die raue, kühle Oberfläche auf meinen Fingern, dann riss ich sie vom Haken und zog sie mir über. Ich eilte in mein Zimmer, schnappte mir meinen Zauberstab, wobei mein Blick auf die Lilie von James fiel, die jetzt auf meinem Nachttisch stand und vom Mondlicht beschienen wurde. Ich schluckte schwer und wandte mich um. Was tat ich da nur...

Resigniert ließ ich meine Jacke von den Schultern gleiten und achtlos auf den Boden fallen und setzte mich auf mein Bett. Ein Gedanken schien den nächsten zu jagen. Mein Kopf wurde schwer und meine Augenlider fielen zu und vor meinem inneren Auge konnte ich diesen Tag noch einmal sehen. Ich sah, wie James genervt mit der flirtenden Bedienung redete, wie er mir half, auf dem Eis stehen zu bleiben. Ich sah, wie wir gemeinsam mit dem Riesenrad fuhren, wie die Lichter sich in seinen Augen gespiegelt hatten, als er darüber geredet hatte, was uns dort draußen erwartete. Und ich sah das Feuerwerk und spürte, wie mein Gesicht wieder warm wurde und meine Hände schwitzig wurden und wie ein Kribbeln meinen Magen beeinträchtigte. James Potters strahlendes Gesicht mit dem breiten Grinsen erschien vor mir und ich konnte ihn sehen, wie er mich mit leuchtenden Augen anblickte.

Und dann wusste ich es.

Vierundzwanzig Stunden (Harry Potter/Jily)Where stories live. Discover now