Prolog

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Ein Jahr zuvor...

"Wir unterbrechen diesen Film für eine Sondersendung." Milan spitze neugierig die Ohren und legte das Buch, in welchem er grade noch gelesen hatte zur Seite. Auch seine Eltern stellten den Fernseher ein wenig lauter. Bis zu diesem Moment hatten sie sich zusammen mit Milans kleiner Schwester May eine Dokumentation über verschiedene Tierarten Panems angesehen, doch nun setzten sie sich aufrechter hin und warteten ängstlich auf die Meldung.

Seit Präsident Snows Sturz vor zwei Monaten waren sie dauerhaft in Panik, wozu sie allen Grund hatten. Milans Vater war Snows engster Berater gewesen und stand nun auf der roten Liste der neuen Regierung. Er wurde zwar nicht ins Gefängnis gesteckt, aber seinen Job hatte er trotzdem verloren. Die Distrikte trauten ihm verständlicherweise nicht über den Weg. Immerhin hatte man ihnen noch nicht die teure Wohnung genommen, doch wenn Milans Vater nicht bald neue Arbeit fand würden sie die hohe Miete nicht mehr lange zahlen können.

Der Bildschirm flackerte einmal kurz auf, dann sah man einen Schreibtisch, an dem eine Frau saß, während im Hintergrund die Fahne Panems hing. Die Frau war Präsidentin Paylor, Snows Nachfolgerin. Sie kam aus Distrikt 8 und war eine der schlimmsten Rebellinnen gewesen. Nachdem Katniss Everdeen, der Spotttölpel oder wie auch immer sie sie nannten, die Frau aus Distrikt 13, deren Name er sich nicht gemerkt hatte, erschossen hatte war sie gewählt worden. Milans Freund Chris hatte noch vor kurzem darüber gescherzt, dass Revolutionen wohl von nun an Frauensachen waren.

Paylor war jünger als die vorherigen Präsidenten, welche bisher alle weiße Haare auf dem Kopf und tiefe Falten im Gesicht gehabt hatten. Snow zum Beispiel hatte gegen Ende kaum noch wie ein lebendiges Wesen ausgesehen. Sie hingegen wirkte einfach menschlich. Ihre Haare, ihre Haut und selbst ihre Augen waren hellbraun. Für ihre 29 Jahre sah sie wirklich gut aus, trotzdem strahlte sie eine starke Autorität aus. Er konnte verstehen, dass die wahlberechtigten für sie gestimmt hatten, denn objektiv betrachtet machte sie ihren Job bisher recht gut.

Milan schätzte die neue Präsidentin und fand, dass sie Panem gut tat. Doch der Gesichtsausdruck den sie in diesem Augenblick zur Schau trug beunruhigte ihn zutiefst. Sonst versuchte sie immer so Volksnah wie möglich zu sein und ein möglichst freundliches Lächeln auf den Lippen zu haben. Nun saß sie steif da, während ihre Lippen sich zu einer geraden Linie zusammengezogen hatten. Endlich begann sie zu sprechen, doch das was sie sagte ließ die ganze Nation aus verschiedensten Gründen aufschreien.

"Bürger von Panem. Ich richte mich heute aus einem traurigen Grund an euch." Sie strich sich eine kurze Haarsträhne aus dem Gesicht und holte kurz Luft, dann sprach sie schnell und verzweifelt weiter: "Aufgrund der andauernden Proteste innerhalb der Distrikte müssen wir Präsidentin Coins anfänglichen Plänen nun doch Folge leisten. Die neue Regierung hat abgestimmt und beschlossen die Hungerspiele erneut stattfinden zu lassen."

Milans Familie schien nach einem prüfenden Blick genauso verwirrt wie er selbst es war. Ging es bei diesem ganzen Krieg nicht nur um das abschaffen der Spiele? Nun wollten sie sie wieder einführen? Das alles machte einfach keinen Sinn. Warum sollten sie etwas wieder anschaffen, bei dem sich ihre Kinder gegenseitig abschlachteten? Was hatte das zu bedeuten?

"Dieses Mal jedoch, treten die Kinder der schlimmsten Verbrecher des Kapitols gegeneinander an, um die Weste ihrer Eltern wieder reinzuwaschen."

Milan starrte den Fernseher mit geweiteten Augen an. Wie konnten sie das tun? Selbst hatten sie wegen dieser Spiele rebelliert, hatten das alles unfair gefunden und sich gewehrt, und nun? Jetzt waren sie an der Macht und nahmen Rache. Moralische Werte waren nur korrekt wenn es um das Leben ihrer Kinder ging.

Einerseits verstand Milan ja warum sie es taten. Die Distrikte würden nicht eher Ruhe geben, außerdem waren einmalige Hungerspiele gut um den Frieden zu waren. Zum Mindest nach Snows Politik. Das Kapitol musste eingeschüchtert werden. Was er jedoch nicht verstand war, dass unschuldige Kinder für die Sünden ihrer Eltern leiden sollten.

fesselnde Angst [Tribute von Panem]Where stories live. Discover now