SECHS

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SECHS

Meine kleine Prinzessin ist jetzt sechs Jahre. Unfassbar. Ich kann mich noch ganz genau an den Tag vor sechs Jahren erinnern. Eigentlich hatte sie noch Zeit, aber als bei dem letzten Ultraschall festgestellt wurde, dass sich die Maus die Nabelschnur um Hals und Hand geschnürt hatte, haben die Ärzte nicht mehr lang überlegt. Eine Stunde später hatte ich sie dann auch schon in meinem Arm. Ein unfassbar tolles und emotionales Ereignis. Mittlerweile ist sie zu einem sehr intelligentem Mädchen herangewachsen. Ich bin wirklich stolz auf meine bezaubernde Tochter, aber das sagt wohl jede Mutter.

Nach dem Frühstück wurden sofort die ersten Geschenke ausgepackt. Meine Eltern mussten es natürlich wieder total übertreiben und haben Lina unter anderem eine Designerhandtasche geschenkt. Ich meine, sie ist doch gerade mal sechs. Sie kann das doch gar nicht richtig wertschätzen. Davon mal abgesehen benutzt sie noch gar keine Taschen. Eigentlich sollte ich mich ja schon daran gewöhnt haben, aber es regt mich trotzdem immer wieder auf.

Zum Glück sind meine Eltern momentan noch auf ihrer Weltreise und sind somit heute leider verhindert.

Während Lina mit ihren Geschenken spielt, mache ich mich an die Torten. Lina hat wirklich noch ein paar Kinder eingeladen, das freut mich natürlich sehr. Alles andere wäre sicher auch langweilig gewesen.

Meine Tochter liebt Buttercremetorten. Eine Gemeinsamkeit mit ihrem Vater.

„So hier kommt noch das Fleisch. Ich gehe noch schnell einkaufen. Soll ich noch etwas mitbringen?", fragt Svenja, nachdem sie das Grillfleisch in meinen Kühlschrank gestellt hat.

„Ja, vielleicht kannst du noch ein bisschen Baguette und Ketchup für die Kinder mitbringen, den habe ich gestern total vergessen."

„Wird gemacht, ach ich freue mich richtig. Bis später Süße", höre ich Svenja noch rufen. Dann ist sie auch schon aus der Wohnung.

Ich bin richtig glücklich, dass wir hier in München eine Wohnung mit Garten bekommen haben. Wir haben eine Parterre Wohnung. Eigentlich total praktisch. So müssen wir wenigstens nicht unsere Einkäufe wie in London in den dritten Stock tragen. Besonders als Leni noch ein Baby war, war es immer eine Herausforderung den Kinderwagen bis nach oben zu bekommen. Den Wagen durfte ich nicht im Hausflur stehen lassen. Verbot vom Vermieter. Wie habe ich mich damals gefreut als Leni alleine laufen wollte und wir auch keinen Buggy mehr brauchten.

Um Punkt drei klingelt es an der Tür. Lina stürmt wie eine Verrückte zu der besagten und lässt die ersten Kinder in die Wohnung.

„Bringen sie die Kinder oder müssen wir sie abholen?" fragt eine der Mütter und sieht genervt auf die Uhr. Okay, diese Klientel kenne ich zur Genüge.

„Nein, ich bringe sie nach Hause. Gegen sechs, wenn es okay ist", sage ich in die Runde der Mütter. „Meinetwegen kann es auch sieben werden", meint eine andere Mutter, welche permanent auf ihr Handy starrt.

Ich schüttele kaum merklich den Kopf ehe ich mich verabschiede und die Wohnungstür schließe.

Die Kinder sind im Gegensatz zu ihren Müttern wirkliche Herzchen.

„Dürfen wir auch Torte essen?", fragt eines der Mädchen, welches sich später als Marie raus stellt.

„Aber klar. Wir warten nur noch auf zwei weitere Gäste und dann geht es los", sage ich lächelnd bevor ich den Kaffee umschütte.

Kurze Zeit später erscheint dann auch meine beste Freundin mit dem restlichen Einkauf.

„Svenja, Svenja, du musst dir unbedingt meine Geschenke angucken", ruft ihr Lina aufgeregt zu und zieht sie hinter sich her.

Derweil gieße ich den anderen Mädchen grinsend Kakao ein.

„Ich mach auf", ruft Lina, als es erneut klingelt.

„Erwartest du noch jemanden?", fragt Svenja, welche sich wieder neben mich stellt.

„Hab ich dir nicht gesagt, dass Sophie noch kommt?" Ich stelle die Kanne mit dem warmen Kakao auf den Tisch und begrüße Sophie.

„Schön dass du da bist, aber du hättest Lina doch nicht noch ein Geschenk mitbringen müssen".

„Aber sicher. Schließlich hat die süße Maus doch heute Geburtstag." Sophie dreht sich um und erstarrt.

„Das ist-" doch weiter komme ich nicht.

„Svenja". „Sophie".

„Uhm ... Ihr kennt euch?", frage ich verwirrt und sehe zwischen den beiden hin und her.

„Oh mein Gott. Sie ist Klara? Das ist deine beste Freundin?", fragt nun Sophie meine beste Freundin und verwirrt mich damit nur noch mehr.

„Könnte mir vielleicht jemand mal erklären was jetzt los ist?", fordere ich erneut.

„Mama? Dürfen wir uns schon Torte nehmen?", fragt Lina mit ihren großen Kulleraugen.

„Na klar, Maus. Ich gehe nur mal eben mit Tante Svenja und Sophie in die Küche", erkläre ich bevor die besagten Personen hinter mir herziehe.

In der Küche angekommen schließe ich die Tür und verschränke meine Arme. „Also?"

„Ich denke du solltest es ihr jetzt mal sagen", meint Sophie ehe sie sich neben meine beste Freundin stellt.

„Klara, ich ... Ich muss dir was sagen", beginnt Svenja langsam.

„Ja, das habe ich auch schon festgestellt."

„Du hast dich schon immer gefragt, wieso ich dir nie mal einen Freund präsentiert habe. Das hat einen guten Grund. Ich ... ich stehe nicht auf Männer. Und um es genau zu sagen, ich habe auch eine Freundin."

Svenja und Sophie verschränken ihre Hände und sehen sich verliebt an.

Das gibt es jetzt nicht, oder? Ich glaube ich brauche einen Schnaps.

„Sag doch bitte was", fleht meine beste Freundin.

„Um ehrlich zu sein, bin ich gerade etwas schockiert. Du scheinst mir ja gar nicht zu vertrauen. Oder aus welchem Grund hast du mir sonst deine Freundin verschwiegen?", frage ich verletzt. Mir tut nicht weh, dass sie lesbisch ist. Auf gar keinen Fall, aber das sie mir es verschwiegen hat, all die Jahre, ist doch etwas schwer zu verdauen.

„Natürlich vertraue ich dir, aber ich wusste nicht wie ich es dir sagen soll. Ich hatte etwas Angst, dass du mich nicht mehr mögen würdest", gesteht sie und sieht mich reuevoll an.

„Das ich dich nicht mehr mögen würde? Svenja, du bist meine längste und beste Freundin. Diese Befürchtung ist total schwachsinnig. Ich bin doch nicht homophob. Oh Gott und ich hab dich immer wieder mit irgendwelchen Bekannten verkuppeln wollen". Wäre es nicht erst kurz nach drei, würde ich mir jetzt wirklich einen Schnaps genehmigen.

Svenja kichert und nimmt meine Hand.

„Klara, du weißt, du und Lina, ihr seid mit die wichtigsten Menschen in meinem Leben. Ich wollte es euch, insbesondere dir, nicht verheimlichen!"

„Du wusstest einfach nur nicht wie du es mir sagen solltest, ich hab schon kapiert. Aber Svenja, ich dachte immer, du wüsstest dass du zu mir kommen kannst, egal um was es geht."

Ich sehe sie eindringlich an.

„Das weiß ich doch. Aber du hattest damals so viel um die Ohren. Lina war gerade erst auf die Welt gekommen, du hattest Existenzängste, hast Niklas vermisst. Und wenn wir ehrlich sind, vermisst du ihn noch immer-" Ich will gerade etwas sagen, doch Svenja unterbricht mich sofort. „Nein, du sagst jetzt nichts. Du warst überfordert, nicht das ich dir das vorwerfe, auf keinen Fall. Ich wollte mich nicht auch noch einfach aufdrängen und dir sagen: ‚Hey Klara, übrigens bin ich lesbisch.' Dass hätte ich doch nicht bringen können", meint sie lächelnd und irgendwie muss ich ihr ja zustimmen.

„Na, zum Glück ist das Versteckspiel ja jetzt zu Ende. Ich freue mich wirklich für euch beide. Ihr seht sehr glücklich aus".




Ich wünsche euch frohe Weihnachten !!!!!! 

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