Tag 1, Samstag

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Gelangweilt starre ich aus dem Fenster und schau mir die genervten Gesichter der Leute in den Autos neben uns an. Da ist der eine dicke, schnauzbärtige Mann, der mit rot angelaufenem Gesicht mit seiner Frau diskutiert, die ihm einen Weg auf der Landkarte zeigt.
Dann ist da noch ein junges Pärchen, wie es scheint. Die beiden Reisen in einem total überbepackten Smart und sie schielt neidisch auf das Käsebrot, das er sich zwischen die Zähne schiebt. Rechts von uns eine Familie mit Zwillingen, die wie gebannt auf die Bildschirme an den Kopfstützen vor ihnen blicken und dabei maschinenartig Chips in sich reinstopfen. Zwei kleine fast identische Roboter. Der einzige Unterschied den ich erkennen kann, ist der Chipskrümel im Mundwinkel des einen und ein Fleck auf dem T-Shirt des anderen Jungen.

Da ist natürlich auch noch meine Familie. Vorne meine beiden Eltern, mein Vater schläft, meine Mutter fährt. Neben mir spielt mein neunjähriger Bruder Lego. Er versucht schon die ganze Zeit, mich dazu zu bewegen, ihm mein Handy zu geben. Ich bin dazu übergegangen, ihn zu ignorieren. Mein Blick schweift wieder aus dem Fenster.

Neben uns ist ein neues Auto aufgerückt. An der mir zugewandten Seite sitzt ein Mädchen und schläft. Neben ihr sitzt ein kleineres Mädchen, etwa im Alter meines Bruders. Ihre Eltern unterhalten sich freundlich. Ich beobachte das Mädchen, das so um die 16 sein müsste. Ihr Gesicht hat eine dreieckige Form und wird  von hellbraunen Haaren eingerahmt, welche ihr in Wellen über die Schulter fallen. Ihre Wimpern sind dicht und lang und ihre Augenbrauen so geschwungen, als hätte sie jemand mit feinem Pinsel aufgemalt. Als ihr Vater den Motor neu startet, weil es endlich weiter geht, wacht sie auf. Sie öffnet die Augen und schaut mich direkt an, ich fühle mich ertappt und drehe mich schnell zu meinem Bruder. Er ist natürlich begeistert, dass ich ihn wieder beachte und drückt mir flink ein Männchen in die Hand, genervt gebe ich es ihm wieder zurück. Ihre Augen sind grün. Langsam drehe ich mich wieder zurück.  Sie hat die Arme auf die Vordersitze gestützt und redet angeregt mit ihren Eltern. Wenn sie lacht, scheint ihr ganzes Gesicht zu strahlen und ihre Augen funkeln. Sie ist hübsch. Das Auto rückt weiter vor, sodass ich nur noch ihren Rücken sehen kann. Sie trägt ein dunkelblaues Top, dessen Träger im Nacken gebunden sind.

Plötzlich löst sich der Stau und wir fahren über eine Brücke auf die Fähre. Das rote Auto mit dem Mädchen sortiert sich dabei hinter uns ein. Seufzend schnalle ich mich ab, schlüpfe in meine Flipflops und warte darauf, dass wir aussteigen können. Meine Mutter dreht sich zu mir um : "Jetzt Versuch, doch wenigstens so zu tun, als würdest du dich freuen. So schlimm wird es doch bestimmt nicht. Wir sind fünf Minuten vom Strand entfernt und da sollen super Surfbedingungen sein." Nicht, dass ich jemals surfen war. Wir machen meistens Urlaub in irgendwelchen Wellness-Hotels, die total am Arsch der Welt liegen. Ich sollte mich also freuen, dass meine Eltern diesmal ein besseres Ziel ausgewählt haben. Aber das würde bedeuten, dass ich meiner Französischlehrerin dankbar sein müsste. Sie hatte meinen Eltern am Sprechtag vorgeschlagen, doch nach Frankreich zu fahren, damit ich die Sprache mal in echt erleben würde, in der Hoffnung, dass das mein Interesse verstärken würde. Wer's glaubt wird selig. "Wir würden dir auch einen Surfkurs bezahlen", mischt mein Vater sich ein. Ich werde hellhörig, das hört sich gar nicht mal sooo schlecht an. "Aber nur, wenn du einwilligst, in eine französische Gruppe zu gehen." Und genau da liegt der Haken, ich habe einen Horror vor dem Französischen. Diese Sprache ist einfach zu kompliziert und zu umständlich. "Ich überleg es mir mal", sage ich halbherzig. Endlich bekommen wir die Erlaubnis, das Auto zu verlassen. Wir reihen uns in den Menschenstrom ein, der zum Deck hin drängt. Jetzt merkt man, dass die lange Fahrt auch bei meinen Eltern auf die Nerven drückt. Gestresst nimmt meine Mutter meinen kleinen Bruder an die Hand und versucht ihn im Gedränge bei sich zu behalten. "Wir treffen uns oben Simon, oder spätestens am Auto", ruft sie mir zu, dann verliere ich sie aus den Augen. Auch nicht weiter schlimm, wenigstens bin ich jetzt den Quälgeist los. Als ich auf das Oberdeck komme, bessert sich meine Laune.

BarfußsommerWhere stories live. Discover now