Leichen im Keller

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"Roxane... Bitte erzähl uns alles, was damals passiert ist.", bat ich sie.

Sie seufzte schwer und legte ihre Hände vor ihrem Körper zusammen, bevor sie sich auf mein Bett setzte.

"Das ist aber eine lange Geschichte.", wand sie ein und schenkte mir einen unsicheren Blick, den ich mit einem aufmunternden Lächeln erwiderte.

"Wir haben Zeit. Und Michael muss seine gerechte Strafe erfahren.", versuchte ich, sie zu motivieren.

"Du hast recht." Sie atmete tief ein und konzentrierte sich.

"Es war an einem Dienstag Abend. Ich kann mich noch erinnern, dass meine Mutter zu mir sagte, ich solle lieber nicht mehr in diesen Club gehen, weil ich am nächsten Tag arbeiten müsste. Doch ich habe nicht auf sie gehört, denn eine meiner Freundinnen feierte ihren Geburtstag. Wir hatten viel Spaß, aber um elf entschied ich mich, allmählich zu gehen, weil ich noch einen weiten Weg vor mir hatte. Als ich am Bahnhof auf meinen Zug wartete, ertönte die Meldung, dass er ausfallen würde, woraufhin ich laut anfing, zu fluchen, weil der nächste erst morgens um fünf fahren würde. In meiner Nähe stand ein hübscher, junger Mann und stellte sich als Thomas vor. Er hatte meine Flüche natürlich gehört und bat mir an, mich mit dem Auto zu fahren, was ich aus lauter Verzweiflung tatsächlich annahm. Ich gab ihm eine Wegbeschreibung zu meinem Haus, doch kurz bevor wir es erreichten, bog er plötzlich in die andere Richtung ab. Ich war total verwirrt - hatte er nicht mitbekommen, dass ich 'links' gesagt hatte?" Roxane unterbrach sich und schien sich zu sammeln. Am liebsten hätte ich ihr Trost gespendet, aber es gab absolut nichts, das sie vergessen lassen könnte, was ihr Schreckliches widerfahren war.

"Also wies ich ihn darauf hin. Doch er lachte nur und setzte mich dann mit einem gezielten Schlag auf die Schläfe außer Gefecht. Als ich aufwachte, war ich allein in einem vollkommen dunklen Raum. Ich rief nach Hilfe, doch natürlich war er der einzige, der mich hören konnte. Und als er kam, bereute ich, auf mich aufmerksam gemacht zu haben. Denn erst als er das Licht einschaltete, konnte ich erkennen, wo ich war. In einem kahlen Keller, dessen einzige Einrichtungsgegenstände zwei Tiefkühltruhen und der Stuhl, auf dem er mich gefesselt hatte, waren. Er betrat den Keller durch eine enge Falltür mit Hilfe einer Leiter, die er wieder mit rausnahm, wenn er den Keller verließ. Ich machte den nächsten Fehler, als ich ihn fragte, was in den Kühltruhen sei. Er bestand darauf, es mir zu zeigen und als ich nicht wollte, zog er mich gewaltsam zu ihnen. Er öffnete sie und offenbarte einen Blick auf zahlreiche tiefgefrorene, weibliche Körper, allesamt in meinem Alter und in verschiedenen Stadien der Verwesung. Als ich vor Entsetzen schrie, wurde er wütend." Roxanes Blick richtete sich auf einen unbestimmten Punkt auf meiner Wand. Ich bemerkte, dass sie zitterte, obwohl ihr unmöglich kalt sein konnte. "Und in seiner Wut... Vergewaltigte er mich. In den wenigen Tagen, die er mich am Leben ließ, passierte das sehr oft. Doch eines Tages, ich kann nicht sagen, wie viele Tage nach meiner Entführung es waren, hatte er keine Lust mehr auf mich. Es kam der Zeitpunkt, an dem er meinen Tod wollte. Er zwang mich, mich vollständig zu entkleiden. Dann stieß er mich in eine der Truhen, die auf minus 18° eingestellt waren. Er verschloss sie, als ich vollständig in ihr war und machte Anstalten, den Raum zu verlassen. Er ignorierte mein Flehen und Betteln, meine Angebote, alles zu tun, was er wollte. Es interessierte ihn nicht. Er ging und ließ mich zwischen den Leichen seiner anderen Opfer qualvoll erfrieren."

Roxanes Augen starrten glasig in die Ferne, während mein ganzer Körper von einer Gänsehaut überzogen war. Emre sah mich unsicher an, doch ich fand nicht die Kraft, seinen Blick zu erwidern und irgendwelche beruhigenden Worte an ihn zu richten.

Ich konnte nur daran denken, dass mich dieser Mann berührt hatte. Dass er mich mit sich nehmen wollte. Und mir liefen Tränen über die Wangen.

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Das Mädchen, das mit den Toten sprachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt