weißer zorn

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Still saß Maura in ihrer Sänfte, einen Gehstock über ihren Knien, den Wolf unter ihrer Haut. Um die aus Metallplättchen geflochtenen Vorhänge herum tobte Punto Alegre, ein brodelndes Gewirr aus betrunkenen Menschen und brüllenden Kriegern, die sich durch die schmalen Gassen der Stadt drückten. Sie alle stanken so erbärmlich, dass Maura den Drang, nach einem parfümierten Taschentuch zu tasten, unterdrücken musste.

Aber der Ort, an den ich gehe, wird nur schlimmer riechen. Nach Elend, nach lüsternen Männern, und nach ekelhafter, abstoßender Unfähigkeit. Maura zog die vollen Lippen nach oben, das lautlose Knurren einer Menschenwölfin.

Vor ihren Männern teilte sich die Menge, die Befehle durchgesetzt mit harten Worten und blitzenden Waffen. Durch die Vorhänge erkannte sie die Schwerter in den Händen der Lykaner und die muskulösen Umrisse ihrer Träger. Sie waren Menschen, kaum besser als der Dreck, der auch durch diese Straßen kroch, doch sie hatten ihr die Treue geschworen. Und sie wussten nur zu gut, was ihnen blühen würde, sollten sie ihren Schwur brechen.

Maura schloss ihre weißen Hände um den silbernen Knauf ihres Stockes, geformt wie der Schädel eines Wolfes. Die Racheinseln sind nicht anders als Crusadia. Es gilt das Recht desjenigen, der schneller sein Schwert, seine Pistole, sein Messer ziehen kann. Vor ihr schnellte die Hand einer ihrer Wächter vor und tötete einen Minotauren, der zu nahe an ihre Sänfte herangekommen war.

Sie schätzte ihre Wahl der Fortbewegung. Niemand wusste, wer hinter dem Metall verborgen war. Ein Sklavenherr von Zephyr? Ein reicher Warlord aus Santaca? Ein Söldnerherzog von der Blutkette? Oder doch eine tödliche weiße Wölfin in der Gestalt einer blonden Frau? Einzig der Eindruck einer Person, deren Wort Gesetz, deren Gesetz der Tod war, blieb.

Ihre Träger schritten über den Minotaurus hinweg, als wäre er nichts weiter als eine weitere Erhebung in der holprigen, schmutzigen Straße, weiter in die Stadt hinein. Sie wussten, wohin sie mussten. Jemandem einen Besuch abstatten, der mir nichts als Dummheit beschert hat. Jemand, der zu unendlich töricht war, eine Schwester des Lykaon ohne eine Wache einzusperren. In einem Haus, in dem nicht einmal eiserne Gitter vor den Fenstern sind.

Mittlerweile verfluchte Maura sich für die Entscheidung, Marie de Tracy mit einem kurzen Leben in Hassilas Bordell für ihren Verrat zu bestrafen. Sie hatte gehofft, die Ipotame wüsste um die Kostbarkeit ihres neuen Besitzes. Ich hatte sie gewarnt. Ich hatte ihr befohlen, sie stets in ihrer Nähe zubehalten. Jemand sollte ein Auge auf sie haben, während sie isst, während sie schläft, während sie fickt, während sie atmet. Und Hassila lässt sie entkommen.

Maura knurrte leise, und ein Straßenkind, das sich zu nahe an ihre Sänfte gewagt hatte, machte einen erschrockenen Satz zur Seite. Sie beachtete es nicht. Ich habe Hassilas Gabe zur Grausamkeit überschätzt. Deutlich überschätzt. Sie war mir immer bekannt als jemand, der seine Weiber hasst und und sie so klein hält, dass sie kaum aus ihrer eigenen Scheiße schauen können. Aber offensichtlich habe ich Marie de Tracy unterschätzt. Sie war wohl zu klug, als dass sie sich von einem mumifizierten Ipotame und ein paar Freiern einschüchtern lässt.

Sie hasste es, gegen eine kleine, dumme De Tracy verloren zu haben. Noch eine Angelegenheit mehr, mit der ich mich herumschlagen muss, während Darnovey in Valur verbrennt, während Sal trinkt und Stanraer sich um seine Seele mordet. Während Salazar das Zafiro-Kartell aus seinem angstvollen Schlummer erweckt, unter den interessierten Augen Seiner Majestät. Und während Darnoveys Erbin Crusadia zum kochen bringt. Maura wusste nicht, was Ascendra Slayer plante. Ihre Spione brachten Kunde von ekstatischen Jagdfesten, von Orgien und von Hetzen auf Menschen und andere Kartelle. Was auch immer sie plant, ich muss sie aufhalten. Niemand sonst kann es. Weder dieser elende Säufer, noch der hirnlose Mörder, noch der eiskalte Salazar, dem nicht einmal die Höllen von Valur eine Emotion aus dem Gesicht brennen würde. Beinahe vermisste sie Darnovey und seine hinterhältigen und doch leicht zu erkennenden Pläne, und De Oro und seine lächerliche Unsicherheit. Besser als Slayer und Salazar sind sie allemal. Doch sie wusste, dass es nur besser für die Bruderschaft war, dass De Oro verschwunden war. Sie konnten sich keine Schwäche leisten.

Weißer ZornWhere stories live. Discover now