Kapitel 7

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"Schön ist es hier, muss man schon sagen." Wir waren noch eine weile gefahren, bis wir an einem kleinen Haus, nahe dem Strand ankamen. Es hatte mal seinem Vater gehört, der es an ihn übergeben hatte, bevor er verstarb. Es war alles was ihm geblieben war, hatte er mir erzählt. "Ich bin gerne hier, man kann abschalten und hat mal seine Ruhe vor allem." Dem stimmte ich klar zu, es war kein verkehr hier, weit und breit kein Nachbar und das Rauschen vom Meer hatte etwas beruhigendes. Ich war gefühlte 17 Jahre nicht mehr am Meer gewesen, umso schöner fühlte es sich an. "Wie kann es eigentlich sein dass ich die Klinik verlassen darf?" "Wie gesagt, du wurdest beurlaubt unter meiner Aufsicht, was gesetzlich eigentlich nicht erlaubt ist, aber auch der Arzt meinte es würde dir für ein paar Tage vielleicht nicht schaden, mal von allem weg zu kommen. Besonders von Christian." Das sagte er mit einem stark beleidigtem Unterton und schaute aus dem Fenster. "Wieso erwähnst du ihn? Er ist nicht wichtig." Eugen schnaubte ungläubig. "Du kannst mir sagen was du willst, der Kerl hat dich in der Hand und genau das ist von allem das Problem. Was auch immer da damals war, er zerstört dich und das macht dich so eiskalt und abweisend, was dich in die Magersucht getrieben hat." Leider hatte er recht. Viel zu recht. "Es tut mir leid dass ich dir nichts von ihm erzählt habe." "Ich habe gesagt keine psychologischen Gespräche, ich bin heute dein Freund, nicht Psychologe." Er lächelte mich an, was mich ebenfalls Lächeln ließ. "Was wollen wir machen?" Ich zuckte mit den Schultern. "Die Entscheidung überlasse ich dir." Er lachte. "Dann essen wir jetzt was." Schon überkam mich wieder die Angst und das Gefühl wegzurennen. Er umarmte mich und drückte mich fest an sich. "Bitte, tu es für mich. Du bist mir irgendwie wichtig." Ich erwiderte plötzlich die Umarmung. Sein Geruch umhüllte mich und ich fühlte mich plötzlich so wohl. Als wäre mein Platz genau in seinen Armen. "Alles okay?", nuschelte er zwischen meinen Haaren hervor, die zerzaust über meine Schultern hingen. "Ja, alles okay." Ich spürte seinen unregelmäßigen Atem an meinem Nacken, als wäre er nervös. "Ist denn bei dir alles okay?" Er zögerte, nickte dann. "Vielleicht klingt das total bescheuert, aber auch ich höre mir gerne deine Probleme an, falls du welche haben solltest.", sagte ich leise und strich ihm über den Hinterkopf. Wir standen bestimmt zehn Minuten lang so da, bis er sich von mir abwandte und begann das Essen zu kochen. Ich saß am Esstisch und beobachtete ihn dabei. Er sah so anders aus, als in seinem Behandlungszimmer. Er war ein komplett anderer Mensch, schön glücklicher außerhalb der Psychiatrie. Plötzlich spürte ich was warmes an meinen Lippen, bis ich realisiert hatte, dass es Eugen war, der mich küsste. Ich erwiderte sofort, was ich auch nicht bereute. "Ich bin zwar im Dienst, aber ich musste das tun.", brachte er gerade noch zustande, dann wurde er rot. "Ich glaube, dass ist mir egal ob du im Dienst bist oder nicht. Ich bin froh, dass du da bist." Dann war ich es, die ihre Lippen an seine drückte. Es fühlte sich richtig an, weil ich wusste dass er nicht so war. Nicht so wie Christian. Zumindest ging ich davon aus. Der Abend verlief ruhig, ich aß normal, als wäre ich nicht annähernd krank und lachte wieder etwas. Er erzählte mir sein ganzes Leben, von seiner Geburt bis zu diesem Abend. Er war so entspannt, als würde er mich schon ewig kennen, als wäre es nichts neues was er mir erzählte. Mit jedem Wort, strahlte er, auch wenn er viel vom Tod redete. Ebenfalls von seinem versuchten Selbstmord, der schiefgegangen war, weil seine kleine Schwester ihr dabei erwischt, ihm die Tabletten aus der Hand gerissen und im Klo versenkt hatte. Er redete davon dass sie sein Heiligtum war, alles was er noch besaß. Er erzählte auch davon, dass seine erste Freundin auf der Uni gewesen war, im dritten bis zum vierten Semester. Nun war er hier, mit einigen Narben, innerliche und äußerliche, die man alle sah. Aber machte seinen Job gut, denn als mein Teller leer war, fühlte ich mich keines Weges schlecht, im Gegenteil, ich fühlte mich richtig gut. "Spazieren?", fragte ich ihn nach einer weile schweigen. Er nickte und räumte den Tisch ab. Dann zog ich mir meine Jacke und Schuhe an und wir verließen das Haus. Es war kalt und spät geworden, bestimmt zehn oder elf. Dennoch, war ich hellwach, einfach weil ich die Zeit genießen wollte. Nach all den Monaten aus Hass und Schmerz, fühlte ich mich zum ersten Mal als wäre ich kein Mädchen das krank im Kopf ist, sondern das einfach nur jemanden brauchte, der ihr ruft dass sie gut genug ist. Und das tat Eugen auf seltsame und gute Weise. "Wie geht es dir?", fragte er wie aus dem nichts. "Gut.", drückte ich schnell heraus, was ihn skeptisch machte. "Die Antwort war eindeutig zu schnell, bist du dir sicher?" Ich nickte, immerhin war es teilweise die Wahrheit. "Ich versuch's dir zu glauben aber es fällt mir echt schwer." Er griff nach meiner Hand und hielt sie fest. Ich blickte zu ihm hoch, der zeitgleich zu mir runter schaute. "Du bist was besonderes Elena, ein unglaublich faszinierendes Mädchen." Mit seiner anderen Hand strich er durch meine Haare und schaute dabei in meine Augen. "Wieso das?" Er zuckte mit den Schultern. "Du hast dieses gewisse etwas, irgendwas, was dich unglaublich anziehend macht." Nun lächelten wir beide und zum ersten Mal spürte ich was in mir, etwas Neues. Vermutlich Liebe.

Unbroken / Slow UpdatesWhere stories live. Discover now