Allein

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Die Augen geschlossen, stand ich vor dem Eingang des riesigen Gebäudes, das letzte mal strich ich mir noch den blauen Rock zurecht, und trat mit hoch erhobenem Kopf ein.
Sofort wurde die Luft um mich wärmer, doch ebenfalls dröhnten die vielen Geräusche an mein Trommelfell und hinterließen ein Pochen in meinem Kopf. Normalerweise war es schon schlimm, doch an diesem Tag besonders.
Gleichzeitig fingen meine Augen bei dem vielen Rosarot, den Herzchen und dem Rest des Kitches an zu bluten. Wer zur Hölle würde sich so etwas freiwillig antun?

An meinem Spind angekommen, riss ich erst einmal die Papierblumen von dem grauen Metall und warf sie in einem hohen Bogen in einen Mülleimer. Wie sehr ich es doch hasste...
Genervt öffnete ich mein Fach, um all meine Schulbücher herauszukramen und in meine Tasche zu stopfen. Mein Spind war säuberlich aufgeräumt, alles hatte einen festgelegten Platz. Innerlich war ich unfassbar stolz auf diese Ordnung, wenn ich mir den Spind meines Nachbars auch nur ansah kam mir das kalte Kotzen... Überall hingen Papiere heraus, Fotos waren auf der Außenseite verteilt, es wunderte mich, dass sowas überhaupt erlaubt war.

Bei genauerer Betrachtung der Papiere fiel mir auf, dass sie gar keine Papiere waren, sondern Briefe. In allen erdenklichen Farben hingen sie aus den Schließfachschlitzen heraus, man hätte davon glatt Epilepsie bekommen können.
Lautes Gesichter ließ mich aus meinen Gedanken aufschrecken, worauf ich mich seufzend umsah. Wie erwartet stolzierte ein blonder Schönling auf mich, nein, auf seinen Spind, zu. Eigentlich war das ja gar nicht so schlimm, doch die Horde Mädchen, die ihn verfolgte, schon. Die brachten mich fast genauso zur Weißglut wie die Pralinen, Kekse, Schokoladen und Rosen, mit denen er selbst beladen war. Lächelnd nahm er immer mehr an, doch der Zulauf an weiblichen Verfolgern wurde nicht weniger. Vermutlich sollte ich Mitleid mit ihm haben, ich würde mich ziemlich bedrängt fühlen, doch ich hatte keins.
Schien ihm schließlich Spaß zu machen.

"Guten Morgen, Minerva", grinste er mich an, doch nicht auf diese Danke-für-das-Geschenk, welches ich ihm nicht gegeben habe, Weise, wie er es bei den anderen Mädchen tat, sondern viel aufrichtiger.
"Du solltest deinen Spind ausräumen, da liegt einiges an Müll drin", erklärte ich und zeigte auf die vielen Briefe.
"Das ist doch kein Müll...
Aber sag mal, wem willst du eigentlich Schokolade schenken?"
"Ich habe keine. Außerdem muss ich jetzt zu meiner Stunde. Viel Spaß bei... Was auch immer das hier sein soll."
Mit diesen Worten 'verabschiedete' ich mich und schloss meinen Spind, um mich auf den Weg zu meinem Klassensaal zu machen.

Wie immer war ich eine der ersten schon Anwesenden, nur Rufus, der Klassenstreber, saß schon auf seinem Platz. Auch vor ihm lag eine kleine Schachtel mit Schokolade, die er genüsslich verputzte. Ohne ihn zu begrüßen pflanzte ich mich auf den hintersten Stuhl an der Wand.
Jedes Jahr war es das Selbe.
Es wurden Geschenke verteilt und klischeehaftige Dekoration aufgehängt. Vielleicht wäre das ganz schön, aber meine Valentinstage waren noch nie besonders gewesen. Bisher hatte ich nur ein Stück Schokolade bekommen, und das von Sting, da er meinte nicht mehr essen zu können. Und weil er es auch nicht wegschmeißen wollte, durfte ich es essen.
Wirklich sehr liebevoll... Pff.
Entnervt lehnte mein Kopf gegen die kühle Wand. Meine Laune war schon vor der ersten Stunde am Gefrierpunkt. Nicht sehr vorteilhaft, wenn ich den Rest des Tages noch überstehen wollte. Aber ich konnte mich einfach nicht von diesen deprimierten Gedanken befreien. Immer wenn ich innerlich deprimiert war, machte ich äußerlich auf Zicke. Vielleicht konnte man das auch als Schutzinstikt bezeichnen, ich wusste es ja selbst nicht.
Jedenfalls ging mir Valentinstag ziemlich auf den Geist und am liebsten würde ich die Stimmung gefrieren lassen. Um mich selbst auf andere Gedanken zu bringen, packte ich mein Handy aus, schnappte mir meine dunkelblaue Kopfhörer und dröhnte mir auf voller Lautstärke something big in den Schädel (https://youtu.be/iskodQn8DUg). So gesehen passte das Lied gar nicht zu meiner Lage, doch es heitere mich immer ein wenig auf.
Wenn auch nur ein wenig.
Da mir die Musik allein aber noch immer nicht reichte, kramte ich kurzerhand mein Mathebuch aus der Schultasche und fing an, mich auf die nächste Stunde vorzubereiten. Die Anderen aus der Klasse nannten mich deshalb Streben, nur machte mir das nichts. Schließlich schreiben die, genau weil sie sich nicht vorbereiten, auch nur Vierer. Mit den Einsern kann ich bei den Lehrern punkten und wenn ich mein Abi in der Tasche habe, während sie durchgefallen sind, werde ich lachend auf sie herabschauen.
In allem war ich besser als sie.
Nicht wie die anderen Streber, wie Rufus, war ich nur gut in Sachen, die man wirklich lernen konnte. Sondern auch in Sport, Kunst und Mathe war ich sehr gut. Denn ich gab bei allem was ich tat 100%. Das hatte mir mein Vater beigebracht.
Immer gewinnen, immer überlegen sein. Irgendwann würde ich dann über ihnen stehen und sie nicht mal verachten können, da sie nicht mal für mich existieren würden.
Ob das gerecht war?
Natürlich. Es hieß doch, die Gerechtigkeit siege immer. Damit ist der Sieger automatisch gerecht, oder?
Ohne es zu merken, verloren sich meine Gedanken in den ganzen Brüchen und Zahlen, bis schließlich der Mathematiklehrer herein kam und ich sowohl Handy als auch Kopfhörer hastig wegräumte.

AlleinWhere stories live. Discover now