3 - Verheimlicht

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Ich lege frustriert seufzend das Telefon zur Seite. Ich habe Lucie gerade abgesagt. Ich kann mich im Moment einfach nicht mit ihr treffen. Ich habe jedes Mal das Gefühl ihr sagen zu müssen, dass ich mit Damian geschlafen habe, bevor sich die beiden gekannt haben. Und auch, als sie schon mit ihm zusammen war. Selbst, dass ich nicht wusste, wer ihr Freund war, ist für mich dabei keine Entschuldigung – und für Lucie wäre es kein Trost. Ich kann sie nicht so sehr kränken und deswegen kann ich es ihr auch jedes Mal nicht sagen. Ich kriege das einfach nicht über die Lippen. Ich gehe Lucie deswegen so gut ich kann aus dem Weg. Natürlich merkt sie, dass etwas mit mir nicht stimmt. Aber ich bringe es nicht übers Herz ihr die Wahrheit zu sagen. Dass ihr Freund in Wahrheit ein Fremdgänger ist. Obwohl ich das so genau natürlich gar nicht beurteilen kann, denn ich habe seit dieser Erkenntnis, dass er ihr Freund ist, nicht mehr mit Damian geschlafen.

Ich kann aber nicht wissen, ob es vielleicht weitere Affären gibt, außer mir. Mit denen er ebenfalls regelmäßig Sex hat. Ich möchte es aber auch gar nicht wissen, denn das würde mich viel zu sehr verletzen. Wahrscheinlich würde es mir sogar das Herz brechen. Es ist besser, ich lasse mich also auf gar keinen dieser Gedanken ein.

Mein Handy beginnt zu klingeln. Es ist wieder Lucie die mich gerade anruft. Ich weiß genau, weswegen sie mich anruft. Sie möchte wissen was los ist. Wieso ich in den letzten Wochen keine Zeit mehr für sie finde. Wieso wir nicht mehr miteinander reden, obwohl wir nicht miteinander streiten. Ich seufzte lautlos und nehme den Anruf entgegen. Sie ist die Letzte, die etwas für mein Gedankenchaos kann.

„Hey...", sage ich also bemüht friedlich und versuche nicht genervt zu klingen. Dabei bin ich es. Davon, dass Lucie es nicht einfach gut sein lassen kann. Ich habe keine Zeit habe ich gesagt. Das muss ihr doch reichen.

„Ich bin's noch mal.", sagt Lucie und ich kauere mich ein wenig mehr auf meiner Couch zusammen. „Ich weiß.", sage ich. „Dee, was ist los mit dir in der letzten Zeit?", fragt sie mich offensiv. Ich kann mit der Offensive nicht umgehen und strauchele gedanklich.

„Was soll los sein?", will ich von ihr wissen und versuche es so belanglos wie möglich klingen zu lassen. „Ich wollte dich das eigentlich erst fragen, wenn wir uns heute sehen.", offenbart mir nun Lucie, „Aber da du ja unsere Verabredung wieder mal platzen lässt, muss ich mit dir am Telefon reden." Sie macht eine Kunstpause. „Was ist los mit dir Dee? Du meldest dich nicht mehr bei mir, hast keine Zeit mehr für mich? Habe ich irgendetwas falsch gemacht? Bist du sauer auf mich?" Ich schüttele energisch den Kopf. „Nein, du hast nichts gemacht Lucie. Es liegt an mir.", antworte ich ehrlich.

„Hast du Probleme?" Lucie klingt besorgt. „Wieso ziehst du dich so sehr zurück?"

Ich will ihr nicht antworten. Aber ich muss. Sie ist immerhin meine beste Freundin und macht sich scheinbar Sorgen um mich.

„Ich habe keine Probleme, Lucie. Es ist alles in Ordnung.", versuche ich ihr glaubwürdig zu versichern doch ich stoße bei Lucie auf taube Ohren. „Dee ich kenne dich jetzt schon so lange. Ich weiß wann etwas bei dir nicht in Ordnung ist.", gibt sie selbstsicher zurück und liegt damit ja auch goldrichtig. Ich seufze und suche nach einer Notlüge, um nicht über die Wahrheit sprechen zu müssen. „Ich bin einfach nur nicht so gut drauf.", antworte ich Lucie jetzt, doch wie ich schon vorher weiß wird sie das nicht befriedigen. „Hast du Stress in der Uni? Oder auf der Arbeit?", hakt sie nach, „Sag mir doch was los ist Süße. Oder ist es etwa ein Mann?"

Ihre letzte Frage trifft genau ins Schwarze. Ehe ich über meine Antwort nachdenken kann, höre ich mich etwas sagen. „Ja." Wieso sage ich ja?! Ich muss vollkommen bescheuert sein!

„Ach Süße", sagt Lucie jetzt und ihre Stimme wird weich und mitleidsvoll, „Wieso sagst du denn nichts?" „Ich will das einfach mit mir selbst ausmachen.", sage ich überzeugt und Lucie schnaubt. „Spiel doch nicht immer die Starke, Süße.", ermahnt sie mich liebevoll, „Wozu sind Freundinnen denn da?" Jedenfalls nicht um sich zu belügen oder zu hintergehen! Ich schüttele den Gedanken ab.

„Ich komme jetzt zu dir.", höre ich Lucie sagen, „Keine Widerrede. Wir ziehen uns schnulzige Filme rein und kuscheln. Du musst nicht mal mit mir darüber reden, wenn du nicht willst."

Ich seufze. Lucie meint es ja nur gut. Und sie will nur für mich da sein. Wie es scheint findet unsere Verabredung heute Abend bei mir doch statt. Es gelingt mir nicht, Lucie abzuwimmeln. Und so steht sie eine geschlagene Stunde später bepackt mit einer Reisenpackung Eis, Taschentüchern und einer „Vom Winde verweht"-DVD vor meiner Haustür.

Ich wische mir eine Träne aus dem Augenwinkel. Scarletts Schwester ist gerade gestorben. Wer den Film schon einmal gesehen hat weiß, dass dies der Anfang vom Ende ist. Auch Lucie weint neben mir wie ein kleines Mädchen. Ein Hoch auf die kitschigen Filme von damals.

Die Vibrationen eines Handys reißen uns in die Realität zurück. Lucie fingert in ihrer Handtasche nach dem Handy. Dann schleicht sich dieses verräterische Lächeln auf ihre Lippen: Es ist Damian. Ihr Damian. Nicht meiner. Der Gedanke versetzt meinem Herzen einen kleinen Stich.

„Darf ich kurz?", fragt sie und deutet mit einem Nicken auf ihr Handy. Ich nicke. Was auch sonst? Als würde ich ihr jetzt verbieten, mit ihrem Freund zu telefonieren. „Ich möchte dich nur nicht runterziehen, mit meinem Glück.", erklärt sie mir doch ich schüttele den Kopf. Was für eine Ironie. „Nein, nein. Mach nur.", sage ich und halte den Film an. Lucie nimmt unterdessen den Anruf an.

„Hallo Liebling.", säuselt sie und mir wird ein kleines Bisschen schlecht dabei. Ich weiß genau, dass ich neidisch bin. Neidisch und eifersüchtig. „Ich bin bei Dee. Ihr geht es nicht so gut. Wir gucken gerade ,Vom Winde verweht'", klärt sie Damian auf und ich höre ihn etwas sagen.

Diese Stimme jagt mir einen Schauer über den Rücken, auch wenn ich das gar nicht möchte. Ich bin ihm einfach verfallen. Nach wie vor. Ich darf gar nicht daran denken, was die Berührungen seiner Hände auf meiner Haut mit mir angestellt haben. „Bist du noch im Laden?", schneidet Lucies Stimme die Stille in zwei Teile und ich schließe die Augen.

Der Laden. Sie meint wahrscheinlich sein Tattoo-Studio, das er vor ein paar Wochen eröffnet hat. Eine der wenigen Einzelheiten seines sonst so geheimnisvollen Lebens, die er mir anvertraut hat. Selbst dort haben wir es schon miteinander getrieben!

Er ist einfach ein Tier im Bett – und auch überall sonst! Er experimentiert gern, immer und überall, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Er weiß einfach, wie er die Welt einer Frau auf den Kopf stellt, wie er sie berühren, sie reizen, sie befriedigen muss – bis sie alles um sich herum vergisst und sich gehen lässt! Ich sehe die Bilder wieder wie in einem Film vor mir, wie wir es nach Ladenschluss auf der Couch im Wartebereich und anschließend auf dem Tresen getrieben haben, und muss sie verdrängen.

„Überarbeite dich nicht.", sagt Lucie, „Wir wollen doch morgen noch zu Ikea, wegen dem Regal." Ich werde hellhörig. Ikea. Regal. Wie so ein richtiges Pärchen? Sie sind ein richtiges Pärchen! Meine Gedanken korrigieren mich fast selbstständig. „Ich freu mich auf morgen.", kichert Lucie wie ein verliebtes kleines Mädchen, „Und auch auf nachher."

Nachher? Sie sehen sich also später noch. Wie schön. Ein weiteres Messer schneidet in mein Herz und ich weiß genau, eigentlich darf es nicht so sein. Lucie beendet das Gespräch. Und ich fühle mich ein ganzes Stück schlechter als zuvor. Wieder sitzt Lucie in meiner Wohnung und wir verbringen Zeit miteinander, ohne dass, ich sie darüber aufkläre, was ihr Freund eigentlich so treibt wenn sie nicht dabei ist. 

Ich weiss. Damian ist etwas kurz gekommen dieses mal. Das ändert sich dann im nächsten Kapitel wieder. Versprochen.

The Affair | #aestheticawards2020 Where stories live. Discover now