Kapitel 55

3.3K 183 48
                                    

Nach dem Frühstück trafen wir uns draußen, vor dem Hotel. Obwohl es erst so früh war, hatte sich die Luft schon ziemlich erhitzt. Einige Male atmete ich tief ein und doch dauerte es einen Augenblick, bis ich mich an das Klima gewöhnt hatte. Anna, Tim und ich warteten einige Minuten vor der Tür, bis dann auch die anderen kamen. Doch sie machten keinesfalls einen fröhlichen Eindruck, Ju unterdrückte anscheinend Tränen, die in seinen Augen schimmerten, Joon starrte mit einem leeren Blick auf den Boden und Vince klopfte Ju auf die Schulter. "Wird schon...", murmelte er zu ihm. Was um Gottes Willen war geschehen?! "Ju!", rief ich und lief auf ihn zu, dicht gefolgt von Anna und Tim. "Was ist passiert?" Er schaute nach unten, also bückte ich mich leicht, bis ich meine Hand unter sein Kinn legte und seinen Kopf anhob, sodass er mich anschaute. "Was hast du denn?", fragte ich erneut und wischte mit meinem Daumen die Träne weg und guckte in seine sonst so wunderschönen Augen - doch jetzt waren sie einfach nur leer. "Oma.", war das Einzige, das er von sich gab. Urplötzlich zog er mich in eine Umarmung und weinte auf meine Schulter. Verwundert erwiderte ich die Umarmung, während mein Bauch seltsam kribbelte. Schon oft hatte ich das in letzter Zeit gespürt, wenn ich bei Ju war. Irgendwann löste er sich dann von mir und blickte auf den nassen Fleck auf meiner Jacke. "Sorry..", nuschelte er, doch ich winkte ab. Ausser Fassung saß er nun auf einer Bank, während ich mit Anna und Tim redete, denen der Grund für die üble Stimmung bereits geschildert wurde. "Seine Oma wohnt ja auch hier in Singapur und sie... Naja... sie hatte heute Nacht einen Herzinfarkt und liegt jetzt im Krankenhaus." "Was?!" "Ja... sie brauchte eine Operation und ist jetzt noch sehr schwach. Vince sagt, es wäre besser, wenn wir heute umplanen und statt 'Palawan Beach' Jus Oma besuchen." "Natürlich!", stimmte ich zu "Also dass er seine Oma besuchen möchte, kann man ihm echt nicht verwehren." Ein paar Minuten verweilten wir noch vor dem Hotel, bis Ju sich wieder beruhigte und das "Ok" gab. Somit bestellten wir uns ein Taxi, das uns zum Krankenhaus brachte. Wir bezahlten und traten ein, bis zur Rezeption. Dort redeten Ju und die Frau hinter dem Schalter irgendetwas auf chinesisch, wovon ich halt kein Wort verstand, bis uns dann der Fahrstuhl in den 3. Stock beförderte. Als wir hinaus stiegen, verschnellerten sich Jus Schritte und weil wir mithalten wollten auch unsere. "Ju, jetzt renn' doch nicht so!", beschwerte sich Joon, ohne eine Reaktion von Ju. Vor der Tür, an der ein Schild mit "174" hing, blieben wir stehen, klopften und betraten die Tür, nachdem irgendwelche chinesischen Worte aus dem Inneren zu uns hindurch gedrungen waren. Im Raum lag eine alte Frau, angeschlossen an viele unterschiedliche Geräte und zugedeckt, in ihrem Bett und schaute zu uns herüber. Und schon jetzt verängstigte mich das regelmäßige Piepen, das den Herzrythmus misst, da ich ständig Angst hatte, es würde zu einem durchgängigen Ton werden. Aber aus Höflichkeit sagte ich nichts davon, sondern schüttelte Jus Großmutter die Hand und lächelte sie an. Auch alle anderen begrüßte sie und Ju nahm neben ihrem Bett Platz, hielt ihre Hand und redete mir ihr. Mal wieder hochchinesisch und wir anderen standen daneben und starrten Löcher in die Luft. Je mehr Ju redete, umso ruhiger wurde die ganze Stimmung im Raum. Er kümmerte sich liebevoll um seine Oma, gab ihr Essen und Trinken, hielt ihre Hand und beruhigte sie mit seiner unglaublich weichen Stimme. Da konnte man gar nicht anders, als ruhig zu werden.

Nach ungefähr einer Stunde klopfte es an der Tür. Zwei Sekunden später erschienen drei Leute in dem Zimmer, zwei Frauen und ein Mann. Sie begrüßten Ju auf chinesisch und dann uns auf Englisch und stellten sich als Diana, Celine und Tanna vor. Sie waren alle drei Cousins beziehungsweise Cousinen von Ju. Auch sie setzten sich zu der Frau ans Bett und strichen über ihre Hand, redeten auf sie ein.

Mittlerweile war es schon später geworden und wir beschlossen mit Jus Cousinen und seinem Cousin noch essen zu fahren. Somit ließen wir uns erneut von einem Taxi in ein kleines, gemütliches Restaurant fahren. Drinnen nahmen wir Platz, bestellten und aßen. Währenddessen unterhielten wir uns auch, glücklicherweise auf Englisch. Da nahm Ju ohne zu fragen etwas von meinem Essen und ich beschwerte mich spaßig. Er erklärte, dass man das hier so machte. Jeder konnte von jedem essen, man teilte eben. So geschah es dann auch, dass alle von allen probierten und es sich schmecken ließen. Immer wieder spürte ich Jus Blick auf mir und das Kribbeln war wieder da.

Here With You - Julien Bam FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt