Kapitel 1

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Die Rebellen haben es geschafft.

Sie haben es geschafft, die Macht über des Kapitol an sich zu reißen und alle seine Bewohner in Angst und Schrecken zu versetzen. Coriolanus Snow wurde gestürzt, ebenso die alte Regierung. Wenn man es Regierung nennen wollte. Doch fast allen Kapitolsbewohnern ist bewusst, dass die Rebellen noch immer nicht besänftigt worden sind. Dass sie immer noch auf Rache aus sind.

Ich sitze vor einem riesigen Flachbildfernseher in einem der Häuser des Kapitols, auf dem momentan eine Aufnahme einer Kapitolsfamilie zu sehen ist. Anscheinend sind Überwachungskameras in alle Häuser eingesetzt worden, um die Bewohner überprüfen zu können.

Ich sehe ein blasses Mädchen mit dunklem Haar, das Ebenholz ähnelt, in einem kleinen Raum sitzen. Ihm stockt der Atem, als es die Live-Übertragung im Fernsehen sieht. Die Nachfolgerin von Präsident Snow ist zu sehen. Paylor. Der Mund des Mädchens bewegt sich, vielleicht flüstert sie etwas vor sich hin. Ich kann ihre Stimme nicht hören.

Die Bildschirmaufnahme wechselt in einen anderen Raum. Zu sehen sind nun ein Mann und eine Frau, wahrscheinlich die Eltern des Mädchens. Sie schauen stur geradeaus und verfolgen ebenfalls die Rede der Präsidentin. An ihren Gesichtsausdrücken sieht man, dass sie nicht viel von ihr zu halten scheinen. Vielleicht sind sie auch welche von denjenigen, die die Hungerspiele immer gern verfolgt haben. Solche, die die Hungerspiele nicht als blutrünstigen Überlebenskampf, sondern als Unterhaltung angesehen haben.

Das Bild ändert sich wieder, das Mädchen ist erneut zu sehen. Neben ihr sitzt nun ein gut gebauter, junger Mann, der wahrscheinlich ihr Bruder ist. Sein Gesichtsausdruck bleibt unverändert, als interessiere es ihn nicht, was Präsidentin Paylor ihnen mitteilen möchte. Das Mädchen scheint die Worte zuerst auszublenden, dann lauscht sie der Rede der Präsidentin.

»In diesem Jahr wiederholen sich die Hungerspiele zum sechsundsiebzigsten Mal. Dies werden die letzten Hungerspiele Panems sein.«

Ich höre ein leises Kreischen, es stammt von der Mutter aus dem Nebenraum. Es klingt wie ein Freudenschrei. Mein Blick haftet sich auf den jungen Mann, der reglos und unbeteiligt auf dem Sofa sitzt. Als wisse er, dass das noch längst nicht Alles ist. Dass da noch etwas kommt.

»Aus diesem Anlass, und um die jahrelange Unterdrückung der Distrikte zur entschädigen, haben wir uns für dieses Ereignis etwas ganz Besonderes ausgedacht. Denn dieses Jahr werden nicht die Kinder aus den Distrikten als Tribute in die Arena geschickt.«

Das Mädchen scheint diese Worte noch nicht ganz verstanden zu haben, als Paylor mit ihrem Appell an die Kapitolsbewohner fortfährt. Ich erkenne Paylor etwas verzerrt auf dem Fernsehbildschirm, und als ich den Ausdruck in ihrem Gesicht sehe, weiß ich, dass die Vorstellung von zu Tode gequälten Kindern des Kapitols sie kein bisschen schmerzt. Ich frage mich, ob sie auch mal jemanden, der ihr nahe stand, in den Hungerspielen verloren hat.

Der Blick des Mannes liegt im Nacken des Mädchens, er zieht seine Augenbrauen zusammen. Er ahnt bestimmt, was ihn und seine Familie erwartet.

Und in diesem Moment werden die Worte, die alle gedacht aber niemand auszusprechen gewagt hat, durch den Raum geschleudert. Und treffen mit voller Wucht in die Herzen der Familienmitglieder.

»Die Tribute werden aus den Kindern der Kapitolsbewohner ausgelost.«

Der junge Mann spricht dem Mädchen beruhigend zu, anscheinend ist sie noch nicht älter als Achtzehn. »Maleah, ruhig. Wie groß ist die Chance, dass sie dich auswählen?«

Präsidentin Paylor öffnet ihren Mund und verkündet die letzte Nachricht.

»In diesem Jahr werden die Mächtigsten der Einwohner des Kapitols für all den Schmerz büßen müssen, den sie den Distrikten angetan haben!«

Ich halte die Luft an. Ein paar Tränen zieren Maleahs rosiges Gesicht. Das Letzte, was ich höre, ist ein »Neal … Dad ist ein Abgeordneter von Präsident Snow gewesen. Ich bin sechzehn Jahre alt. Wir wissen, was das bedeutet.«

Der Bildschirm wird schwarz, Peeta erscheint hinter mir. Liebevoll schaut er zu mir herunter und lehnt sich über die Rückenlehne des Sofas. »Katniss, du sollst dir das nicht anschauen.« Ich möchte widersprechen und öffne meinen Mund, doch ich bringe kein Wort heraus. Ohne mich zu wehren, gehe ich mit Peeta aus dem Raum.

Es wird für uns als Spielemacher der sechsundsiebzigsten Hungerspiele nicht leicht sein.

Die Tribute von Panem - Blutige Rache { on hold }Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt