Versetzt (1)

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Gläser klirrten und Tassen kratzten über die Tische. Lachende Stimmen übertönten die Musik, die aus den Lautsprechern drang. Es war rappelvoll im Brownie's. Ich saß ziemlich weit hinten an einem Tisch, sah gedankenverloren aus dem Fenster und hatte meinen Kopf auf eine Hand gestützt. Mit der anderen tippelte ich mit den Fingerspitzen auf dem Tisch.

Menschen eilten draußen durch den Regen, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen oder mit großen Regenschirmen, die der Wind verbog. Immer wieder suchte ich die Vorbeieilenden nach einer kleinen Gestalt eines Mädchens ab, doch ich entdeckte sie nirgends.
„April?", eine Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Überrascht blickte ich auf und sah Timothy vor mir stehen. Er hatte sich mit den Armen auf die Lehne des Stuhls gelehnt, der mir direkt gegenüber am Tisch stand, und grinste breit. Zurzeit waren seine Haare pechschwarz gefärbt und seine neuste Errungenschaft war ein schwarzer Tunnel am rechten Ohr- auf diesen war er besonders stolz. Er trug dunkle Jeans und ein weißes Hemd, bei dem die oberen Knöpfe offenstanden. In diesen Klamotten wirkte er noch schlanker als sonst und dass er so schlicht – was es auch für seine Verhältnisse war- angezogen war, lag nicht an einer plötzlichen Sinneswandlung, sondern viel mehr daran, dass er im Brownie's kellnerte, um nebenher sein Studium zu finanzieren. Er war vier Jahre älter als ich, doch wir waren gute Freunde, obwohl wir uns nicht besonders oft sahen. Wie wir uns kennengelernt hatten wusste ich nicht mehr, nur dass es über irgendwelche Freunde von Freunden gewesen war. Dennoch verstanden wir uns ziemlich gut, trotz der vier Jahre Altersunterschied, und das nicht im romantischen Sinne- sagen wir so, wir fischten am selben Ufer.

Sein Grinsen war ebenso berüchtigt für ihn, wie sein Kleidungstil und sein schrägen Humor. Na ja, und wie er mich jetzt ansah, führte er etwas im Schilde und das schien weiter als seine mir-ist-langweilig-und-ich-ärgerte-April-Laune (oh ja, das konnte er wirklich gut) hinauszugehen.

Ungefragt drehte er den Stuhl, auf dem er sich noch gerade eben gestützt hatte, um und ließ sich rittlings darauf nieder.

„Lässt sie immer noch auf sich warten?", fragte er scheinheilig und für einen Moment verließ sein Grinsen sein Gesicht, nur um einem übertrieben mitleidigen Blick zu weichen.

„Was willst du?", erwiderte ich ungerührt und er verzog das Gesicht.

„Meine Süße du bist wirklich eiskalt." Er zog eine Schnute, was so komisch bei ihm aussah, dass ich lachen musste. Ach ja, Markenzeichen Nummer vier: komische Grimassen schneiden.

Doch er hatte Recht. Ava hatte mich versetzt- mal wieder.

Eigentlich sollte ich ihr Nachhilfe geben, wenn sie auftauchen würde.

„Also, kann ich dir noch einen Kaffee bringen?" Mein Blick wanderte zu der leeren Tasse neben meiner Hand. Dann sah ich Timothy wieder an.

„Wieso kommst du mir heute so unglaublich zuvorkommend vor?", fragte ich mit einem Lächeln in der Stimme.

„Weil ich ein aufmerksamer Mensch bin", antwortete er, schlagkräftig wie er war.

„Ein durchschaubarer und hinterhältiger", verbesserte ich ihn, ohne die Worte ernst zu meinen.

Er pustete die Backen auf. „Du bist..."

„Nett?", versuchte ich es.

„Ein Giftzwerg!" Nicht ohne auf meine weniger ausgeprägte Körpergröße anzuspielen.

Sprachlos sah ich ihn an und ein zufriedener Ausdruck legte sich auf sein Gesicht.

„Na warte", grummelte ich und versuchte unter dem Tisch nach ihm zu treten- doch er war schneller und statt seinem Bein traf ich das Stuhlbein.

Dark Side- Im Schatten des Wolfes Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt